Erstellt am: 6. 3. 2017 - 14:27 Uhr
Alle Farben, die es gibt
Elevate Festival
Das Festival für elektronische Musik und politischen Diskurs findet von 1. bis 5. März in Graz statt.
Das gesamte Diskursprogramm ist bei freiem Eintritt im Forum Stadtpark zu besuchen.
Kraut und Krach und Tanzen in unbekannten Ausdrucksformen. An seinen letzten beiden Tagen und Nächten hat das Elevate Festival Graz noch einmal seine Stärken als Vernetzer und Brückenbauer zeigen können, als Schmelztiegel der Formen und absurder Whirlpool.
Beispielsweise beim Live-Auftritt des neuseeländischen Producers Fis Samstagnacht im Tunnel im Schloßberg hat sich das Gefühl der Erleuchtung im Mäntelchen der Zerstörung präsentiert. Fis – kennt ja wieder mal kaum ein Mensch. Deswegen kann man ja auch hingehen, zum Elevate, um verlässlich überrascht, bekehrt oder in neue Erkenntniszustände verstört zu werden.
Michael Zahnschirm
Fis hat schon etliche Singles, zwei Alben und diverse EPs veröffentlicht – am prominentesten eine davon beim einstigen Cool-Label Tri Angle. Kann sich jemand an Tri Angle erinnern? Hafen und Hochburg des Sounds, der da mal Witch House geheißen wurde. Mit zähflüssigem Summen, schemenhaftem Dub und verpitchten Geisterstimmen aber hat Fis nichts am Hut.
Er kommt vom Drum’n’Bass. Er hat ihn kleingehackt und forscht an seiner Zersetzung, das Tempo hat er hart gedrosselt. Das bedeutet in der Live-Darbietung, dass es da schon ordentlich pfeift und summt und quietscht.
Michael Zahnschirm
Feines Geröll und Glassplitter massieren das Bewusstsein, scharfe Geräusche, die sich nur langsam, langsam und manchmal zu Musik formen. Es ist nicht unbedingt tanzbar, dafür ein intuitives Begreifen. Fis: ein Highlight beim Elevate Festival Graz, Bestrafung und Begnadigung.
Auf Fis folgte am Samstag der englische Produzent Logos, ebenfalls Neu- und Weiterdenker von Drum’n’Bass und Jungle, dabei vergleichsweise dem Dancefloor zugetan.
Auf seinem 2013 erschienenen, hervorragenden Album „Cold Missions“ hat Logos erfolgreich ein modernes Update von Grime erprobt: Musik mit Kanten und Brüchen, minimalistisch, mit vielen Leerstellen und Pausen. Rhythmisch vertrackt, gleichermaßen klinisch und kalt wie roh und abgefuckt.
Zum Elevate Festival ist Logos mit einem DJ-Set gekommen, in das zwar auch all seine Trademark-Sounds geflossen sind, das aber die übliche Sperrigkeit mit Luftigkeit und gar Humor ausbalanciert hat. Das Set von Logos war ein abenteuerlicher Ritt über Jungle und Dancehall, mit und ohne Vocals, Grime, Breaks, Cuts, Melodie, Lärm, Fanfare und alles. Auch dies: eine Verkettung von Glücksmomenten.
Johanna Lamprecht
Johanna Lamprecht
Im großen Floor im Dom im Berg wurde derweil verstärkt der geraden Bassdrum gehuldigt, beispielsweise von Techno-Übervater Juan Atkins, der in seinem DJ-Set recht klassizistisch und konzentriert der mächtigen Maschinen-Musik aus Detroit ein Denkmal errichtete. Karg, monoton und doch funky, hypnotisch. Juan Atkins darf das und kann das.
Patrick Pulsinger und Sam Irl hingegen fanden in ihrem wie immer sehr guten Live-Set zwischen Tanzbarkeit und Techno die Improvisation und das wild wuchernde Experiment – gleichzeitig donnerte es oben im Berg in der in einer Höhle gelegenen Stage namens Dungeon: Dort oben spielt beim Elevate Festival für gewöhnlich das besonders Arge. Noise, Drone, Nichts.
Johanna Lamprecht
Diesmal gab es beispielsweise die große Elektronik-Geheimniskrämerin und Konzeptkünstlerin Inga Copeland mit ihrem neuen Alter Ego Lolina in überraschend verträglicher Inkarnation, mit Versuchsanordnungen zwischen Dub und nebulösem Pop aus der Echokammer.
Der italienische Musiker und Produzent Lorenzo Senni stellte in seinem Live-Set die Verbindung zwischen repetitiver Minimal Music im Andenken an Terry Riley und Rave her, bisweilen gar seltsam happy. Weird, wunderbar. Vieles mehr geschah.
Clara Wildberger
Nach viertägigem Wahnsinn im Geiste von Party und allen Musiken verabschiedete sich das Elevate Festival am letzten Abend mit einem kleinen Konzertreigen im Orpheum. Konzerte der eher freieren, experimentelleren Sorte. Zum Runterkommen, zum Hören und Verstehen.
Donnergott Stephen O’Malley, der in seinem Leben schon mehrere hundert Platten vollgespielt hat, gab vor imposanter Verstärkerwand an der Solo-Gitarre die endgültige Dröhnung, den klassischen Rock’n’Roll-Film „This is Spinal Tap“ dürfte er verinnerlicht haben: Immer wieder schraubte er an den Geräten herum und schien den Regler, der bis zur 11 aufdrehen kann, nicht zu finden. How much more black could it be?
Clara Wildberger
Das Wiener Trio Radian erwies sich hingegen wieder einmal als die beste Band Österreichs – aber in solchen Kategorien müssen die drei Herren ohnehin nicht denken.
Bass, Schlagzeug, Gitarre, Elektronik, Radian waren diesmal ungewohnt rockig, drifteten Richtung Shoegaze, dann wieder Richtung kleinteilig zischelndem Jazz. Da ein kurzer, spröder Funk, dort minimalistisches Rauschen und Knistern.
Eine filigrane Musik, die von Zäsuren und Rissen lebt, dabei aber doch immer groovt. Vielleicht wollen wir die Band Radian als prototypisch für das Elevate Festival ansehen.