Erstellt am: 8. 3. 2017 - 16:47 Uhr
Immer noch shouting lager
Alternative Überschriften für diesen Artikel waren "Die Überdosis Nostalgie", "The Re(n)turn of the Jedi", "They Call Me Simon Now" und "Lust for Life 2.0".
"Shouting Lager" ist übrigens eine Referenz zu Underworlds "Born Slippy". Wenn man das nicht weiß, dann sollte man sich "T2 Trainspotting" vielleicht gar nicht erst anschauen.
Wenn man über die großen, jugendkulturbeeinflussenden Filme der 90er Jahre spricht, dann hört man oft drei Beispiele: "Pulp Fiction", "Fight Club" und "Trainspotting". Ersteres wird ja sowieso mit jedem neuen Tarantino-Film irgendwie gesequelt und eine "Fight Club"-Neuadaption spinnt schon seit Jahren gerüchtemäßig als mögliches Musical herum. Zu "Trainspotting" gibt es schon seit Jahren zumindest in Buchform einen Nachfolger, aber auch ein neuer Film startet diese Woche in den Kinos.
Lose auf dem Buch "Porno" von Irvine Welsh basierend, erzählt der "T2 Trainspotting" betitelte Film die Geschichte vom Antihelden-Quartett Mark "Rent Boy" Renton, Daniel "Spud" Murphy, Simon "Sick Boy" Williamson und Francis "Franco" Begbie weiter und schließt an die Ereignisse des ersten Films an. Und beschäftigt sich dabei hauptsächlich mit den Konsequenzen von Rent Boys Entscheidung am Ende von "Trainspotting" aus dem Jahr 1996.
Zwanzig Jahre nach seinem Verrat kehrt der nach Amsterdam gezogene Mark Renton (natürlich wieder hervorragend gespielt vom unendlich charismatischen Ewan McGregor, der ganze Cast ist in "T2" wieder mit dabei) nach Edinburgh zurück, um seinen Vater zu besuchen. Die in der schottischen Stadt zurückgebliebenen anderen drei Mitglieder des früheren Freundeskreises lebten ihr Leben in der Zwischenzeit weiter, so richtig aus dem persönlichen Abgrund, der in Teil 1 offenbart wird, schaffte es aber keiner von ihnen rauszukommen.
Die Rückkehr von Rent Boy zerüttelt relativ schnell den Alltag der Charaktere, startet alte Konflikte neu und öffnet neue Möglichkeiten zu Geld, persönlicher Weiterentwicklung oder verspäteter Rache zu kommen.
Sony Pictures
Zurück nach Edinburgh
"T2 Trainspotting" ist ein Sequel im wahrsten Sinne des Wortes. Der Film baut stark auf alten Motiven des ersten Teils auf, zeigt was aus den verschiedenen Charakteren geworden ist und ist voll mit Referenzen, Inside-Jokes und augenzwinkernder Selbstironie. Für Fans des Films ist das ein schöner Besuch in den altbekannten, düsteren Hinterstraßen von Edinburgh, ein trip down memory lane. Menschen, die sich nicht so gut in der Welt von "Trainspotting" auskennen, oder den ersten Film überhaupt noch nie gesehen haben, sollten dadurch aber zumindest ganz schön verwirrt sein.
Womit "T2 Trainspotting" die Frage nach der idealen Herangehensweise an das Thema Sequel aufwirft, vor allem wenn zwischen den beiden Filmen mehr als zwei Jahrzehnte Abstand liegen. Dass Regisseur Danny Boyle, der bekanntlich ein besonders guter Vertreter seiner Berufsgruppe ist, darüber ganz genau nachgedacht hat, ist sehr wahrscheinlich. Entschieden hat sich der Filmemacher aber für ein Sequel, das weniger gut als alleinstehender Film funktioniert, dafür aber für die Leute, die "Trainspotting" noch gut in Erinnerung haben, umso mehr bietet.
Erfolgreiche zweite Teile von Filmserien, die auch ohne viel Vorwissen funktionieren, gibt es einige: "Das Imperium schlägt zurück", "Zurück in die Zukunft II", "Jurassic Park 2" oder "Terminator 2" sind allesamt Ableger, die zwar mehr Sinn ergeben, wenn man sich mit der Thematik der Vorgängerfilme auskennt, trotzdem aber auch ohne großes Auskennerwissen als in sich abgeschlossene Geschichten funktionieren. "T2 Trainspotting" gehört ziemlich sicher nicht zur Schule dieser Filme.
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Die Sache mit der Musik
Womit wir schon beim großen, beschreibenden Wort für den Film sind: Nostalgie lautet die Devise, Nostalgie in der Handlung, in den Bildern, im Setdesign und vor allem in der Musik. Der Soundtrack zu "Trainspotting" gilt schließlich als einer der besten aller Zeiten und hat in den 90er Jahren einer ganzen Generation jungen Menschen gezeigt, was es doch für gute Musik da draußen gibt. Und so nebenbei mit dem Inkludieren von Iggy Pops "Lust for Life", einem Lied, das fast zwanzig Jahre vor "Trainspotting" herausgekommen ist, der Karriere des Musikers eine ganz neue Bedeutung gegeben hat.
"T2 Trainspotting" verlässt sich auf die altbekannten Tracks: Iggy Pops Nummer ist in einer neuen Version von The Prodigy am Soundtrack des Films zu finden, genauso wie das "Trainspotting"-Lied schlechthin, "Born Slippy .NUXX", eine Nummer, von der die meisten Leute wohl nur das Intro kennen. Elektroformation Underworld bringt den Hit auch für den neuen Film wieder zurück, nur halt diesmal in einer alternativen Version namens "Slow Slippy". Und die präsentiert sich wie der Film und die Charaktere darin erwachsener, gezeichneter und nachdenklicher. Aber trotzdem, das muss man auch dazu sagen, keine Spur weniger interessant.
Was ist aber mit kontemporärer Musik? Was ist eine Band, die zwar musikalisch wichtig ist und repräsentativ für die Stimmung des Films, aber trotzdem noch nicht zu sehr im Mainstream steckt? Für Danny Boyle hat sich dieses Problem durch seine Entdeckung einer der spannendsten Bands der letzten Jahre gelöst: Die schottische Gruppe Young Fathers. Die sind gleich mehrmals am Soundtrack vertreten, mit "Only God Knows" hat die Band auch eine neue Nummer beigesteuert. Sonst noch darauf zu finden: Blondie, Queen, Wolf Alice und die Fat White Family. Das passt alles sehr gut, vor allem im Kontext des Films.
Sony Pictures
Ein bisschen weniger arg
Wenn man mit Leuten über "Trainspotting" spricht, den Film, den scheinbar eh jeder und jede irgendwann mal irgendwie gesehen hat, dann erinnern sich die meisten interessanterweise an ganz bestimmte Szenen. Szenen, die durch ihre Härte, Tristesse oder Brutalität auffallen: Der Bierwurf von Franco Begbie, das Versinken im Teppich, die Nadeln, die durch Arme stoßen, das Baby, Spuds unangenehmes Erwachen oder die Entzugskur in Rentons Kinderzimmer.
"T2 Trainspotting" verzichtet irgendwie auf diese Elemente. Übertrieben arge Szenen gibt es eher wenige zu sehen, viel mehr präsentiert sich der Film harmloser, kurzweiliger, ja sogar comichafter, wenn zum Beispiel brutale Schlägereien wie in Bud Spencer-Filmen inszeniert werden. Alles ist softer, wärmer und ruhiger. Für die schöne Nostalgie ist das ganz nett, die Kälte, die der erste Film aufgrund seiner düsteren Thematik vermitteln musste, fällt damit aber weg.
Stattdessen suhlt man sich in den Referenzen und der Frage danach, wie ein "Choose Life"-Monolog im 21. Jahrhundert aussehen (das wird natürlich beantwortet) oder wie eine Person wie Franco Begbie heutzutage als älterer Mann leben würde. Je nachdem, was man sich von einem Nachfolger zu "Trainspotting" erwartet, kann das was gutes oder aber auch was schlechtes sein. Lässt man sich aber voll auf den nostalgischen Ausflug in die Vergangenheit ein und akzeptiert den Film für das was er ist, kann das schon sehr gut funktionieren. Das wegweisende Stück Jugendkulturewigkeit sollte man aber nicht erwarten.
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Get ready for nostalgia
Kinostart
10. März 2017
Und so ist es schließlich die Nostalgie für Teil 1, die man aus dem eigenen Leben in den Kinosaal mitnehmen muss, die "T2 Trainspotting" zu einem guten Film macht. Wenn "Born Slippy" in melancholischer Nachdenklichkeit im Hintergrund hereinfadet, wenn Renton "Lust for Life" auflegt, bevor er nervös die Nadel von der Platte zieht oder wenn Spud tagträumerisch die jugendlichen Mark und Simon an sich auf den Straßen Edinburghs vorbeilaufen sieht, dann erinnert man sich als Fan des Films nicht nur an den ersten Teil, sondern vor allem auch an sich selbst, als man "Trainspotting" zum ersten Mal gesehen hat. Als man zum ersten Mal im Film "Lust for Life" gehört hat, "Perfect Day" und "Atomic" und über die Clubszene oder die abgefuckteste Toilette Schottlands gelacht hat.
Und irgendwie ist das der Idealfall von Nostalgie, in der man erkennt, wie wichtig ein Film für das eigene Erwachsenwerden war. Was das für "T2 Trainspotting" als für sich alleinstehender Streifen bedeutet, ist aber schon wieder eine andere Frage. Genauso, wie die Frage danach, ob das jetzt ein Film ist, den man unbedingt machen musste. Wenn man mit rosaroter Brille bittersüß auf den ersten Teil zurückblickt und sich darauf einlässt, was man da wie gut bekömmliche, warme Suppe aufgetischt bekommt, dann ist "T2 Trainspotting" ein unterhaltsamer, kurzweiliger und vor allem auf die gute, alte Tränendrüse drückender Film. Shouting
Lager lager lager lager. Für immer.