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Lisa Schneider

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29. 3. 2017 - 13:05

Von Morde-Schu bis Kasthegar

Die in Graz lebende Autorin Nava Ebrahimi hat mit "16 Wörter" einen tragikomischen, wunderbaren Debutroman über ihre iranische Herkunft geschrieben. Sie liest daraus im Rahmen des Literaturfestivals "Wortspiele".

Was ist Muttersprache?

Per Definition die Sprache, die man als Kind schon vor dem Unterricht erlernt, meistens von seinen Eltern.

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Autorin Nava Ebrahimi zögert kurz, als es im Interview um ihre Muttersprache geht. Sie wurde 1978 in Teheran geboren, siedelte mit ihrer Familie aber nach Deutschland um, als sie drei Jahre alt war. Sie spricht fließend Persisch – auch wenn sie sich mittlerweile, wie sie sagt, im Deutschen besser, weil präziser, ausdrücken kann.

Nava Ebrahimi

Katrin Ohlendorf

Das Persische verschwand aber niemals aus ihrem Gedächtnis, vor allem ganz bestimmte Wörter nicht. Die wichtigsten 16 hat die junge Autorin jetzt genutzt, um ihren Debutroman zu schreiben. Die Geschichte dazu, so erzählt sie, trägt sie schon sehr lange mit sich herum. Sie will aufgeschrieben werden – und nun hat sie endlich einen Weg gefunden, das zu tun. Es hat angefangen, als Nava Ebrahimi über eines der ersten Worte nachgedacht hat, das sie als kleines Mädchen gelernt hat, nämlich Ezafebar, „Übergepäck“. Ein untypisches Wort, das viele von uns das erste Mal wahrscheinlich im Teenageralter zum ersten Mal am Flughafen aufschnappen, begleitete die junge Iranerin Tag für Tag.

Cover "16 Wörter" von Nava Ebrahimi

btb

Der Debutroman von Nava Ebrahimi, "16 Wörter", erscheint im Verlag btb.

„Es war einfach immer Thema. Ein ständiges Hin- und Herreisen, ankommen, gehen, viel zu viel mitnehmen wollen, aber nicht können. Zurücklassen. Und dann aber doch wieder die Übergepäcksgrenze zu sprengen. Die Koffer haben nie genug Platz gehabt, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn. Und dieses Wort hat mich auch darauf gebracht, meine Geschichte anhand von 16 persischen Wörtern zu erzählen.“

Übergepäck – damit wird Protagonistin Mona am Flughafen konfrontiert, als sie mit ihrer Mutter in den Iran zurückkehrt. Ihre Großmutter, „Maman Bozorg“ genannt, ist verstorben. Sie ist noch dazu allein, vor laufendem Fernseher, eingeschlafen. Eine Schande.

"Alleine vor dem Fernseher, so sterben doch nur Deutsche, einsame Deutsche, aber nicht meine Mutter, meine geliebte Mutter!", wehklagt Monas Mutter. Dabei scheint sie diesen Satz weniger für sich selbst als vielmehr für die vielen Tanten und Cousinen, das ganze Trauerpersonal, das extra angereist ist, immer und immer wieder laut seufzend zu sagen. Mona sieht die persischen Bräuche, die Rituale, die sie aus ihrer Kindheit kennt, aber die von ihrem jetzigen Leben in Köln, Deutschland so weit entfernt wirken. Außerdem kannte sie ihre Großmutter.

„Bei Maman-Bozorg fiel einem nichts ein, das sie noch hätte erleben, sehen oder essen wollen. Sie hat sich immer geholt, was sie brauchte. Wenn sie Eintopf kochte, fischte sie das beste Fleisch für sich heraus, bevor sie ihn servierte. Wenn sie ein Bad nahm, ließ sie sich von ihrer Tochter den Rücken abrubbeln, bs ihre Haut leuchtete wie eine rote Ampel und Maman der Schweiß von der Stirn rann. Deshalb hatte meine Großmutter bis zum Schluss eine Haut wie eine Dreizehnjährige.“

Bam, Iran

flickr/Charlie Phillips/CC by 2.0

CC by 2.0 Bam ist eine Stadt im Südosten des Irans. Sie war ein Touristenmagnet, bevor sie 2003 von einem verheerenden Erdbeben erschüttert wurde. Mona, die Protagonistin in "16 Wörter", besucht den Ort mit ihrer Mutter.

Momentan, und das bedauert Nava Ebrahimi, ist der Kontakt zu ihren verbleibenden Verwandten im Iran so gut wie abgebrochen. Früher aber, da war sie oft dort und ihre Großmutter oft bei ihr zu Besuch. Die in ihrem Roman als brüsk beschriebene und auffallend authentisch geschilderte Großmutter hat ein reales Vorbild: die Großmutter der Autorin.

„Sie war diejenige, die mir den Iran erklärt hat, als meine Eltern zu beschäftigt damit waren, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Immer hörte ich nur von anderen, von außen, wie ich den Iran zu sehen hatte. Vor allem in den 80er und 90er Jahren waren das nur bärtige Männer, die Amerika-Flaggen anzünden und schwarz verhüllte, grimmig blickende Frauen. Mittlerweile ist dieses Bild zwar differenzierter – aber damals habe ich mir gedacht: Das gibt es doch nicht, ich bekomme das nicht mit meinem Bild vom Iran zusammen."

"Die sollten alle meine Großmutter kennen. In ihrem ungebändigten Lebenswillen, ihrer ambivalenten, lauten, herzensguten, aber oft auch nervigen Art hatte sie mehr Spaß mit ihren 60 Jahren als jeder deutsche Teenager. Sie war ein wahnsinnig ambivalenter Mensch, herzensgut und lieb, für alle Menschen da - vor allem für Menschen in Not. Auf der anderen Seite konnte sie sehr herrschsüchtig sein und war sehr ungeniert, wenn wir unter uns waren."

Wortspiele 2017

Im Rahmen des "Internationalen Festivals für junge Literatur" liest Nava Ebrahimi am 30.3. im Wiener Porgy & Bess aus ihrem Debutroman.

Mehr Informationen zu den Wortspielen gibt es hier.

Weitere Lesungstermine gibt es hier.

"Kos", eines der 16 Wörter und auf Deutsch übersetzt als "Fotze", ist eines der Lieblingswörter ihrer Oma – und so poltern die Schimpfereien, wenn sie erst einmal in Fahrt ist.

Diese Geschichte wollte Nava Ebrahimi festhalten, die Geschichte über ihre verrückte Großmutter, die ihre Kindheit so stark geprägt hat. Und die Geschichte ihrer Heimat, ihres Irans, die nicht durch ein Fremdbild, sondern durch ihr eigenes geprägt ist. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft, die Überwindung der kulturellen und sprachlichen Barrieren, damit kämpft auch Protagonistin Mona. Über die Sprache, über die 16 Wörter, die Nava Ebrahimi aus ihrer Kindheit ausgesucht hat, hängt alles zusammen.

Jetzt, wo sie Kinder hat, erzählt die Autorin, lernt sie die Unterschiede zwischen ihren beiden Sprachen noch besser kennen. Das Persische ist viel ausschweifender und blumiger, während das Deutsche präziser, direkter ist. Die Autorin, die mittlerweile mit ihrer Familie in Graz lebt, spricht mit ihren Kindern hauptsächlich Persisch, vor allem, wenn es ums Liebkosen geht. "Dschudschu", ist so ein schöner Ausdruck. Befehle gibt es dafür auf Deutsch.

Auf die Frage nach einem ihrer persischen Lieblingsworte sagt Nava Ebrahimi: "Azadi – das bedeutet Freiheit. Das ist vielleicht ein bisschen pathetisch, aber ich wünsche mir, dass die Zukunft im Zeichen von Azadi stehen wird."