Erstellt am: 14. 3. 2017 - 14:59 Uhr
Das Schweigen Gottes
Martin Scorseses Filme sind intensiv, manchmal bis zu dem Grad, dass man schon unruhig im Kinositz hin- und herrutscht – oder sich schon im Kinosessel unwohl fühlt. Taxi Driver, Kap der Angst, Gangs of New York, Wolf of Wall Street… Und jetzt neu: Schweigen.
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Es ist die Verfilmung von Scorseses Lieblingsbuch, "Schweigen" von Shusaku Endo aus dem Jahr 1966. Der Roman spielt im Japan des 17. Jahrhunderts während der Christenverfolgung. Scorsese, als braver Bub aus Little Italy in New York natürlich christlich aufgewachsen, fasziniert das Ringen um den christlichen Glauben im Buch des Japaners. In einem Vorwort von einer Neuauflage von "Schweigen" 2007 schreibt Scorsese:
"Mir fiel dieser Roman vor zwanzig Jahren zum ersten Mal in die Hände. Ich las ihn seither unzählige Male und bereite mich nun darauf vor, ihn zu verfilmen. Er hat mir auf eine Weise Halt gegeben, wie ich ihn bisher nur in sehr wenigen Kunstwerken fand."
Japan und Christentum - wie soll das zusammenpassen? Das sind wir schon bei der Kernfrage des Buchs.
Niemand erwartet die japanische Inquisition!
Zwei junge Jesuitenpater begeben sich um 1640 nach Japan, um ihren Lehrer und Mentor zu suchen. Der soll in Japan seinem Glauben abgeschworen und ein japanisches Leben mit Frau und Kind angenommen haben. In Japan herrscht zu dieser Zeit erbitterte Christenverfolgung. Das kann doch nur schiefgehen - und das wird es auch. Ein bisschen wie bei Moby Dick, wo man das Ende auch schon zu 99,9 Prozent vorhersehen kann und der lange Weg das Ziel ist. Das Schweigen in Shusaku Endos gleichnamigem Buch ist das Schweigen Gottes.
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In Martin Scorseses Filmadaption ist es Andrew Garfield, der als Pater Rodrigues mit runden Augen in die Welt sieht und sich fragt, warum Gott zu Mord und Folter von Christen schweigt. Und lasst mich eines verraten: Scorsese foltert weit deutlicher als der japanische Inquisitor im Buch.
"Es scheint, dass er mit der Hinterlist einer Schlange von seinem Vorgänger vollkommen verschiedene heimtückische Methoden einsetzt. Mit deren Hilfe gelingt es ihm, einen Gläubigen nach den anderen, die bisher Folterungen und Drohungen widerstanden haben, zur Aufgabe ihres Glaubens zu bewegen. ‚Besonders traurig ist es‘, sagte Hochwürden Valignano, ‚dass er sich einst zu unserer Religion bekehrt und sogar die Taufe empfangen hat.‘"
Die Welt im 17. Jahrhundert
Der junge portugiesische Jesuit Padre Rodrigues versteht die Welt nicht mehr. Welche Welt? 1634 gilt der Aderlass immer noch als probates Heilmittel. Von Portugal nach Japan braucht man per Schiff über Indien und China zwei Jahre. Es ist noch nicht einmal hundert Jahre her, dass der Jesuitenorden überhaupt gegründet wurde. Portugal hat in den vergangenen 150 Jahren wie im Rausch seinen Fuß auf Kolonien in drei Kontinenten gesetzt. Zeitweise gab es nicht mehr genug Seefahrer und Soldaten in Portugal, um all die Reichtümer der Kolonien an sich zu reißen.
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In Japan gab es vor der Zeit, in der das Buch ansetzt, ein christliches Jahrhundert. Protestantische und katholische Missionare umwarben Japan und hatten damit Erfolg. Hohe japanische Beamte und Feudalherren ließen sich taufen und auch bei den bitterarmen Bauern, die unter der Last der Abgaben stöhnten, fiel die Idee vom Paradies nach dem Tod auf einen sehr fruchtbaren Boden. Zur besten Zeit gab es in Japan 300.000 Christen auf 20 Millionen Einwohner.
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Drei Herrschergenerationen vor der Ankunft unseres Helden Padre Rodriguez dreht sich jedoch der Wind. Japan schüttelt die Fremden ab und beginnt sich zu verschließen. Christen werden verfolgt, auf Padres ein Kopfgeld von sagenhaften 300 Silberstücken ausgesetzt und wer nicht sterben will, muss abschwören und den Fuß auf ein Bild von Maria mit dem Jesuskind stellen. Ob der Glaube nun real ist oder nicht, die Konsequenzen sind schmerzhaft real.
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Das Schweigen hören
Sentimental vergleicht sich Padre Rodrigues nach Verrat und Gefangennahme mit Jesus im Garten Gethsemane und auf dem Kreuzweg. Doch das Schicksal und Autor Endo haben für ihn eine andere Rolle vorgesehen. Jesus und Judas, beide braucht die Geschichte, um fortzuschreiten. Der glorreiche Märtyrertod wird Rodrigues vom weisen Fürsten und Inquisitor Inoue verwehrt.
Scorsese lässt sich im Film viel Zeit für die spitzfindigen Dialoge zwischen dem japanischem Inquisitor und seinem Opfer. Aber auch für die Folterszenen, die im Buch oft nur mit einem kleinen Absatz beschrieben werden. Das Schweigen ist deutlich hörbar:
"Weißes Sonnenlicht brannte unbarmherzig auf den leeren Innenhof hinab. Die helle Mittagshitze beleuchtete deutlich die schwarzen Flecken auf der Erde. Es war das Blut, das aus der Leiche des einäugigen Mannes geflossen war. Wie vorher gab die Zikade ihren trockenen Gesang von sich. Kein Windhauch bewegte die Luft."
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Shusaku Endo
Septime Verlag
Shusaku Endos Stil ist absichtlich einfach. Die Fragen des Inquisitors Inoue klingen freundlich. Aber sie sind die quälenden Fragen um Sein oder Nichtsein, die sich der Autor Endo sein Leben lang selbst stellt. Endo hat französische Literatur in Japan und katholische Literatur in Frankreich studiert. Die Frage, ob Japan und christlicher Glaube zusammenpassen, ist die Frage seines Lebens. Unter den inzwischen freien Christen in Nagasaki und auf den Küsteninseln, wo Schweigen spielt, hat er auch eine Zeitlang gelebt. Endo sagte in einem Interview:
"Ich empfing die Taufe, als ich ein Kind war. Mit anderen Worten: Mein katholischer Glaube war ein Anzug von der Stange. Ich musste mich entweder dazu entscheiden, diesen Anzug meinem Körper anzupassen, oder ihn loswerden und einen anderen, passenden Anzug zu finden. Ich hatte oft das Gefühl, meinen katholischen Glauben loswerden zu wollen, doch letzten Endes war ich dazu nicht in der Lage."