Erstellt am: 15. 3. 2017 - 11:28 Uhr
Vater, warum hast du uns verlassen?
Der eiskalte Donauwind bläst unermüdlich über die Ebene. Obwohl der Frühling schon auf dem Weg ist, werden die Windböen immer stärker, sie ziehen durch die zerbrochenen Fenster und Türen der verlassenen Plattenbauten und kreischen durch das erfrorene Land wie ein Rudel Schakale. Die Geisterstadt, bestehend aus drei- bis vierstöckigen Plattenbaumonstern, verfault schon seit Jahrzehnten in der Nähe des Städtchens Belene an der Donau in Bulgarien. Die Natur hat bereits Teile der Geisterstadt zurückerobert. Die Häuser sind von Unkraut befallen, Bäume wachsen auf den Balkons. Gebaut wurden sie in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, um die Arbeiter aus allen möglichen verbrüderten sozialistischen Ländern zu beherbergen, die in Bulgarien waren, um ein Atomkraftwerk zu bauen. Polen, Tschechen, Ungarn und Ukrainer sollten da wohnen. Für die Kubaner und die Vietnamesen wurden extra Holzbaracken gebaut, sie haben aber dem Zahn der Zeit nicht widerstanden und existieren nicht mehr.
Mit Akzent
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Das Städtchen Belene an der Donau, die natürliche Grenze zwischen Bulgarien und Rumänien, hat eine furchterregende Vergangenheit. Auf einer Insel im Fluss, gegenüber des Städtchens, befand sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eines der schrecklichsten Konzentrationslager für politische Häftlinge in Bulgarien. Ehemalige Gefängniswächter erzählen, was die meistverbreitete Foltermethode im KZ war: die Häftlinge nackt an einen Baum zu binden und mit riesigen Scheinwerfern zu beleuchten. Danach fielen die Gelsen über sie her. Bis heute befindet sich auf der Insel ein Gefängnis.
CC-BY-SA-3.0 / Plamen Agov
In Belene gibt es eine beachtliche katholische Community. In dieser Stadt wurde der katholische Bischof Eugenius Bossilkof geboren. 1952 wurde er vom kommunistischen Regime zu einem westlichen Spion erklärt und nach einem Scheinprozess erschossen. Vor 10 Jahren wurde er vom Vatikan selig gesprochen.
Heute wird ein anderer katholischer Priester in Belene verfolgt. Dieses Mal aber nicht vom totalitären Staat, sondern vom demokratisch gewählten Bürgermeister. Der Grund dafür ist, dass der Priester Paolo Cortesi vorgeschlagen hatte, eine syrische Familie in der Stadtkirche aufzunehmen. Das machte er, nachdem der Bürgermeister und die Stadtregierung sich eindeutig dagegen ausgesprochen hatten, die Syrer in der Stadt zu beherbergen. Sie hatten schon Asylstatus und befanden sich ganz legal in Bulgarien. Trotzdem wurden sie vom Bürgermeister verjagt und mit Gewalt bedroht. Empört davon appellierte der italienische Priester an den Humanismus und die Nächstenliebe der Stadtbewohner. Er nahm die Syrer in der Kirche auf. Danach bekam auch er Mord- und Gewaltdrohungen. Der Vatikan berief ihn zurück nach Rom. Der Priester hatte auch die Idee, ein Denkmal für die Opfer des KZ zu errichten. Das wird jetzt wohl verschoben.
Heute funktioniert das Gefängnis in Belene immer noch: als normales Gefängnis für Verbrecher. Es ist eine der wenigen funktionierenden Anstalten in der Stadt. Belene befindet sich im ärmsten Teil Bulgariens. Die Menschen haben ihre Hoffnung und ihren Glauben verloren. Auf dem Weg nach Italien schrieb ihnen Vater Cortesi einen Brief: "Liebe Freunde aus Belene! Habt keine Angst und keine Scham, für das Gute zu kämpfen!"
Tage nachdem der Priester Bulgarien verlassen hatte, wurden in der Hauptstadt Sofia Proteste für seine Rückkehr organisiert. Aber er ist schon in Italien. Dort gibt es auch Flüchtlinge, die Schutz brauchen.