Erstellt am: 19. 3. 2017 - 12:06 Uhr
The Flesh And Bones That Make The Music
Das, was ihn an ihrer kürzlich gestarteten Welttour am meisten überrascht hat? Dass Leute tatsächlich zu den Shows kommen, grinst Methyl-Ethel-Sänger Jake Webb im Interview. Seiner sympathischen Zurückhaltung halte ich entgegen, dass einige der Shows nicht nur gut besucht, sondern sogar ausverkauft sind. Ja, entgegnet er, in UK und in Australien. Da sind wir kein unbeschriebenes Blatt mehr.
Mia Mala McDonald
Und auch wenn der Rest der Welt noch immer überlegt, wie man diesen herrlichen Zungenbrecher von einem Bandnamen richtig ausspricht, gibt's Methyl Ethel schon seit 2013. Gestartet im australischen Perth, als Schlafzimmer-Soloprojekt von Webb, und im Zuge eines Fundraising Events für eine lokale Radiostation spontan zum Trio gewachsen. Die ersten Songs entstehen auf einem ganz einfachen Taperecorder, und gut, dass Jake Webb schon seit Kindertagen mehrere Instrumente beherrscht, weil so kann er, wie er sagt, das erste Mal alles in Eigenregie machen.
Erobere Perth, erobere die Welt
Auf die Frage, welche Partikel im Perth'schen Trinkwasser es veranlassen, so viele sehr gute MusikerInnen in die Welt zu entlassen (u.a. Kevin Parker, Luke Steel), entgegnet Jake, es liege wohl an der Größe der Stadt. In abgeschiedener Lage, an die Wüste grenzend gibt es nicht sehr viel Spannendes in der Westküsten-Stadt, und das hat auch ihn vermutlich dazu gebracht, Musik zu machen. Wesentlich spannender aber: Das Vorhandensein einer so dichten, gut vernetzten Musikszene hat ihn konkurrenzfähig gemacht. Im elterlichen Wohnzimmer liefen die Beatles und Neil Young, der ausgefranste Artrock, den Methyl Ethel jetzt machen, blinzelt aber nicht nur in die goldenen 60ies zurück, sondern auch nach vorn, etwa in Richtung Animal Collective. Und, wer psychedelic sagt, muss natürlich auch Tame Impala sagen.
4AD
Das Debutalbum, "On Inhumane Spectacle", erscheint schon vorher, wird aber erst 2016 international vertrieben – über das englische Label 4AD, einer verlässlichen Schnuppernase, wenn's ums Entdecken spannender, neuer Nischenbands geht. Und auch "Everything Is Forgotten", der Nachfolger, erscheint am selbigen Label, diesmal unterstützt vom Superstar-Producer James Ford (u. a. The Last Shadow Puppets, Simian Mobile Disco). Mehr als sein Vorgänger treten sich Methyl Ethel jetzt ihre eigenen Fußstapfen. Das zeigt sich vor allem im verfeinerten Songwriting sowie im Bruch mit traditionellen Popsong-Strukturen.
Who needs a chorus?
Seine Unruhe und Rastlosigkeit packt Jake Webb in hastige, experimentierfreudige Stücke, die sich durch subtile Kunstgriffe interessant machen. Wenn man genau hinhört, wird man in fast jedem Song eine Phrase finden, die sich beliebig oft, und nicht selten im Stakkato gesungen, wiederholt. Die Wiederholung tritt an die Stelle eines Refrains, wenn etwa im augenscheinlichsten Beispiel "Ubu" gefühlt 40 Mal "Why'd you go and cut your hair" ertönt.
Jake Webb: "Traditionally there's the chorus, right, but I don't think you need to write a song with a chorus in it, repetition can do that. It turns a lyric into a motif, if melody and lyrics work together."
Jake Webb erzählt weiter über seinen neuen Zugang zum Songwriting:
"I've always been scared of thinking too much about sitting down and writing. I find it a little too contrived, too overthought, I tried to use a bit more of a conscious approach to the lyric writing. I think on 'Everything Is Forgotten' I became a bit more confident to what I have to say. I want to set myself the challenge to work over lyrics more, as for example Leonard Cohen would do, spending years for perfecting his poetry, that's admirable."
Immer wieder überarbeitet und umso in sich versteckter: Offenlegungen stehen Methyl Ethel nicht, und da ist es auch schnell einmal nicht klar, ob Jake Webb die Single "Ubu" nach dem gleichnamigen Theaterstück von Alfred Jarry oder der Band Pere Ubu benannt hat. Rätseln, das sollen die Zuhörer.
So erklärt er auch das spooky Artwork, auf dem das Trio von Kopf bis Fuß weiß bestaubt und in die Leere starrend zu sehen ist.
Methyl Ethel
Jake Webb: "The idea is to kind of present ourselves as being blank, as being void of personality, you won't see the band as wearing T-Shirts and jeans, leaning against a brickwall and being cool. This is just the flesh and bones that make the music."
Der wahre Witz
Französisch betitelte Songs ("L'Heure de Sorcieres"), japanische Folkolore-Einflüsse (Hyakki Yako), und ja, sogar Schlager ("Schlager") findet man auf "Everything Is Forgotten". Eine wilde Mischung an Gefühlen, die zu Musik gemacht wurden, die auf den roten Faden pfeift und nur durch klare Momente wie das Falsett von Jake Webb zusammengehalten werden. Es bräuchte keine, aber Jake Webb hat eine Rechtfertigung parat:
"For me, it's somehow like a joke. Because at the end of the album, after having put in so many potentious ideas and thoughts and music into the record, in the end I kind of just think, perhaps it's all kind of "Schlager", it's all just pop music. You can make of it what you will."