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Hanna Silbermayr

Lateinamerika, Migration, Grenzen und globale Ungleichheiten

7. 3. 2017 - 11:32

Feminismus in Krisenzeiten

Venezuela steckt seit Jahren in einer tiefen Krise fest, Ende ist keines in Sicht. Macht es in solch einer schwierigen Situation überhaupt Sinn, über Feminismus zu sprechen?

Jeden Tag steht Mariluz frühmorgens auf. Manchmal bereitet sie zum Frühstück Arepas vor, weiße Maisfladen, die sie zum Schutz vor den Fliegen unter einen Plastikdeckel auf den Teller legt. Ihr Mann und die Töchter haben dann zu essen, wenn sie zwei Stunden später aus ihren Betten kriechen. Sie selbst wickelt eines der noch warmen Brötchen in eine Plastikfolie und verlässt damit das Haus. Draußen ist es noch dunkel, die Straßen sind fast menschenleer.

Mariluz nimmt den ersten Bus und fährt ins Zentrum von Caracas. Um diese Uhrzeit dauert die Fahrt nur eine halbe Stunde, denn es sind kaum Autos auf den Straßen unterwegs. Im Zentrum angekommen beginnt der Spießrutenlauf. Mariluz stellt sich in eine der Schlangen vor einem Supermarkt und sie weiß: Sie wird den gesamten Vormittag in Schlangen vor Supermärkten zubringen. Immer in der Hoffnung, das eine oder andere Produkt zu staatlich regulierten Preisen ergattern zu können.

Schlange vor Supermarkt in Venezuela.

Hanna Silbermayr

Menschen stehen vor einer Supermarkt-Schlange. Häufig reichen diese ganze Häuserblöcke entlang. Meistens sind es Frauen, die in diesen Schlangen ausharren, um das Notwendigste für die Familie zu kaufen.

Am Nachmittag ist sie wieder unterwegs, dieses Mal mit einer großen Thermoskanne unter dem Arm und kleinen Plastikbechern im Rucksack. Sie läuft über einen Platz im reicheren Osten der Stadt und schreit alle paar Schritte die Worte: "Café, café, café!" Für 100 Bolivares verkauft sie heißen, schwarzen Kaffee im Plastikbecher an Angestellte, die im Schatten der Bäume ihre Mittagspause genießen oder an alte Männer, die sich am frühen Abend zum Diskutieren auf dem Platz treffen.

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Elisabeth Scharang diskutiert am 7.3. ab 20:30 mit Corinna Milborn, Katharina Mückstein, Martin Prinz und Yasmin Hafedh aka Yasmo.

Erst spät abends kommt Mariluz nach Hause zu ihren Kindern. Sie macht Abendessen - Arepas mit Eierspeise - und bringt später die Töchter ins Bett. Und dann fällt auch sie in die weiche Matratze. Für kurze Zeit kann sie sich ausruhen, bevor das Spiel am nächsten Tag frühmorgens von Neuem beginnt.

Die Krise betrifft vor allem Frauen

Die Geschichte von Mariluz ist fiktiv und doch passiert sie so oder so ähnlich jeden Tag in Venezuela. "Eine Krise wie die, die wir heute in Venezuela erleben, betrifft vor allem Frauen", erklärt Hisvet Fernández, Sozialpsychologin und Menschenrechtsaktivistin. Sie wären es, die sich in die Schlangen stellen, um etwas zum Essen zu besorgen. Sie suchten Lebensmittel an allen möglichen Orten. Um ein Kilo Mehl zu bekommen, müssten sie in vier verschiedenen Geschäften nachfragen, ob es dort welches zu kaufen gibt. "Und am Ende des Tages kommen sie doch mit leeren Händen nach Hause".

Auch Rebeca Madriz sieht das so. Sie selbst bezeichnet sich als Aktivistin der bolivarischen Revolution und leitet das Nationale Fraueninstitut in Caracas. Allerdings glaubt sie, dass die Ursache der Krise in einem von außen organisierten Komplott zu suchen wäre. "Die internationalen Drohungen gegen Venezuela und gegen unsere Regierung bringen letztenendes uns alle, speziell aber die venezolanischen Frauen in Gefahr", sagt sie.

Staatsfeminismus

Dabei wird in Venezuela Staatsfeminismus groß geschrieben. Bereits Hugo Chávez, verstorbener Ex-Präsident und Begründer der bolivarischen Revolution, hat ihr den Feminismus an die Fahnen geheftet. "Ich erkläre mich zu einem Feministen. Und ich glaube, dass die Revolution feministisch sein muss", sagte er 2008 bei einer Rede anlässlich des Weltfrauentages. Geblieben ist davon wenig.

Hugo Chavez

CC BY openDemocracy

"Ich erkläre mich zu einem Feministen. Und ich glaube, dass die Revolution feministisch sein muss", sagte Venezuelas Ex-Präsident Hugo Chávez bei einer Rede anlässlich des Weltfrauentages im Jahr 2008. CC BY openDemocracy

Zwar haben Frauen in Venezuela durchaus wichtige Positionen inne, wie etwa die Direktion der Wahlaufsichtsbehörde. Auch Rebeca Madriz betont, dass Frauen auf allen Ebenen der sozialistischen Organisation zu finden sind: "Wir befinden uns im Zentrum der Politik, auch, um die bolivarische Revolution zu schützen." Doch Hisvet Fernández sieht genau hier das Problem. "Ja, es gibt Frauen, die diese Ämter bekleiden", sagt sie, "aber sie wurden dort hingesetzt, um dem Machthaber zu dienen. Damit werden aber keine Frauenrechte verteidigt."

Vielmehr würden Frauen vom Chavismus kooptiert, es gehe keineswegs darum, dass Frauen Bewusstsein über ihre Situation erlangten.

Feministischer Kampf um Grundrechte

Ginge es nach Hisvet Fernández, müsste der Feminismus viel weiter unten ansetzen, als er das derzeit tut. "In Venezuela wird der feministische Kampf seit jeher von Frauen der Mittelklasse geführt", erklärt sie, Frauen mit hoher Bildung, einem sicheren Arbeitsplatz und Zeit, sich feministischen Agenden zu widmen.

Doch der feministische Kampf müsse an der Basis geführt werden. "Der Großteil der venezolanischen Bevölkerung lebt in Armut", sagt sie. Darum müssten feministische AktivistInnen eigentlich mit diesen Frauen in Kontakt treten, denn sie wären es, die am meisten mit der aktuellen Situation zu kämpfen hätten.

"Die einfache Frau interessiert nicht, dass sie als Abgeordnete ins Parlament gewählt werden kann. Was sie will, sind ein Dach über dem Kopf, Essen, Bildung und Gesundheit." Und genau hier müsse der venezolanische Feminismus ansetzen: Zuerst müssten für Frauen gewisse Grundrechte gesichert sein, dann erst könne man mit den Frauen weiter an feministischen Zielen arbeiten. "Der feministische Kampf muss auf konkretere Rechte ausgeweitet werden, auf Dinge, die die einfache Frau betreffen, denn sie ist es, die den feministischen Kampf letztendlich weitertragen wird."