Erstellt am: 20. 3. 2017 - 13:00 Uhr
Widerstand gegen das Überwachungspaket
Im Jahr 2015 haben Aktivisten von Epicenter.Works, damals noch unter dem Namen AK Vorrat, die Vorratsdatenspeicherung mit Beschwerden beim österreichischen Verfasungsgerichtshof und beim Europäischen Gerichtshof erfolgreich zu Fall gebracht.
Jetzt haben die Aktivisten erneut - wie schon rund um die Verfassungsbeschwerde 2015 - eine Informationskampagne gestartet. Diesmal geht es um das von der Regierung geplante Überwachungspaket. Wie auf FM4 schon mehrmals berichtet, handelt es sich um die bisher umfangreichsten Einschränkungen der Privatsphäre, die in der zweiten Republik je geplant waren. Hier einige der Eckpunkte:
Unter Beobachtung
Ich war eine Stunde lang in der Wiener Innenstadt unterwegs und dabei immer im Visier von Überwachungskameras.
Vernetzte Videoüberwachung
Flächendeckend und lückenlos – so stellt sich Innenminister Wolfgang Sobotka die Videoüberwachung in ganz Österreich vor. Kameras sollen von staatlichen wie auch privaten Stellen betrieben werden. Die Bilder sollen in Echtzeit im Innenministerium zusammenlaufen. Damit gibt es eine zentrale, staatliche Kontrolle aller öffentlichen Plätze und des dortigen Lebens. Die Auswertung von Videos, zum Beispiel mittels automatischer Gesichtserkennung, ist heute wesentlich schneller und umfangreicher möglich als früher. Vernetzte, flächendeckende Videoüberwachung ermöglicht somit das Erstellen von Bewegungsprofilen der ganzen Bevölkerung.
AFP
Kennzeichenerfassung
Im Jahr 2007 hat der Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung zur Section Control festgestellt, dass eine Überwachung von Autofahrerinnen und Autofahrern nur auf besonders gefährlichen und per Verordnung festgelegten Strecken zulässig ist. Trotzdem wollen SPÖ und ÖVP jetzt die anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung der Kennzeichen aller Fahrzeuge, Verkehrskameras in ganz Österreich sollen dafür vernetzt werden. Die Behörden könnten somit Bewegungsprofile aller Autos in Österreich erstellen.
Ausweispflicht beim Kauf von Fahrscheinen
Unternehmen des öffentlichen Verkehrs sollen verpflichtet werden, die Daten ihrer Passagiere zu erfassen. Gemeinsam mit der der Überwachung von Bahnhöfen, Haltestellen und öffentlichen Plätzen und der Kennzeichenerfassung von Autos auf der Straße gäbe es dann keine Möglichkeit mehr, sich in Österreich noch unbeobachtet zu bewegen.
Lauschangriff im Auto
Innenminister Sobotka will Gespräche von Personen in Fahrzeugen leichter abhören dürfen: Im neuen Arbeitsprogramm der Regierung wird angekündigt, dass der Lauschangriff schon bei Delikten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind, zulässig sein soll. Argumentiert wird dieser weitere Schritt in Richtung Polizeistaat mit den Gefahren der organisierten Kriminalität und des Terrorismus.
APA/HANS KLAUS TECHT
Bundestrojaner
Schon im Jahr 2016 legte das Justizministerum einen Gesetzesvorschlag zur Einführung von staatlicher Malware vor. Justizminister Brandstetter aber zog den Entwurf aufgrund der Kritik von juristischer und technischer Seite zurück. Im Überwachungspaket findet sich die Forderung nach staatlicher Spionagesoftware nun erneut. Um an Informationen zu gelangen, sollen die Sicherheitslücken in den Computern und Smartphones der Bevölkerung ausgenützt werden – jener Geräte, mit denen wir kommunizieren, Netbanking betreiben und (ebenfalls auf Wunsch der Regierung) vielleicht auch via E-Voting unsere Stimme abgeben.
Vorratsdatenspeicherung neu
Die anlasslose Sammlung von Verkehrsdaten (kontaktierte Telefonnummern und E-Mail-Adressen, Betreffzeilen etc.) wurde bereits von mehreren Höchstgerichten in Österreich und Europa als grundrechtswidrig aufgehoben – aufgrund eines Verfahrens, das Epicenter.Works (damals noch unter dem Namen AK Vorrat) angestrebt hatte. Jetzt will die Regierung diese Leiche wieder ausgraben. Der Text zum Zombiegesetz ist noch nicht bekannt. Die Regierung will aber den Hauptkritikpunkt der Höchstgerichte vermeiden und spricht nun von „anlassbezogener“ statt anlassloser Vorratsdatenspeicherung.
Einschränkung der Meinungsfreiheit
Die Regierung will einen Straftatbestand schaffen, der Meinungsäußerungen betrifft. Es reicht, einen unliebsamen Bürgermeister zu kritisieren oder gegen politische Entscheidungen aktiv zu werden. Dabei gibt aus schon ausreichend Straftatbestände, die sich auf konkrete "staatsfeindliche" Handlungen beziehen. Wenn aber bereits Gesinnungen unter Strafe gestellt werden, kann man sehr einfach zum Staatsfeind erklärt werden.
Vorrangig scheint es im §246a StGB (Staatsfeindliche Bewegungen) um Reichsbürger und andere Staatsverweigerer zu gehen - allerdings betrifft der letzte Halbsatz des Artikel 1 auch Personen, die "auf gesetzwidrig
e Weise die Vollziehung von Gesetzen, Verordnungen, oder
sonstigen Entscheidungen der Behörden" verhindern, und die sind "mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu
bestrafen". Der vollständige Text des Gesetzesentwurfs mit Analyse von Epicenter.Works ist hier nachzulesen.
Viele Österreicherinnen und Österreicher sind stolz darauf, dass es 1984 gelungen ist, die Hainburger Au zu retten. Durch friedlichen Protest. Wenn es damals ein Gesetz gegeben hätte, wie es die Regierung jetzt plant, würde in Hainburg heute ein Kraftwerk stehen und kein Nationalpark.
Das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung würde ausgehöhlt werden. Nicht mehr die konkrete staatsfeindliche Handlung wird unter Strafe gestellt, sondern bereits die Kritik am Staat und seinen Institutionen.
Fußfessel für „Gefährder“
Bisher gibt es die Möglichkeit für verurteilte Straftäter, einen Teil ihrer Gefängnisstrafe mit Fußfessel im Hausarrest zu verbringen. Außerdem kommt die Fußfessel als gelinderes Mittel der Untersuchungshaft zum Einsatz. Innenminister Sobotka wünscht sie sich nun auch für Personen, die nicht aufgrund einer Straftat verurteilt wurden , die auch nicht konkret verdächtig werden, eine Straftat begangen zu haben, die aber womöglich eine begehen könnten – sie werden als „Gefährder“ bezeichnet. Die Bundesregierung spricht in diesem Zusammenhang von einer "abstrakten Gefährdungslage". Das steht im Widerspruch zum Prinzip der Unschuldsvermutung.
Registrierungspflicht für Wertkartenhandys
Laut Telekom-Regulierungsbehörde RTR gibt es in Österreich rund 4,5 Millionen Prepaid-SIM-Karten. Die Regierung will, dass jeder Kauf einer SIM-Karte in Zukunft mit der Registrierung der Identität einhergeht. In Mexiko hat diese Maßnahme zu einem blühenden Schwarzmarkt für anonyme Handy-Wertkarten geführt – das Land hat das Verbot daraufhin wieder abgeschafft. Tschechien, Neuseeland, Kanada, Rumänien, Großbritannien und die EU-Kommission haben die Registrierungspflicht für SIM-Karten analysiert und sich aufgrund der fehlenden Wirksamkeit dagegen entschieden. Das Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation wird gefährdet, und da eine Registrierung beim Verkauf im Diskont-Supermarkt schwer möglich ist, würden wohl auch bald die Preise für Wertkarten steigen.
Militär erhält mehr Kompetenzen für innere Sicherheit
Laut Regierungsprogramm sollen dem Militär mehr Aufgaben der inneren Sicherheit übertragen werden. Die Abgrenzung zwische Polizei und Bundesheer wird aufgeweicht. Darüber hinaus soll das Bundesheer auch Drohnen zur Aufklärung von Grenzregionen und biometrische Systeme zur Personenerkennung bekommen.
Von 20.3. bis 24.3. gibt es täglich Informationen über das geplante Überwachungspaket on air.
Montag, Mittwoch und Freitag in FM4 Connected (15-19 Uhr), Dienstag und Donnerstag in der FM4 Monrning Show (7-10 Uhr).
Die Regierung anrufen
Auf der Website von Epicenter.Works ist es möglich, die wichtigsten Proponenten des Überwachungspakets auf einfache Weise zu kontaktieren: Bundeskanzler Kern, Innenminister Sobotka, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Justizminister Brandstetter können per Mausklick nicht nur via E-Mail, Facebook und Twitter kontaktiert, sondern auch angerufen werden.
Diese Grassroots-Kampagne soll – wie schon zuvor bei Vorratsdatenspeicherung und Staatsschutzgesetz – das Schlimmste verhindern. Epicenter.Works will den Gesetzgebungsprozess in den nächsten Wochen sehr genau verfolgen. Viel Zeit bleibt nicht. Derzeit plant die Regierung einen Parlamentsbeschluss zu den Maßnahmen bis 30. Juni 2017.