Erstellt am: 16. 3. 2017 - 16:54 Uhr
What’s The Matter With Your Life?
Jetzt also Pop. Seit 6 Jahren schafft es das Kuratorenteam des Heart of Noise, die scharfsinnigen Stefan Meister und Chris Koubek aus dem PMK-Umfeld, eines der europaweit ambitioniertesten Festivals für Noise-Avantgarde und Lärmkultur auf die Beine zu stellen. Fast nebenbei will das Festivalteam nicht nur ungehörte Musik aus den Metropolen der Welt in ein touristisches Provinzstädchen geben, sondern auch mittels ausgefuchsten Spielorten die städtischen Strukturen der Alpenmetropole musikalisch kartographieren. Ein Vorgang, der ob seiner internationalen Üblichkeit immer wieder Erstaunen hervorruft, stößt er doch in Innsbruck auf eine Ignoranz und Ablehnung, die es in Wien oder Graz seit den siebziger Jahren nicht mehr gibt - dort würden diese Leute mit Zwischennutzungsverträgen und Subventionen totgeworfen, dort schmücken sich Kulturstadträte mit Selfies, die sie mit Haxan Cloak machen dürfen. Aber Innsbruck hat ja auch von einem Antrag auf Kulturhauptstadt Abstand genommen - wohl wissend, dass man für so ein Vorhaben die avantgardistischen KulturarbeiterInnen der letzten 30 Jahre hätte besser behandeln müssen. So macht man eben im gewohnter Quixote-Manier weiter.
In vergangenen Jahren konnte das Festival im abrisswürdigen "Stadtsaal" die Schülerballerinnerungen aller InnsbruckerInnen mit neuem, atonalem Input vermengen – letztes Jahr wurde dieser abgerissen, das ambitionierte "Haus der Musik" an der selben Stelle ist noch nicht fertig, ob dieses in der Zukunft ebenfalls eine Heimat für das Heart of Noise sein wird, ist noch unklar.
Dem notorischen Mangel an bespielbaren Venues, die in der Hochpreisimmobilien-Spekulantenstadt Innsbruck mit ihrer traditionellen Abneigung gegen kulturelle Zwischennutzung von vorne herein rar gesät waren, konnte man in der Vergangenheit mit kreativen Lösungen beikommen. Stefan Meister schwört, dass er jeden möglichen Stall im Umkreis von 30 Kilometern bereits ausprobiert oder angedacht habe, größer sei Innsbruck eben nicht. So wird heuer, neben dem kooperativ agierenden Treibhaus, der Musikpavillon im Hofgarten und das Dach eines Hotels bespielt.
Das Heart of Noise Team scheint noch zusätzlich den Ehrgeiz zu verspüren, den staunenden Avantgarde-KonsumentInnen in einer Art veränderlichem Subtext eine andere Sicht auf ein Realphänomen der musikalischen Verwertungskette zu bieten – und sie machen das großartig, mit Eifer und Kundigkeit und mit einem Schuss Witz.
Letztes Jahr war das Forschungsobjekt der "Dub" mit Lee "Scratch" Perry, Jacques Palminger und Pole. Heuer – es geht um "Pop Life" - ist ausgerechnet der Erfinder des Industrial Rock, das platonische Kugelmensch- Gesamtkunstwerk Genesis P. Orridge mit seinen Psychic TV zu Gast – seit 25 Jahren einer der am prominentesten angeführten Vertreter eines künstlerisch radikalen "Anti- Pop". Dazu gesellt sich die norwegische Diskurs-Popperin Jenny Hval mit ihren genderzerschmetternden, überirdisch ästhetischen Elegien, der Minimal-Techno-Pionier Monolake, der verlässliche Christian Fennesz mit einem neuen Projekt und das jüngste Ninja-Tune-Wunderkind Forest Swords.
Heart of Noise, 2. bis 4. Juni 2017, Innsbruck
Hauptsächlich beweist das Heart of Noise Festival in Innsbruck seit Jahren, dass man weder das Publikum einer Metropole, noch die großzügige Subvention eines Landesfürsten oder das Geld einer Getränkefirma braucht, um ein künstlerisch anspruchsvolles, stringent kuratiertes und unterhaltsames Ferstival auf die Beine zu stellen. Wenn man weiß, was man tut, und so selbstvergessen alle Energie aufwendet, stellen sich auch die große Namen ein, die sich andere Jahre später erst auf ihre Fahnen schreiben können: 2015 wurde The Bug und Actress eingeladen, 2014 Haxan Cloak, Wolf Eyes und Russell Haswell, 2013 Jeff Mills und Dopplereffekt, 2012 Pan Sonics Mika Vainö und Moritz von Oswald … hab ich schon erwähnt, dass sich das Heart of Noise nicht verstecken braucht?