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Phekt

Geschichten aus dem Hip Hop-Universum und benachbarten Galaxien.

17. 3. 2017 - 15:30

"Eine kurze Geschichte von sieben Morden"

Marlon James preisgekröntes und episches jamaikanisches Gesellschaftsporträt, das rund um ein mysteriöses Attentat auf Bob Marley kreist, ist vor Kurzem auf Deutsch erschienen.

1976 stürmt ein Mord-Kommando das Haus von Bob Marley in der 56 Hope Road in Kingston. Der Sänger überlebt das mysteriöse Attentat, die Täter entkommen. Ausgehend von dieser Geschichte präsentiert der jamaikanische Autor Marlon James ein episches Gesellschaftsporträt, das nun in deutscher Fassung erhältlich ist.

Der Titel ist irreführend. „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ ist ein komplexer Wälzer mit mehr als 850 Seiten. Ausgezeichnet mit dem renommierten „Man Booker Prize 2015“ und zahlreichen anderen Preisen, nimmt das von Kritikern bejubelte Buch von Marlon James seine Leserinnen und Leser mit auf eine Zeitreise ins von Krisen gebeutelte Jamaika der 70er und 80er Jahre. Die Geschichte spannt sich bis nach Miami und New York der frühen 90er Jahren, wohin jamaikanische Drogenkartelle ihr lukratives Geschäft expandiert hatten.

Marlon James vor der Verleihung des Man Booker Awards

AFP

Marlon James vor der Verleihung des Man Booker Awards 2015

Ich habe mir das Buch „A brief history of seven killings“ vor etwa 6 Monaten in der englischen Originalfassung gekauft und muss gestehen, dass ich mir während des Lesens mehrmals gedacht habe, dass dieser Roman in einer anderen Sprache kaum funktionieren wird. Die deutsche Fassung beweist allerdings das Gegenteil.

Bomboclath

Im englischen Original, das für deutschsprachige Leser phasenweise extrem schwer zu verstehen ist (ich kenne eine Englisch-Lehrerin, die gescheitert ist), spielt Marlon James viel mit der Sprache und wechselt bei seinen Charakteren zwischen Englisch und lokalen Dialekten wie Patois oder Ghetto-Slang. In der deutschen Variante haben mehrere Übersetzer darauf geachtet, diese authentische, rohe Sprache des Romans zu bewahren und als Hilfestellung wurde dem Buch ein Glossar angefügt, das jamaikanische Ausdrücke wie „Bomboclath“ (ein Schimpfwort) oder „Duppy“ (die jamaikanische Bezeichnung für Geist oder Gespenst ) erklärt.

Der Kalte Krieg und Jamaika

„Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ seziert die jamaikanische Gesellschaft und die politischen Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des Attentats auf Bob Marley, der im Buch lediglich als „der Sänger“ vorkommt und auch nur lediglich die Rahmenhandlung vorgibt.

Nur kurz nach Erlangung der Unabhängigkeit wird Jamaika in den 70er Jahren zerrieben zwischen den Machtkämpfen der sozialistischen und Kuba-freundlichen Politik der Peoples National Party (PNP) und der konkurrierenden Jamaican Labour Party (JLP). Beide Parteien engagieren lokale Gangs, um sich Wähler in deren Einflussgebieten zu sichern. Die karibische Insel wird gleichzeitig zum Spielball diverser Interessengruppen des Kalten Krieges, die die Entwicklung in Richtung Kommunismus bzw. zu einer westlich orientierten Politik beeinflussen wollen. Das Attentat auf Bob Marley wird kurz vor einer richtungsweisenden Wahl im Land und einem geplanten gratis Open Air-Konzert des beliebten Künstlers, das lokale Politiker für sich reklamieren wollten, durchgeführt.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Bob Marleys Haus und Studio in der 56 Hope Road eine Art „neutrale safety zone“ war, in der Musiker aus dem In- und Ausland, Gang-Mitglieder, Ghetto-Dons und Politiker ein- und ausgingen. Das Attentat hat symbolisch auch dem Haus gegolten.

Ghetto-Dons und CIA-Agenten

Buchcover

Heyne Hardcore

Marlon James, "Eine kurze Geschichte von sieben Morden" ist von Guntrud Argo, Robert Brack, Michael Kellner, Stephan Kleiner und Kristian Lutze aus dem Englischen übersetzt worden und bei Heyne Hardcore erschienen.

Knapp 70 Charaktere kommen in „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ vor: ultra-brutale Ganster-Bosse wie Papa-Lo oder Josey Wales, CIA-Agenten, ein Journalist des Rolling Stone-Magazins der eine Geschichte über den Sänger schreiben will, ein toter Lokal-Politiker, der über das ganze Buch verteilt aus dem Jenseits spricht (nur Menschen kurz vor ihrem Tod können ihn wahrnehmen), von Kokain betäubte Macho-Gangster, die versteckt ihre Homosexualität ausleben, eine Frau, die alles tut, um nach Amerika emigrieren zu können. Marlon James wechselt rasant die Perspektiven, beschreibt z. B. seitenlang jene finalen Sekunden aus der Innenperspektive einer Person, deren Kopf von einer Kugel getroffen wird und lässt die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.

Der Autor entwirft komplexe Figuren, die man als Leser einerseits hasst, gleichzeitig sind es oft genau die vergewaltigenden Mörder und traumatisierten Soziopathen in der Geschichte, die den klarsten bzw. weisesten Durchblick haben und für die man plötzlich Sympathien entwickelt, obwohl man das gar nicht möchte.

Viel Blut im Paradies

Marlon James ist mit „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ ein hochkomplexes, sprachliches Meisterwerk gelungen, das mehrere Sinne anspricht. Der Geruch, der in der Luft liegt, wenn man dieses Buch liest ist von Schwarzpulver, vertrocknendem Blut, stinkenden Mülldeponien und einer Brise Meeresluft geprägt. Raffiniert verwebt der Autor seine Geschichte mit musikalischen Referenzen existenter Roots Reggae-Songs, die Hand in Hand gehen mit der Geschichte im Buch. Wer „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ gelesen hat, wird die karibische Insel nie mehr so wie davor sehen können und auch die Musik von Bob Marley und anderen Reggae-Künstlern in einem anderen Kontext wahrnehmen.