Erstellt am: 3. 3. 2017 - 18:10 Uhr
Klick, klack
Robert Glashüttner
Freitag, 3. März, 8:55: Ich stehe vor einem Elektronikgroßmarkt in Wien, gemeinsam mit knapp dreißig anderen Geeks. Großer Andrang ist das keiner und wirklich ungeduldig wirkt auch niemand. Die Menschen freuen sich zwar, dass sie gleich in die Videospielabteilung laufen und sich eine Nintendo Switch schnappen werden. Doch von überschwänglicher Vorfreude ist nichts zu spüren. Man tauscht sich ein bisschen aus, wartet geduldig, bis die Glastüren komplett zur Seite geschoben sind. Selbst der Lauf durch den Großmarkt ist eher eine geliebte Launch-Day-Tradition denn eine Notwendigkeit: Bei der Switch-Palette angekommen, greift sich jeder (ich habe nur Männer gesehen) eine Konsole, ein paar Spiele und Zubehör und schreitet ohne jegliches Gekreische zur Kassa. Es bleiben erstmal viele Geräte übrig.
Red versus Blue
Die Switch basiert auf einem interessanten Konzept: Es ist ein Tablet, das ein bisschen aussieht wie ein etwas größeres Navigations-Gerät fürs Auto, und an das links und rechts zwei kleine, sogenannte Joy-Cons in blau und rot gesteckt werden. Damit kann man unterwegs spielen. Ist man zu Hause angekommen, nimmt man sie ab und steckt sie in eine spezielle Halterung. Aus zwei Joy-Cons wird so ein klassischer Gamecontroller. Ist man zu zweit, lässt man Rot und Blau voneinander getrennt, steckt an jeden von ihnen eine Handschlaufe und ist somit für (mobilen) Mehrspieler/innen-Spaß bereit. Die Nintendo Switch ist nämlich vor allem eine Konsole, die für lokale Multiplayer- und Partyspiele optimiert worden ist.
Nintendo
Gab es das nicht schon vor über einem Jahrzehnt?
Nur fünf Spiele sind zum Marktstart der Konsole in Europa als Steckmodule im Handel erhältlich: "The Legend of Zelda: Breath of the Wild", "Just Dance 2017", "Skylanders Imaginators", "Super Bomberman R" und "1-2-Switch". Das neue "Zelda" ist die Verlockung für Fans und "1-2-Switch" jene Minispielsammlung, die Gelegenheitsspieler/innen überzeugen soll. Wir spielen dabei immer zu zweit oder zu viert kuriose Dinge wie Kühe melken, Yogaposen halten oder Revolver ziehen. Dabei sehen wir uns gegenseitig in die Augen und nicht auf den Bildschirm.
Nintendo
Im Vergleich zur Games-Konkurrenz wirkt die Flexibilität und das Konzept der Switch innovativ, verspielt und zugänglich. Allerdings ist es nur eine Variation von dem, das Nintendo schon vor über zehn Jahren mit der Wii auf den Markt gebracht hat: Die Minigames funktionieren ähnlich wie viele Spiele auf der originalen Wii und auch die Joy-Cons keine allzu große Weiterentwicklung der Wiimote-Fernsteuerungen. Den Classic-Controller, als zusätzliches Eingabegerät erhältlich, gab es auch schon für die letzten beiden Nintendo-Konsolen.
Durchwachsenenes Line-Up
Spielkultur auf FM4
fm4.ORF.at/games
Das, was jetzt zum Launch der Nintendo Switch an Hard- und Software geboten wird, wäre in Ordnung, wenn das Preis-/Leistungsverhältnis stimmen würde. Doch das Grundgerät (ohne beigelegtem Spiel) kostet schon mal 330 Euro, was für eine Konsole, die nicht mit Rechenkraft, sondern Verspieltheit punkten möchte, gar nicht so wenig ist. Dazu kommen Games, die für das, was sie bieten, nicht jeweils 50 sondern maximal 30 Euro kosten dürften. "Breath of the Wild", das Kernspiel der Konsolenveröffentlichung, ist zwar ein umfangreiches Rollenspiel, aber mit 70 Euro auch ziemlich pikant bepreist. Zubehör, wie weitere Gamecontroller oder Taschen, sind auch bei der Konsolenkonkurrenz meist obszön teuer und Nintendo bildet mit der Switch hier keine Ausnahme von der Regel.
Alle Spieleserien (bis auf "Zelda"), die man sich von einer neuen Nintendo-Konsole erhofft, bleiben vorerst aus: Ein aufpoliertes "Mario Kart 8" wird erst im Sommer nachgereicht, ebenso "Splatoon 2", das eigentlich das originale "Splatoon" in der aktuellen Version mit ein bisschen mehr Inhalten sein wird. Absurd: "Super Mario Odyssey" wird angeblich bis zum Weihnachtsgeschäft zurückgehalten, obwohl es bereits fertig sein soll. Über neue Teile beliebter Serien wie "Metroid" oder "Mega Man" gibt es bisher höchstens Andeutungen. Wie schon bei der Wii U sieht es danach aus, als ob Dritthersteller wie Capcom, Square Enix oder Ubisoft die Switch aufgrund ihrer andersartigen Architektur stiefmütterlich behandeln.
Nintendo
Indies als Hoffnung
Die Download-Spiele, die in Nintendos Eshop zum Release der Switch erschienen sind, haben wir leider zu spät erhalten und konnten sie deshalb in diesen Text nicht näher miteinbeziehen.
Um den Gram der Spielkulturmenschen nicht zu sehr herauszufordern, versucht Nintendo die Situation mit dem Hinweis auf Indie-Games-Entwickler/innen zu besänftigen. Über 60 von großen Verlagen unabhängige Spiele sollen noch bis Ende 2017 für die Switch erscheinen - konkrete Namen und Stichtage gibt es allerdings noch wenige. Im Download-Shop findet man bisher nur eine erste Vorahnung auf die Menge an Games, etwa in Form des digital-papierenen Puzzlegames "Snipperclips" oder des Neo-8-Bit-Hits "Shovel Knight".
Es stellt sich auch die Frage, wie viele dieser Titel Portierungen bereits veröffentlichter Games sein werden und wie viele Spiele tatsächlich auf der Switch erstveröffentlicht werden. Darüber hinaus ist nicht klar, inwiefern sich das Spielerlebnis dabei von anderen Systemen abhebt, so, dass sich der Besitz der neuen Nintendo-Konsole auch bezahlt macht.
Ist die Switch der Dreamcast von Nintendo?
Beobachter/innen der Games-Industrie sehen - ebenso wie viele Konsument/innen - Nintendo immer mehr auf dem absteigenden Ast. Die Veröffentlichungen auf der gefloppten Wii U waren in den letzten Jahren höchst spärlich. Um nicht komplett stillzustehen, hat man sich mit Wiederveröffentlichungen von Retro- und Indieklassikern beholfen. Der Einzug von langjährigen Nintendo-Serien wie "Super Mario" und "Fire Emblem" auf Smartphones und Tablets in den letzten paar Monaten hat zwar solide Erfolge gefeiert, könnte aber auch als desperate Handlung gesehen werden, weil das moderne Mobile Gaming Nintendo in den letzten paar Jahren bereits so sehr das Wasser abgegraben hat.
Ist die Switch also das letzte Aufbäumen eines müden, ergrauten Riesen? Der PR-Zirkus bis zur Veröffentlichung der Konsole (inklusive aufwändigem Auftritt in der Tonight Show mit Jimmy Fallon) als auch die Vorabberichterstattung in der Fach- und Publikumspresse ist für Nintendo weitgehend positiv verlaufen.
Reality Check
Der Launch scheint uns aber wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und stellt klar: Die Welt braucht ultimativ keine Nintendo-Spielgeräte mehr. Die Hardware der Konkurrenz ist mindestens so intuitiv. Das Prinzip der Spieleserie, die es nur auf einem bestimmten Gerät gibt, gerät immer mehr in den Hintergrund. Und der Verzicht auf technische Stärke zugunsten von Einfallsreichtum und Zugänglichkeit macht keinen Sinn mehr: Längst koexistieren sowohl auf Computern als auch auf klassischen Power-Konsolen die großen Technik- und Grafikmonster in friedfertiger Einigkeit mit den kleinen, verqueren Indie-Titeln.
Ob die Nintendo Switch wirklich der Sargnagel der japanischen Traditionsfirma sein wird (bzw. zumindest ihrem Videospielsegment), bleibt abzuwarten. Sollten die Spieleveröffentlichungen bis Ende des Jahres maßgeblich an Fahrtwind gewinnen, könnte die Konsole ihren Herstellerkonzern wieder stabilisieren. Falls nicht, werden wir uns schon bald die Frage stellen, warum wir überhaupt noch dieses ganze überteuerte Plastik daheim herumliegen haben. Fest steht: Zum jetzigen Zeitpunkt zahlt es sich nicht aus, die Switch zu kaufen. Selbst "The Legend of Zelda: Breath of the Wild" kann man auf der alten Wii U spielen.