Erstellt am: 2. 3. 2017 - 15:26 Uhr
Mitdenken und mittanzen
Elevate Festival
Das Festival für elektronische Musik und politischen Diskurs findet von 1. bis 5. März in Graz statt.
Das gesamte Diskursprogramm ist bei freiem Eintritt im Forum Stadtpark zu besuchen.
Wenn die Sonne auf die Grazer Dächer scheint, die Liebesschlösser auf der Murbrücke glitzern, hübsche Menschen ihre Fahrräder unversperrt in der Fußgängerzone abstellen und dazwischen renommierte KünstlerInnen und TheoretikerInnen aus aller Welt zu Soundchecks und Panels huschen, dann herrscht in der Stadt eine beinahe unerträgliche Beschaulichkeit.
Dass dieser Eindruck täuscht, wissen nicht nur Murkraftwerksgegner und Subkulturenthusiastinnen. Denn einmal im Jahr kommt auch das Elevate Festival mit voller Wucht als Weckruf in die Lokale und öffentlichen Räume der Stadt und erinnert daran, dass viel getan werden muss, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das Festival weiß um jene Menschen, die schlaue Ideen haben und sich für gute Sachen einsetzen. Für das Erstellen eines Grazer Nachhaltigkeits-Stadtplans zum Beispiel, oder für das Eintragen von feministischen KünstlerInnen ins World Wide Web.
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Die Drohne am Schlossbergplatz: Restart your heart
Katharina Seidler / FM4
Der britische Künstler und Informatiker James Bridle erforscht die Beziehungen zwischen technologischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Systemen. Er hat sich über den Einsatz unbemannter amerikanischer und britischer Drohnen in Kriegsgebieten wie dem Irak, Afghanistan und Pakistan schlau gemacht und lässt den Schatten der dort bevorzugt eingesetzten Reaper Drohne über den Boden des Schossbergplatzes schweben, in Lebensgröße.
Der Hashtag #restartyourheart steht in der Mitte des Schattens, das Motto der aktuellen Kampagne von Amnesty International zum Wiederfinden des menschlichen Mitgefühls, das in den letzten Monaten nach einer Welle der Solidarität aus vielen Herzen wieder verschwunden ist. Es ist eine ebenso subtile wie eindringliche Intervention im öffentlichen Raum, die auch nach dem Elevate noch eine Woche lang in Graz zu sehen sein wird. Es wirkt nach, es bewirkt etwas, vielleicht, hoffentlich.
Datensammelpolitik
Ein Stargast bei der großen Elevate-Eröffnungsgala ist der weißrussische Star-Autor Evgeny Morozov. Über Algorithmen und Big Data zu sprechen, das könne zum einen eine sehr langweilige Unternehmung werden, eröffnet Evgeny Morozov seine Rede. Zum anderen aber könnte man sich damit auf politisch gefährliches Terrain begeben, warnt der Publizist und setzt an, zu erklären, wie der Neoliberalismus in der westlichen Welt unsere historisch jungen Wohlfahrtsstaaten und unsere Städte erodiert.
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Morozov wird heute, Donnerstag, ab 19 Uhr 30 noch einmal beim Elevate sprechen, über den Weg von "smart cities" zu "cities of the commons", in denen die Daten und das Wissen der einzelnen BürgerInnen zum Wohle aller genützt und geteilt werden. "Barcelona sollte nicht eine Stadt werden, in der Air BnB und Uber die Wohnungs- und Fortbewegungssituation bestimmen", betont auch Francesca Bria auf der Bühne des Dom im Berg. Die gegenwärtige Beauftragte für Technologie und digitale Innovation der Stadt Barcelona wird ebenfalls heute mit Morozov öffentlich diskutieren.
"Trump is not a break with neoliberalism. He is actually its logical consequence." @evgenymorozov #ElevateFestival
— Tina Wirnsberger (@tinawirnsberger) 1. März 2017
Mitdenken
Man sollte nicht müde werden, es zu erwähnen: Beim Elevate Festival gibt es die Möglichkeit, kostenlos mit hochkarätigen DenkerInnen unserer Zeit zu diskutieren, von ihnen zu lernen und gemeinsam Lösungen für ein besseres Miteinander zu entwickeln. Wer es nicht persönlich ins Forum Stadtpark schafft, wo die Vorträge und Talks stattfinden, hat online via Stream und zum Teil auch auf Okto TV und Radio Helsinki die Möglichkeit, die Panels zu verfolgen. Es geht um Umweltschutz, Datenschutz, Persönlichkeitsschutz, Technologie, Gemeinschaft und Gesellschaft, und es geht uns alle an. Man sollte hingehen. Dies betont auch Moderator eSeL bei der Elevate Eröffnungsgala und lässt das Publikum mit den Füßen trampeln. Here's to the Festivalteam, das nur wenige Monate nach der letzten Elevate-Edition ein derartiges Programm auf die Beine gestellt hat.
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Hier ist es! Das eSeL Publikums-Pseudo-Selfie (incl. smartphone privacy protection) #e17opening @ElevateFestival #audience #WeAreEurope pic.twitter.com/AwkVlsS8ZP
— eSeL Lorenz Seidler (@eSeLat) 2. März 2017
Mittanzen
Tanzen kann man beim Elevate auch. Etwa zu Sixtus Preiss und seiner umwerfenden Band, die einmal mehr beweisen, dass zwischen Jazz, Juke, funky Bass Music-House und Hip Hop keine Grenzen liegen. Es ist eine wundersame Kombination, genau perfekt zum Eingrooven für die Nacht. Dabei sollte es leider größtenteils auch bleiben; traditionellerweise braucht das Publikum am ersten Festivalabend etwas mehr Zeit, um warm zu werden. Man kann es ihnen nicht verdenken, wenn noch vier weitere Tage vor einem liegen. Spätestens am Freitag vergisst man dann jede Zurückhaltung und macht die Nacht zum Morgen, bereut es am Samstag, wechselt tapfer die Schuhe und zieht wieder zum Schlossberg. So will es die Tradition.
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Die amerikanische Pop-Performancetruppe KNOWER tritt im zweiten Slot den Beweis an, dass bunt und laut leider nicht automatisch mitreißend bedeutet. In Zweier-Formation mit Louis Cole an den Beats und Genevieve Artadi am Mikrophon will ihre eigenwillige Mischung aus Funk-Pop, Freejazz und Quietsch-Elektronik nicht zünden, da können noch so viele Neontiere über die aufwendig bespielte Leinwand flimmern. Zum Sich-Verlieren ist es zu chaotisch, für das Auffassen als allumfassende Zuckerschock-Metamusik im Geiste von etwa den Acts rund um das englische Label PC Music zu real, schade.
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Elevate / Clara Wildberger / CC BY-NC-ND 2.0
Elevate / Jo La / CC BY-NC-ND 2.0
Die Leinwand wird kurz darauf von der spanischen Visualistin Alba G. Corral auf derart kunstvolle Weise bespielt, dass einem der Mund offen stehen bleibt. Sie bebildert zum ersten Mal ein Set des österreichischen Supertypen Zanshin. Zusammengebracht hat die beiden das katalanische Sónar Festival, das den Abend im Dom im Berg co-hostet, ganz im Sinne der Festival-Kooperative We are Europe, bei der das Elevate seit Kurzem dabei ist. Getroffen haben sich die beiden vorher noch nie, und um es noch spannender zu machen, präsentiert Zanshin beinahe ausschließlich bisher unveröffentlichtes Material. Spoiler: Alles geht gut, kunstvoll wickeln sich die filigranen Liniengebilde um die Rhythmusmäander aus Zanshins Maschinen. "Jeder Sound braucht für mich visuell eine Entsprechung und umgekehrt", verrät dieser vorher im FM4-Interview, und sein zufriedenes Grinsen am Schluss verrät, dass die Verbindungen heute richtig hergestellt wurden.
Elevate / Jo La / CC BY-NC-ND 2.0
Heute, am Donnerstag, den 2.3., verlässt das Elevate ausnahmsweise seine Homebase im Schlossberg und wandert vollständig ins Forum Stadtpark, wo nach dem Diskursprogramm SUPERANDOME, Kutin und Kindlinger sowie Susanna Gartmayer mit ihrer Zauberklarinette in zum Teil völliger Dunkelheit spielen werden. Es soll ja niemand sagen, irgendetwas hier hätte man in dieser Form schon mal erlebt.