Erstellt am: 15. 3. 2017 - 17:56 Uhr
Laura und die Muse
Es war dann doch eine falsche Fährte. Der erste Song, den Freund_innen von Laura Marlings Musik von ihrem neuen Album "Semper Femina" letzten Herbst gehört hatten, war "Soothing", eine sich sachte heranschleichende Nummer, die einen grundsätzlichen Kurswechsel nahe legte. In Richtung einer gewissen Kunstigkeit vielleicht, weg vom Singer-Songwriterischen. Drei verschiedene Bässe, ein E-Bass, ein Kontrabass und ein mexikanisches Guitarrón, die ihr bestes geben, einander nicht auf die Zehen zu steigen, alles sehr interessant, aber auch ein bisschen statisch.
Zugegeben, als dann im Dezember eine Vorab-Fassung des Albums bei mir ankam, war ich doch dankbar, dass mich der zweite Song "The Valley" vom Kinnkratzen erlöste.
Da war dieses kreisende Fingerpicking, da schmeichelten die Robert Kirby-artigen Streichersätze und nicht zuletzt Marlings unendlich warme, mehrfach getrackte Stimme meiner Vorliebe für britische Post-Psych-Folk-Chansons der frühen Siebziger.
Und dann gleich danach "Wild Fire" mit seiner Combo aus Vibrato-Gitarre und E-Piano, dem international anerkannten Klassifikationsmerkmal für Vintage-Tiefgang, bereichert mit Shuffle-Beat und Tapestry-Chören der Marke Carole King via Norah Jones.
Laura Marling
Gefolgt von "Don't Pass Me By" mit Rhythmusmaschine auf Tango-Setting, noch mehr Vibrato-Gitarre, bis nach einer Minute vierzig dann die Band und die Pizzicato-Streicher einsetzen, dass dem Hipster fast der Mate-Tee entgleitet.
Und nirgends in Laura Marlings Stimme war dabei der zynisch angehobene Mundwinkel, die etwas bittere Lebenserfahrung aus dem Vorgänger-Album "Short Movie" zu hören.
Sowas geht einem durch den Kopf, wenn man ein demnächst bevorstehendes Interview mit Laura Marling im Kalender stehen hat und sich gerade seine Strategie dafür zurechtlegt. Nicht ohne Nervosität.
Und dann kommt da plötzlich ein Song daher, ohne eine Spur von Arrangement, einfach nur Marlings Stimme und ihre gezupfte Gitarre, ein zittriger Klang, wie ihn ältere Menschen wie ich noch von unseren jugendlichen Kassettenaufnahmen her wieder erkennen. Dieser ganz spezielle, fragile Sound, wenn das dünne, leichte Band außer Spannung gerät und vibriert, während es über den Tonkopf schleift.
Keine Ahnung, warum eine 27-jährige Künstlerin und ihr 29-jähriger Produzent Blake Mills sowas machen würden (und ja, ich hab vergessen, sie zu fragen!), vielleicht genau wegen des Effekts, den der Song auf mich hat: So als kauerte ich mit beiden Hinterbacken auf dem Boden von Marlings künstlerischen Intentionen.
Laura Marling
"Nouel" heißt der bewusste Song, ganz offensichtlich das Kernstück des Albums, schließlich kommt die Titelphrase des Albums "Semper Femina" darin immer wieder vor.
An dieser Stelle eine Randbemerkung: Wie mir die von der Promo-Abteilung hilfreich weitergeleitete Info klar machte, ist "Semper Femina" die zweite Hälfte einer Zeile von Vergil, die ich von selbst natürlich nie erkannt hätte (genauso wie ich von selbst nicht auf den Rainer Maria Rilke-Bezug gekommen wäre, der die ganze Prämisse des Albums mitträgt).
Meine Versuche, als von der Popkultur abgelenkter Schüler die "Aeneis" einzudeutschen, sind schon zu lange her, aber irgendwo in diesem antiken Werk kam wohl der Satz: "Varium et mutabile semper femina" vor.
"Fickle and changeable, semper femina", sang da nun Laura Marling in "Nouel", aber da waren auch noch ein paar andere Zeilen, die in dieser nüchternen Umgebung so markant herausstachen.
"She'd like to be the kind of free a woman still can't be alone", zum Beispiel.
Oder "She lays herself across the bed, the origine du monde" (okay, die Anspielung hab ich schon von selber kapiert).
Dieser erstaunliche Song öffnete mir den Bezug zu diesem Album als eine Auseinandersetzung mit dem Bild, das sich nicht nur Männer, sondern auch Frauen von Frauen machen; als eine sehr persönliche Erkundung ihres eigenen Umgangs mit dem Mythos der Muse (siehe dazu auch Marlings pragmatischeren Zugang in ihrem Podcast Reversal of the Muse) und dem "Terror der weiblichen Schönheit", wie sie selbst in Anspielung auf ihren Lieblingsdichter Rilke dazu sagt.
Und doch ist das Konzept dabei nie wichtiger als der Ausdruck und der Moment, das merkt man allerspätestens bei 2'35 im Schlusssong "Nothing, Not Nearly", wenn Marlings akustische Gitarre ganz beherzt den falschen Akkord spielt, der aber doch der richtige, weil eben der Beherzte ist.
Dementsprechend gut lief dann auch das Interview mit ihr, bald darauf an einem kalten aber klaren Jänner-Tag in London. Von dem gibt’s hier aber erst recht nichts zu lesen, die Absicht dieses Textes ist schließlich, dass man sich das selber anhört.
Zum Beispiel den Beitrag aus der FM4 Homebase vom vergangenen Montag als Stream im FM4 Player bis zum Wochenende, und zwar genau hier. Oder eine ausführliche Fassung in meiner nächste Ausgabe von FM4 Heartbeat am kommenden Montag ab 22 Uhr.