Erstellt am: 20. 3. 2017 - 16:50 Uhr
Gegen Nazis, für Vielfalt
Who cares? Wen kümmert’s - beziehungsweise - wer kümmert sich?
Letzte Woche ging das Video Children interrupt BBC News interview viral, in dem der BBC-Reporter Robert Kelly vor laufender Kamera bei seinem Skype-Interview von seinen Kindern gestört wurde. Er wimmelt sie ab, spricht unbeirrt weiter, während die Mutter auf dem Boden herumrobbt und die Kinder einfängt.
Kurze Zeit später folgte die Parodie des neuseeländischen Satire-Duos Jono&Ben „Woman interrupted during BBC interview“. Die kontrovers diskutierte Persiflage sollte humorvoll verdeutlichen: Frauen kümmern sich mehr als Männer um die Kinder, den Haushalt, die Familie, kurzum: den lästigen Alltag. Care-Work-Studien belegen, was die meisten aus eigener Erfahrung kennen. Zum Beispiel die Untersuchung der OECD und auch der bezeichnenderweise am Schalttag 29. Februar stattfindende Equal-Care-Day soll daran erinnern, dass Frauen vier Mal mehr Care Work erledigen als Männer.
Sookee
Und genau diese Schieflage thematisiert die Berliner Rapperin Sookee auf ihrem neuem Album „Mortem & Make Up“:
„Selbst in liberalen bis linken Haushalten werden große Reden geschwungen und die Emanzipation hat schon längst Einzug gehalten, aber wenn es darum geht, wer am Ende des Tages das Scheißhaus putzt, gibt’s entweder Debatten oder Ungerechtigkeit. Das ist so ein Klassiker, der unheimlich fest sitzt, dass Frauen sich selbstverständlich für Sachen verantwortlich fühlen, und Männer in der Tendenz Applaus dafür bekommen, wenn sie mal den Müll rausbringen. Beziehungsweise, wer hat sich so Einzel-Situationen eingerichtet und wer hat wirklich die Gesamtsituation im Blick und kümmert sich konsistent ein ganzes verdammtes Leben lang darum, dass es Abendbrot gibt, das Klopapier da ist, den nächsten Arzttermin vom Kind, und so weiter und so fort. Das ist ein weites Feld unterschiedlichster Aufgaben, die Frauen ganz selbstverständlich erledigen, weil sie es nicht anders kennen. Da wünsche ich mir schon die eine oder andere Revolution im Wohnzimmer. Der Songtitel „Who Cares“ ist eben aus dieser Debatte entliehen. Wen kümmert’s beziehungsweise wer kümmert sich?“
Sookee
Nora Hantzsch aka Sookee ist eine, die es kümmert, die anklagt und Dinge beim Namen nennt. Das ist unbequem und unbeliebt, die Hasspostings unter ihren Videos füllen wahrscheinlich Bände.
Sookee live:
Sookee spielt am 12. Mai in der Grellen Forelle in Wien.
Sookee ist outspoken queer, feministisch und links: „In erster Linie geht es natürlich immer gegen Nazis, egal wie sie heißen mögen. Das Spektrum rechter Organisiertheit ist ja relativ groß. Es geht um Lebensvielfalt und dass die Menschen so sein sollen, wie sie nun mal sind.“
Springstoff
Sich selbst nennt Sookee die „Quing von Berlin“, das Kofferwort aus Queen und King soll ihre queere Agenda nochmals unterstreichen. Sie ist auch keine, die nur Sprüche klopft, sie lässt ihren Worten auch Taten folgen. Sookee ist politische Aktivistin mit dem nötigen theoretischen Unterbau, studierte Linguistik und Gender Studies, war Lehrerin und hat jetzt mit „Make Up & Mortem“ ihr gewohnt gesellschaftskritisches, aber weniger verklausuliertes, fünftes Album vorgelegt. Die Kritik, dass es sich bei ihrer Musik um ein „rappendes Soziologie-Grundstudium“ handelt, ist angekommen. Ihre Texte sind nun weniger theorielastig, aber nicht weniger schlau. Sie erzählt Geschichten, die so im deutschen Rap-Game selten bis gar nicht vorkommen: es geht um Rechtsruck, Verschwörungstheorien, Coming-Out, Mobbing am Schulhof, Kinder von Nazi-Eltern (sie sagen Gemüsetorte statt Pizza) – oder das politische Elend des ersten Quartals 2016.
Sookee über „Q1“:
„Der Titel 'Q1' steht für Quartal Eins, so wie wir das von der Steuererklärung kennen. Alle beschriebenen Szenarien, also die Barrikaden-Situation in Idomeni, oder die Geschichte des grünen Abgeordneten Volker Beck mit seinem Drogenfund, oder die Aussage von Alexander Gauland, der meinte, dass man sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen dürfe, dass sind alles so Geschehnisse aus dem ersten Quartal 2016. Ich hab das einfach gesammelt, und da hat sich dann auch schon dieses schreckliche Jahr 2016 angekündigt, da gings ja schon richtig rund. Und ich dachte, ich muss da jetzt einen Song draus machen, mir reichts!“
Mikro & Bleistift statt Spraydose
Sookee rappt, seitdem sie 17 ist. Los ging es in der Berliner Grafitti-Szene, wo sie dann die Spraydosen gegen Bleistift und Mikrophon getauscht hat. Eine politische Meinung zu haben und zu der auch zu stehen, hat sie schon früh gelernt. Ihr Vater war als Dissident in der DDR im Gefängnis, weil er den Dienst an der Waffe verweigert hat. So etwas prägt. Auch der Umstand, dass Sookee jetzt selber ein Kind hat, prägt. Viele Songs auf dem neuen Album „Mortem & Make Up“ hat sie aus einer kindlichen Perspektive heraus geschrieben – wie „Hüpfburg“, „Die Freundin Von“ oder „Hurensohn“.
Kindliche Perspektive
„Es gibt in fast jedem Song die kindliche Perspektive oder Erwähnung von Kindheit. Es macht den Raum auf für die Frage, wie könnten Kinder auf diese Erwachsenen-Welt blicken. Gerade Rap ist ja so ein Ding, wo man sagt, dass ist doch nichts für Kinder und so weiter. Aber die sind ja trotzdem da und die hören das ja auch. Wir müssen uns ja nichts vormachen. Es gibt eigentlich nichts in der Erwachsenenwelt, was Kinder nicht auch irgendwie miterleben. Auch Sachen, die nicht für ihre Ohren oder Augen bestimmt sind, die sind ja trotzdem für sie erreichbar. Und dann entziehen sich immer alle der Verantwortung und sagen, ja, müssen halt die Eltern drauf aufpassen und so weiter. Aber die Eltern sehen es halt auch nicht, weil die in der kapitalistischen Tretmühle festhängen und selber nur versuchen, durch ihren Alltag zu gelangen. Das finde ich eine große Unverschämtheit. Deswegen soll die Platte daran erinnern, das kleine Leute auch da sind, und die haben auch ihre Ideen, ihre Fragen und ihre Wahrnehmungen, nur meistenteils werden die übergangen – und das ist blöd!“
Sookee
Produziert wurde das Album „Mortem & Make Up“ von fünf verschiedenen Produzenten, unter anderem von Riffsn von Großstadtgeflüster und Danger Dan von der Antilopen Gang.
Die beiden sind auch für den Hit des Albums, „Queere Tiere“ verantwortlich. In „Queere Tiere“ kontert Sookee wortgewandt und gewitzt dem „Das ist doch nicht natürlich“-Totschlagargument der homophoben Hohlköpfe und rappt über schwangere Seepferdchenmänner, Zwitter-Schnecken, schwule Pinguine und Albatross-Lesben.