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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

3. 4. 2017 - 16:10

Queer-Sein in Grönland

Im Roman "Nuuk #ohnefilter" verwebt Niviaq Korneliussen die Geschichten von fünf jungen Menschen ineinander.

nuuk

Zaglossus Verlag

"Nuuk #ohnefilter" von Niviaq Korneliussen ist im Wiener Verlag Zaglossus erschienen. Die deutsche Version wurde aus dem Dänischen übersetzt - von Giannina Spinty-Mossin und Katja Langmaier.

Eigentlich könnten die Geschichten in "Nuuk #ohnefilter" überall stattfinden. Fia, Inuk, Arnaq, Ivik und Sara sind fünf junge Menschen irgendwo zwischen 20 und 30 Jahren, die - wie wir alle - versuchen, ihr Leben zu meistern und je nach äußerer und persönlicher Erwartungshaltung in den Griff zu bekommen. Dass das nicht so einfach geht und das Leben oft schneller um die Kurve kommt, als man denkt, müssen sie im Laufe des Romans alle lernen.

Nuuk als Schauplatz

Dass die Übersetzer_innen der deutschen Version den Titel "Nuuk #ohnefilter" (Originaltitel: "Homo sapienne") gegeben haben, streicht für mich hervor, wie wichtig ihnen der Ort des Geschehens sein muss und das ist er auch für mich. Nuuk, die Hauptstadt Grönlands, die nur rund 18.000 Einwohner_innen zählt, eine Höchsttemperatur von um die 10°C im Sommer und im arktischen Winter nur eine halbe Stunde Sonne pro Tag aufweisen kann, ist also der Schauplatz des Romans. Eine über die Maßen hohe Depressions- und Suizid-Rate, Alkoholismus, sowie häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder sind die großen Probleme der grönländischen Gesellschaft.

All das darf man nicht vergessen und muss mitgedacht werden beim Lesen dieses Romans, denn gegen all das schreibt die grönländische Autorin Korneliussen an. Auch wenn so manches davon natürlich auch eins zu eins auf Wien, Innsbruck oder London anzuwenden wäre, wofür es im Buch auch lustige Beispiele gibt:

„Such sie, so groß ist Nuuk auch nicht“, lächelt sie.

„Nuuk ist groß, wenn man gern jemand Bestimmtes sehen will. Leute, denen man nicht über den Weg laufen will, tauchen ständig auf. Leute, die man gerne sehen will, sind wie vom Erdboden verschluckt,“ seufze ich.

Nuuk bei Nacht

CC BY 2.0 von Peter Løvstrøm flickr.com/piitaaraq

Was die fünf Protagonist_innen verbindet, ist das Entdecken oder Ausleben queerer bzw. nicht heteronormativer Sexualität. Dass das Leben sich aber nicht nur um Sex und Sexualität dreht, ist der Autorin spürbar bewusst, auch wenn es in "Nuuk #ohnefilter" an der Oberfläche erstmal immer nur genau darum zu gehen scheint. Interessant wird das Buch aber vor allem da, wo die politische Lebensrealität durch den Gedankenstrom der Protagonist_innen wie nebenbei miterzählt wird:

Die Grönländer tun mir leid. Grönländer zu sein ist peinlich. Aber ich bin Grönländer. Mit den Dänen kann ich keinen Spaß haben. Ich finde sie nicht lustig. Ich kann keine Gespräche mit Dänen führen. Das interessiert mich nicht. Ich kann mich nicht wie die Dänen benehmen. Es ihnen nicht gleichtun. Nicht ihre Werte teilen. Ich respektiere sie nicht. Ich kann nicht wie die Dänen sein. Ich bin kein Däne. Ich kann nicht in Dänemark wohnen. Dänemark ist nicht mein Land.

"Die Insel der Wut"

Korneliussen spielt mit dem Textbild und der Sprache. Sie verwebt englische und dänische (hier natürlich: deutsche) Sprache und vermischt sie mit grönländischen Ausdrücken, zu denen es am Ende des Buches ein Glossar gibt. Zwischen der Prosa sind SMS-Texte und E-Mails abgedruckt, oft die gleichen wie in einer der anderen Geschichten, doch plötzlich mit ganz anderem Hintergrundwissen. Geschickt werden die Leser_innen so gezwungen, ihre womöglich im vorherigen Kapitel gefassten Urteile neu zu überdenken.

fm4.orf.at/buch

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Oft hat man leider das Gefühl, dass kein_e Jugendliche_r der Welt so spricht und das "Coole" und das "Lässige" in der Sprache der Protagonist_innen scheint allzu konstruiert und von einem nicht mehr ganz so jungen Menschen erdacht. Doch wenn man es schafft, über diese Stellen hinwegzulesen, entwickelt der Roman einen Sog, dem man sich - mitsamt der Sprache - nur noch schwer entziehen kann. Und ehe man sich versieht, sind die nur 159 Seiten auch schon wieder viel zu schnell vorbei.