Erstellt am: 20. 3. 2017 - 15:26 Uhr
"Ich will frei sein, ich will kämpfen"
Und irgendwann während einer Sauftour kommt den beiden der zündende Gedanke: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt drauf an, sie zu verändern!" Der junge Friedrich Engels scheint allerdings weitaus trinkfester als sein Kumpan. Karl Marx kotzt sich kurz nach dieser Erkenntnis die Seele aus dem Leib.
Kinostart
"Der junge Karl Marx" läuft ab 24. März in den österreichischen Kinos.
Fast beiläufig wird so der berühmte Satz aus den "Thesen über Feuerbach" im neuen Film "Der junge Karl Marx" eingeflochten. Ob diese elfte und abschließende These allerdings tatsächlich beim Saufen entstanden ist, sei dahingestellt. Ganz glaubwürdig wirkt das nicht. Dennoch ist es ein guter Kunstgriff, den Regisseur Raoul Peck noch mehrmals anwendet: Zentrale Ideen von Marx und Engels werden locker in Form von Gesprächen in den Film eingebaut.
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Ernst genommen werden
Peck hat sich, das ist eindeutig, intensiv mit den Ideen von Marx und Engels auseinandergesetzt. In einem Interview mit der taz sagt er: "Als ich mein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin anfing, musste man eine Vorstellung von Marx’ Theorie mitbringen, um in politischen Debatten ernst genommen zu werden. Ich hatte dann das Privileg, (…) Seminare zu Marx’ ‚Kapital‘ zu besuchen, die mein Leben verändert, mir die Analyseinstrumente gegeben haben, die ich heute noch benutze."
Der Film läuft nun rechtzeitig zum hundertjährigen Jubiläum der Russischen Revolution von 1917 in den Kinos an. Kein schlechter Zeitpunkt: das Interesse an marxistischen Ideen wird anlässlich dieses Jahrestags besonders groß sein. Und mit seinem Schwerpunkt auf den jungen Marx trifft der Film wohl auch das Interesse einer neuen Generation von AktivistInnen.
Engels im Schatten
Doch eigentlich könnte der Titel genauso gut "Der junge Marx und der junge Engels" lauten, denn dem jungen Friedrich wird im Film zu Recht viel Platz eingeräumt. Bis heute steht Friedrich Engels im Schatten von Marx – historisch fragwürdig, denn er war ein eigenständiger Denker und wahrscheinlich auch der weit bessere Schriftsteller der beiden. Diese journalistischen Fähigkeiten erkennt übrigens auch Marx an.
Als der Film ihre erste längere Begegnung nachzeichnet (die so allerdings nicht verbürgt ist), können sich die beiden zuerst nicht ausstehen, Marx (gespielt von August Diehl) hält den Industriellensohn Engels (Stefan Konarske) für einen überheblichen Schnösel. Doch kurz danach gestehen sie einander, dass sie die Arbeiten des jeweils anderen bereits gelesen hätten und schwer beeindruckt seien.
Persönlicher Einsatz
Bei Engels ist das die Studie "Die Lage der arbeitenden Klasse in England", eine präzise Beobachtung der damaligen Arbeitsbedingungen in der britischen Industrie. Schriftsteller Günther Wallraff erkennt in diesem Werk eine Vielfalt von Aspekten, die noch im modernen Kapitalismus relevant seien. Doch für Engels ist die Recherche zu diesem Buch keineswegs einfach, wie der Film zeigt.
Als er mit den irischen ArbeiterInnen aus der Fabrik seines Vaters Kontakt aufnehmen möchte, gibt es zuerst mal eins auf die Nase für den Kapitalisten-Sohn. Doch wenig später wird ihm eine der Arbeiterinnen, Mary Burns, nicht nur zur unersetzbaren Hilfe, sondern auch zu einer großen Liebe seines Lebens.
Take it easy!
Mit ihr und ihrer Schwester Lizzy wird Engels eine lebenslange Dreiecksbeziehung aufrechterhalten, die im Film angedeutet wird. Mary stirbt 1863, Engels und Lizzy werden 1878 auch noch heiraten. Dieser lockere Umgang mit der Monogamie passt auch gut zum Lebensmotto von Engels, aufgeschrieben 1868 für Jenny Caroline Marx, die Tochter der Familie Marx: "Take it easy".
Mary Burns, hervorragend gespielt von Hannah Steele, dürfte das übrigens ähnlich gesehen haben wie ihr Partner Friedrich. Im Film sagt sie etwa zu Marx' Ehefrau Jenny (Vicky Krieps), dass sie keine Lust auf Kinder hätte. Aber vielleicht könne ja Friedrich mit ihrer Schwester welche zeugen?
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Liebe, Lachen, Sorgen
Eine der Stärken des Films ist überhaupt, dass er die Protagonisten nicht nur als Denker, sondern auch als Menschen darstellt. Marx liebt seine Frau innig, sie haben Sex miteinander, vor der Geburt seiner Tochter ist er ein ängstlicher Vater, nach der Geburt glänzen seine Augen vor Freude. Voller Sorge sucht er einen Job, um seine Familie zu ernähren. "Ich mache alles!", ruft er am Postamt.
Im Vorfeld zur Arbeit am "Kommunistischen Manifest" (dessen Abgabe sich immer wieder verzögern sollte) zweifelt Marx, ist müde, ihm fehlt die Energie. Engels ist hier die treibende Kraft, er will einen Text, den alle verstehen. Schlussendlich wird das Manifest doch noch fertig, doch sein unfertiger und eher zusammengestückelter Charakter ist dem Werk bis heute anzusehen.
Starke Frauen
Es fällt damit in seiner Einfachheit und Klarheit deutlich etwa hinter die "Grundsätze des Kommunismus" zurück, die Engels kurz zuvor geschrieben hatte. Dennoch zeigt der Film die Bedeutung des "Manifests" für die neue Bewegung. Er zeigt gleichzeitig auch, dass es ein Gemeinschaftswerk ist, dass in Nachtschichten vom Quartett Karl Marx, Friedrich Engels, Mary Burns und Jenny Marx erarbeitet wird.
Und hier kommt eine weitere positiv auffallende Besonderheit des Films zum Tragen: Seine starken Frauenfiguren. Mary Burns und Jenny Marx sind nicht schmückendes Beiwerk, sondern zentrale Aktivistinnen. Es ist Mary Burns, die Engels erstmals mit dem "Bund der Gerechten" zusammenbringt, einer bekannten Untergrundorganisation. Und auch Jenny Marx stellt fest: "Es gibt kein Glück ohne Auflehnung!"
Der Langeweile entkommen
Immer wieder Thema sind auch die eigenen Privilegien. Engels ist der Sohn eines reichen Kapitalisten, Jenny Marx, geboren als Johanna von Westphalen, kommt aus einer wohlsituierten Familie. Doch alle treffen ihre Entscheidung. Mary Burns etwa sucht nicht nach dem Reichtum von Engels, sondern sagt: "Ich will frei sein, ich will kämpfen. Um zu kämpfen, muss ich arm bleiben."
Jenny stellt derweil schlicht fest, dass sie durch die Entscheidung für Marx der tödlichen Langeweile ihres Standes entkommen sei. Doch es ist vor allem Engels, der in einem Widerspruch lebt: einerseits kommunistischer Organisator, andererseits Prokurist in der Firma seines Vaters.
Dennoch ist eine weitere berühmte Analyse von Marx für ihn Realität: "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt". Und für Engels ist es offenbar die Realität, die er in der Fabrik seines Vaters erlebt, die ihn zum Klassenkampf führt.
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Manches bleibt unklar
Auf anderen Ebenen bleibt der Film allerdings blass. Er startet etwa mit der (einzigen echten) Action-Szene, die sich später nochmals wiederholen soll. Für ein durchgehendes Thema wird die Sequenz allerdings zu wenig erklärt, die künstlerische Bedeutung der Wiederholung erschließt sich nicht.
Auch die politischen Debatten mit anderen bedeutenden Akteuren wie Pierre Proudhon, Michail Bakunin oder Wilhelm Weitling vollziehen sich vor allem in Andeutungen, bleiben vage. Manchmal wirkt es, als wären die Differenzen vor allem beim Schachspiel zu finden.
Das ginge besser, wie etwa Regisseur Ken Loach in seinem starken Werk "Land and Freedom" über den spanischen BürgerInnenkrieg zeigt. Wie er dort in einem Dorf LandarbeiterInnen, trotzkistische Milizionäre und stalinistische Parteigänger rund zehn Minuten über die Enteignung der Großgrundbesitzer debattieren lässt, ist im Wortsinn großes Kino. (LandarbeiterInnen und Trotzkisten setzen sich übrigens durch, der Grund wird enteignet.)
Zentrale Ideen
Auch die Szene, als der "Bund der Gerechten" schließlich in "Bund der Kommunisten" umbenannt wird, wirkt aufgesetzt. Es fühlt sich bestenfalls nach "Frühe Hippies versus frühe KlassenkämpferInnen" an. Dennoch schafft es Regisseur Peck hier zumindest, die zentrale Auseinandersetzung der Debatte zu vermitteln.
Hieß es zuvor "All men are brothers", ist die neue Losung "Workers of all countries unite". Es ist nicht mehr Geschwisterlichkeit mit allen Menschen, sondern soziale Gleichheit, für die künftig gekämpft werden soll. In anderen Szenen allerdings ist der Film auch inhaltlich sehr stark.
So erklären etwa Marx, Engels und Burns in einer Debatte mit einem Freund des Vaters von Engels ganz nebenbei einige Grundgedanken der marxistischen Ökonomie: "Wo blieben in einer Gesellschaft ohne Ausbeutung Leute wie Sie? Sie müssten auch arbeiten." Gleichzeitig stellen sie dabei auch noch die sogenannten Sachzwänge in Frage und holen so den Film ins Hier und Heute.
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Aktuelle Diskussionen
Dieser Bezug zu aktuellen Diskussionen wird auch an anderen Stellen deutlich: "'Das wird es immer geben' ist eine Formulierung der Bourgeoisie. Alles verändert sich." Das ist keine historische Formulierung, sondern von Peck offensichtlich als Aufforderung an eine aktuelle Generation von AktivistInnen gedacht.
Mit den Arbeiten zum Kommunistischen Manifest endet der Film. Unmittelbar danach werden in vielen europäischen Ländern Aufstände ausbrechen, die Revolution von 1848 hat begonnen. Marx und Engels reisen als Aktivisten durch halb Europa, Marx spricht auch mehrmals in Wien, unter anderem im Theater in der Josefstadt.
Theorie und Praxis
Und auch das ist eine weitere Besonderheit des Films: er zeigt Marx und Engels nicht nur als Theoretiker, sondern als die Aktivisten, die sie waren. Der berühmte Satz von Karl Marx aus 1844: "Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen" wird in der Revolution für die beiden Wirklichkeit. Für Engels sogar buchstäblich, er beteiligt sich im heutigen Baden-Württemberg als revolutionärer Offizier an den Kämpfen.
Trotz einiger Schwächen hat Peck einen Film geschaffen, der zweifellos seine ZuseherInnen finden wird. Hieß es nach dem Zusammenbruch des Stalinismus noch "There is no alternative", wird der Kapitalismus heute wieder vermehrt in Frage gestellt. Die Zeiten sind unruhiger geworden, alte Sicherheiten fehlen. Der Film kann dabei keine letztgültigen Antworten geben – doch er könnte Lust machen auf die Fragen.