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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

9. 3. 2017 - 10:41

Viktor und die Frauen

Doris Knechts neuer Roman hat den Titel "Alles über Beziehungen" und ist alles andere als Ratgeberlektüre.

Doris Knecht war am Donnerstag, 9.3., live in der FM4 Morning Show zu Gast. Nachhören kann man das hier.

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Doris Knecht begegnet dem Alltag der Menschen erst einmal mit einer neugierigen Haltung, das weiß man aus ihren Kolumnen für den Falter und den Kurier. Vor wenigen Tagen hat sie den Schauspieler, Kabarettisten und Regisseur Josef Hader porträtiert. Ihren Romanfiguren muss sie forschend gegenüberstehen, denn was sie ihnen zuschreibt, das nimmt man denen ab. In ihrem vierten und neuen Roman beantwortet ein Mann namens Viktor online einen Psychotest. Fragestellung: "Sind Sie sexsüchtig?" All die bis zu dieser Passage erwähnten Frauennamen hatten es schon angedeutet.

Ja, Viktor ist süchtig nach Sex. Und er will es sein - er hat eigens einige Fragen manipulativ beantwortet, um ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen, - und das, obwohl er den Terminus Hypersexualität bevorzugt und seine Magda liebt, die ihn mit mit drei Töchtern "bekinderte", wie Doris Knecht schreibt. Denn Magda will jetzt geheiratet werden und Viktor sieht keinen Anlass dazu. Zu beschäftigt ist er mit anderen Frauen und deren erregten Nippeln und "Mösen".

Fast 100 Jahre nach Schnitzlers Reigen

Doris Knecht lehnt an einer Fliesenwand

Pamela Rußmann

Doris Knecht

"Alles über Beziehungen" ist ein moderner Schnitzler’scher Reigen: Alle drehen sich um die Hauptfigur Viktor, es ist ein Ringelspiel. "Beklagenswertes Schicksal das, aus dem Viktor seit Jahren zu fliehen suchte, erfolglos und, na gut, nicht immer mit dem nötigen Nachdruck. Schwul sollte man sein. Aber. Und seine Schwestern würde er dadurch nicht los. Seine Schwestern nicht, und nicht ihre aktuellen, nervigen Bemühungen rund um seinen drohenden Geburtstag."

Der fünfzigste Geburtstag naht ebenso wie ein Festival zum Thema Flucht, als dessen Direktor Viktor auserwählt wurde. Doch in den Arbeitssitzungen finden sich nicht mal Menschen mit Migrationshintergrund ein und die größten Fluchtbewegungen gehen vom Intendanten aus.

Viktor trägt unfreiwillig Glatze und selbstbestimmt Bart. Die Lebensgefährtin Magda wünscht sich die Rasur und Freunde fordern, dass das Festival richtig krachen muss, denn wie will Viktor "mit Kunst ankommen gegen Selbstmordattentate, gegen das Grauen in Aleppo und die Kalifate des IS"? Viktor graut vor anderem. Auf der Bühne vor ihm performt bei einer Probe eine Schauspielerin, die es auch schon mal wissen wollte. Von und mit Viktor.

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Der ist zudem Vater von fünf Mädchen aus Beziehungen mit drei Frauen und er überfordert sich selbst permanent. Mit Frauen. Und wie er niemals innehält, so tut man das als Leser auch nicht. Die schlimmsten Klischees über die Wiener bürgerliche Gesellschaft könnten bestätigt werden und sie werden es auch. Wie treffend Doris Knecht aber das, was so abgeht, in Worte fasst, ist hart und zugleich witzig.

An sich wäre die Geschichte banal, doch Feinheiten verhinden, dass es zu trivial wird. So heißt es über Viktor, dass er seit Jugendjahren versucht, von anderen Menschen gesehen, also überhaupt wahrgenommen zu werden. Diverse Haarkreationen, Piercings und Tattoos zog er dazu heran. An anderer Stelle fragt sich die eine, wie dieses Weiterleben nach einer Trennung überhaupt gehen soll. Und eine andere geht ein Problem philosophisch an: "Wenn niemand von einer Affäre wusste, war sie dann überhaupt manifest? Existierte die Affäre dann überhaupt? War dann überhaupt etwas passiert? Es war diese philosophische Frage, Kant oder so, Helen hatte es vergessen: Gab es den Tisch, wenn ihn niemand sah?" Man nimmt Knecht diese Charaktere und deren Gedanken ab.

Liebe in drei Phasen

Zwei Liegen an einem Pool sind am Cover zu Doris Knechts neuem Roman "Alles über Beziehungen"

Rowohlt Berlin

Doris Knecht: Alles über Beziehungen, Rowohlt Berlin, 2017. Hier kannst du hineinlesen.

In der Erzählung wechselt Doris Knecht den Fokus und schwenkt immer wieder auch zu den Frauen. Die machen sich jede für sich so ihre eigenen Gedanken. Es wird das fantastische Wort "Minderbepooltheit" fallen und zwar ausgerechnet im kürzesten Kapitel, in dem eine Kurznachricht eine Gartenparty sprengt. "Es war nur eine SMS, kein Geschoss, keine Boden-Luft-Rakete und keine Autobombe. Es war nur eine Reiche-weiße-Leute-SMS, die da in Magdas Handy aufpoppte, aber Magdas kleine Welt brachte sie zum Einsturz, komplett."

In "Vorher", "Dann", "Nachher" hat Doris Knecht den Roman geteilt. Drei Wörter für die Liebe. "Nach einem Drei-Wörter-Satz ist man ganz allein", schreibt Juli Zeh in ihrem Roman "Schilf" und nennt Beispiele: "Ich liebe dich. Ich hasse dich. Vater ist tot. Ich bin schwanger". Ob ein Viktor am Ende allein da steht? Doris Knechts Stil ist Nonchalance in Perfektion und "Alles über Beziehungen" ein Buch für ein noch eher winterliches Wochenende zuhause.