Erstellt am: 5. 3. 2017 - 14:24 Uhr
Krasse Sachen
Elevate Festival
Das Festival für elektronische Musik und politischen Diskurs findet von 1. bis 5. März in Graz statt.
Das gesamte Diskursprogramm ist bei freiem Eintritt im Forum Stadtpark zu besuchen.
Krasse Geschichten hört das Publikum beim Elevate Festival in Graz. Big Data, Quantifizierung und Algorithmen sind die Themen und die werden höchst unterschiedlich angegangen. Da ist etwa der Spanier Manuel Beltrán, der vorhat, mehrere hundert Euro pro Monat an jene Personen zu zahlen, die ihm ihre Daten zur Verfügung stellen. Der Künstler Beltrán hat außerdem einen Anzug gebaut, der Körperwärme in Kryptowährung übertragen will.
Oder die Rechtsanwältin Renata Avila aus Guatemala, die in Belgrad lebt und sich für digitale Bürgerrechte engagiert. Sie berichtet von den sogenannten „Charter Cities“ in Honduras, die sich der Wirtschaftswissenschafter Paul Romer ausgedacht hat: Das Land Honduras stellt Konzernen Sonderzonen zur Verfügung. Die Konzerne können dort über eine Stadt inklusive deren Menschen verfügen. Ärger als jede Freihandelszone sei das, sagt Renata Avila im Interview. Dass auch die Daten der dort lebenden Menschen gesammelt werden könnten oder würden, erscheint in dem Fall ein zu vernachlässigendes Problem. "But hey! We have a new euphemism! It's called digitalisation", sagt Evgeny Morozov am Podium zu „From Smart Cities to a city of the commons“.
Elevate Festival / CC BY-NC-ND 2.0
Vom hohlen Zauberwort Digitalisierung
Evgeny Morzov hat das Elevate Festival mit einer Rede eröffnet, in der er mahnte, keine ahistorische Diskussion zu führen. Er ist der Star des Diskursprogramms und er hat ein Problem damit, große politische Probleme auf ethische Dilemmata zu minimieren, die von KonsumentInnen in Angriff genommen werden könnten. Darum sei es sinnlos, sich über die Digitalisierung von Lebensbereichen zu unterhalten und dabei Algorithmen als gut oder böse ausmachen zu wollen, aber den Blick auf das große Ganze auszusparen. „Dieser Zugang hält nur das Unrecht aufrecht“, erklärt Evgeny Morozov im Interview.
„Ich habe die Geschichte neoliberaler Ideen sehr genau studiert. Wenn Neoliberale über politischen Wandel sprechen, reduzieren sie das Thema auf eine Souveränität der KonsumentInnen. Es ist die Idee, dass Bürgerschaft und Bürgerrechte verringert werden und der gesamte politische Wandel auf dem Markt passieren soll.“
Digitalisierung als Zauberwort, das von den großen Problemen ablenkt und auf die Einzelne und den Einzelnen zurückgespielt wird. Das erinnert den gebürtigen Weißrussen an die Obsession mit Fair Trade. Natürlich würde man sich wohl fühlen, wenn man teuren Kaffee aus fairer Produktion kaufe. Aber an der Dynamik, die der Globalisierung zugrunde liegt, würde das kaum etwas ändern, so Morozov. „Das heißt nicht, dass du keinen Fair Trade Kaffee mehr kaufen solltest! Es heißt, wir sollten uns in der Diskussion nicht zu lange damit aufhalten.“
Elevate Festival / CC BY-NC-ND 2.0
Die Ohnmacht der KonsumentInnen
„Uns wird verklickert, dass es sich einzig um ethische und moralische Entscheidungen handle, die wir als Individuen treffen. Die Diskussion um Digitalisierung dreht sich um die Ethik von Algorithmen, sie dreht sich darum, Algorithmen offen zu legen und darum, KonsumentInnen davon zu überzeugen, Plattformen zu nützen, die ihre Algorithmen transparent machen. Das bringt uns nicht weiter", so Morozov. Dabei sollte man vielmehr diese Fragen angehen: Welche Rolle spielen Daten? Wie schaut die politische Ökonomie dieser Plattformen aus? Und wie sehr integrieren sich diese Konzerne als Regierungen?
Evgeny Morozov liest in fünf Sprachen und schreibt derzeit an seiner Doktorarbeit in Harvard. Ursprünglich waren es amerikanische Unterstützer, die auf Morozovs Arbeit für NGOs in Osteuropa und Südostasien aufmerksam wurden und begannen, ihn zu fördern. Sein letztes Buch hat den Titel „Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen“. 1984 geboren, schreibt Morozov Artikel, die darlegen, dass er gebildet ist – heutzutage anscheinend auch schon nicht selbstverständlich – und stellt den historischen Verweisen seine eigene Ansicht gegenüber.
Renata Avila und Francesca Bria warnen vor einer Südamerikanisierung Europas und sie beziehen sich auf die Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Genauso gut könne man vor einer Rumänisierung Europas mahnen, sagt Evgeny Morozov und fragt zuvor, ob bekannt sei, das Francesca Bria seine Frau ist. Bei der Diskussion darüber, wie smart Smart Citys tatsächlich sind, sagt sie: "We are late to have this conversation. We have to get back to the notion of radical democracy." Genau den Versuch unternimmt die Stadtregierung von Barcelona, der sie als Beauftragte für Technologie und digitale Innovation angehört und somit Teil des Teams der Bürgermeisterin Ada Colau ist. Vom Widerstand gegen Delogierungen zu Regierungsverantwortlichkeiten reicht Colaus Werdegang bisher. Barcelona hat Uber aus der Stadt verbannt und setzt auf eine überraschende Umkehr im Umgang beim Tourismus: man setzt auf weniger statt auf mehr. Denn TouristInnen bringen Geld, aber die Branche treibt die Mieten in die Höhe und schafft nur saisonale und prekäre Arbeit. Uber etwa ist überböse, vermittelt Francesca Bria, die in der Verwaltungsarbeit auf open source Programme setzt. Die Spanier bräuchten keine weiteren prekären Jobs, sondern Arbeitsplätze.
Elevate Festival / CC BY-NC-ND 2.0
Uber wird zum Running Gag. Francesca Bria bezieht sich mehrfach auf das Unternehmen. Die Beispiele, die ihr Mann Evgeny Morozov von Technologiekonzernen in Silicon Valley bringt, sind nichts Neues, wenn man sich nur ein bisschen dafür interessiert, woran Google und Co. arbeiten. Evgeny Morozovs Monologe und teils unterhaltende Rants könnten einem auch an Zeitgeschichte-Instituten unterkommen. Allein, mit seiner permanenten Anti-Haltung verpackt der Publizist die Inhalte geschickt.
Elevate Festival / CC BY-NC-ND 2.0
Die Ökonomie der Aufmerksamkeiten
Es ist spannend zu beobachten, wie Aufmerksamkeit generiert wird. „Pussy Riot sind sehr präsent. Es ist sexy, über Punk-Sängerinnen in Russland zu berichten. Aber über unseren Planeten, unsere Zukunft und die Biodiversität und die Frauen, die für sie kämpfen, wird kaum gesprochen“, bedauert Renata Avila. Am Elevate Festival geht es am Freitag um den Ausverkauf der Natur. Die Antwältin Avila ist einer der internationalen Gäste, die einen anderen Blickwinkel zum Elevate bringen: Sie berichtet von Frauen in Guatemala, die in einer Sprache kämpfen, die nicht ihre ist, und in einem System, das von weißen Männern geschaffen wurde.
Für Umweltschützerinnen war 2015 das tödlichste Jahr bislang (wie auch immer das ermittelt wurde) und unter den Toten sind sehr viele Indigene, sagt der Finne Aslak Holmberg. Ob tagsüber im Forum Stadtpark oder abends im Dom im Berg, Aslak Holmberg trägt eine interessante Hemd-Jacke. Er ist Lachsfischer, Student und Mitglied des Saami Parlaments. Wie die Teilnehmenden am Podium zu „Nature for Sale?“ unaufgeregt und ohne gegenseitigen Widerspruch ihre Erkenntnisse teilen, ist faszinierend und traurig zugleich. Mehrfach wird Standing Rock erwähnt, auch Aslak Holmberg ist nach North Dakota gereist. Aber der große Protest der indigenen Bevölkerung gegen den Bau einer Öl-Pipeline in North Dakota ist durch Polizeieinheiten Ende Februar aufgelöst worden.
Burkas, Körperwärme und Drohnen
Als Aktivisten bezeichnet zu werden, das lehnen der Brite James Bridle und der US-Amerikaner Adam Harvey ab. Dann würden ihre Arbeiten ja unter einem speziellen Blickwinkel gesehen. Der eine setzt seit 2010 die Schatten-Umrisse von Drohnen 1:1 in den öffentlichen Raum, Vorlagen für die Skizzen kann sich jeder im Netz herunterladen. Der andere hat u.a. eine Burka konzipiert und in geringer Stückzahl produzieren lassen, die aus einem Material ist, das vor der Auffindbarkeit durch Überwachungskameras schützen soll. Aufmerksamkeit wird mit Projekten geschaffen, die ein potentielles Erregungspotential beinhalten. Das wird aber in der Präsentation nicht groß thematisiert.
Umso größer ist das Echo. Da macht einer eine Burka, die nicht vor den Blicken der Männer, sondern vor tödlichem Kriegsmaterial schützen soll. Also eigentlich wieder vor dem Gesehen-Werden von Männern. „Interessant“ ist das Wort, das man dazu sagt, weil man sich nicht länger mit einer vermutlich sinnlosen Debatte über die religiösen, politischen und sozialen Implikationen einer solchen Arbeit aufhalten will. Die Welt war immer schon komplex, sagt James Bridle. Jetzt, durch das Internet, können wir uns nur genauer anschauen, wie verrückt sie sei.
Radio FM4
Radio FM4
Einfach mal einen Gedanken in den Raum zu stellen, das macht Beltrán mit der Installation „Speculative Capital“. Ähnlich wie einst Arbeitspferde obsolet wurden, werde es uns Menschen in naher Zukunft ergehen. Also muss der Körper als Produktionsort Gewinn erwirtschaften, so die Idee. Körperwärme wird in Cryptowährung transferiert. Schaut so aus:
harvesting humans - mining by humans #basicincome @Beltrandroid #ElevateFestival #e17walk #e17speculative pic.twitter.com/hbnnt4ScPP
— Joachim Lohkamp (@JockelLohkamp) 4. März 2017
Kritische Stimmen aus dem Publikum bei der Präsentation beantwortet Manuel Beltrán freundlich. Da würde er gern mehr erfahren, er sei erst am Beginn seiner Forschungsarbeit. Diese Naivität ist erstaunlich. Einerseits ermöglicht sie, dass Gedanken weitergesponnen werden. Andererseits könnte man sie als brandgefährlich erachten.
Die Euphorie über Technologie kannn Lars Holdhus nicht verbergen. In China ließ der Norweger für 1500 Euro sein Erbgut ermitteln und hat das Ergebnis ins Netz hochgeladen. Sein Papa und seine Schwestern hatten nichts dagegen. „Upload yourself“ heißt das Projekt. Freunde fragen Holdhus, was sie denn mit dieser Datenmenge von 150 GB machen sollten. Er wisse es auch nicht, sagt der Künstler.
Elevate Festival / CC BY-NC-ND 2.0
Indes tragen Frauen im Kunstverein <rotor> Samstagnachmittag Künstlerinnen in die Wikipedia ein. Die Frage ist, wie kann man verhindern, dass die Einträge bald wieder wegen angeblicher Irrelavanz gelöscht werden? "Wir Mädchen wissen, wenn wir in die Disco gehen, dass wir nicht alleine durch die Parks alleine nach Hause gehen sollen, weil das potentiell gefährlicher ist für Frauen als für Männer. Selbst die offene Straße ist gefährlicher. Wir haben eine Sozialisation, die vermittelt: Wenn du was alleine machst, wird das sowieso nichts. Das ist schlimm, es hat aber auch einen riesen Vorteil: Wenn wir als Frauen in der Wikipedia schreiben und einander zu erkennen geben, dass wir anderen Frauen zu Präsenz verhelfen, können wir alle aufeinander achten."
Highlights am letzten Festivaltag
Heute ist Sonntag und das Elevate ist noch lange nicht zu Ende. Weiter geht es u.a. mit der Informatikerin Constanze Kurz zu "Big Data - Big Players - Big Problems". Der Jurist Max Schrems, die Autorin Ingrid Brodnig u.a. werden über über "Perception Management" sprechen.
Ein deutscher Text zur Diskussion, wie wir uns vor Fake News wappnen können, ist nicht verfügbar. Auf Englisch klingt vieles gleich ganz heiß. Der Zuspruch zum Diskursprogramm des Elevate Festivals ist diesmal beachtlich und mit der Festivalkooperation „We Are Europe“ kommen neue Ansichten nach Graz.