Erstellt am: 2. 3. 2017 - 15:23 Uhr
Chicks in Krieg und Frieden
Die Geschichte beginnt rasant. Zwei Mal muss Senad flüchten, aber nur einmal werden ihn sein Gesicht und sein Penis dabei an eine Aubergine erinnern - "auf der jemand ausgerutscht war". Aua. Schuld ist nicht der Krieg in Bosnien und Herzegowina, sondern der Nazi-Bruder seiner Freundin in einer deutschen Kleinstadt.
Nur mit einer Fleecejacke bekleidet, flieht der junge Mann und Ich-Erzähler "nackt und blutend auf einem Rennrad". Wohlgemerkt auf einem Rennrad, das Nazis verachten, weil sie Mountainbikes bevorzugen. Nazis sind "verkümmert und untalentiert, haben aber zugleich das intensivste Verlangen nach Kitsch" und das führt zurück zur Natur. So die Theorie der Hauptfigur im Roman "Tierchen unlimited" von Tijan Sila.
Es ist das Debüt eines gebürtigen Sarajevoers. Heute lebt Tijan Sila in Deutschland, ist Berufsschullehrer und jetzt auch Autor. Seine Eckdaten decken sich mit jenen seiner Hauptfigur. Tijan Sila kam als Dreizehnjähriger mit seiner Familie nach Deutschland, er studierte Germanistik und Erziehungswissenschaften. Sarajevo unter Bombardements und in Waffenstillständen sowie deutsche Dörfer sind die Orte der Kindheit und Jugend. Festgehalten werden will an Tausch-Deals für Comics und Computerspiele, aber die Gesellschaft dreht ins Perverse ab. Sogar Eichhörnchen machen sich in Sarajevo über einen Katzenkadaver her: "Sie waren Ratten in Bomberjacken".
Abenteuerliche Anekdoten
Das war es schon mit Tierchen in Teilchen. Der Autor hätte das Wort "Tierchen" im Titel auch durch "Chicks" ersetzen können. Denn jegliches Weiterkommen in diesem Buch geht von jungen Frauen aus, ob in Krieg oder in Frieden. Ob Sarah, Leonie, Melanie oder Grace, ob es um körperliche Ertüchtigung geht oder die kriminelle Phase als Student: Die Schwärmereien führen zu abenteuerlichen Anekdoten. Die Handlung ist dabei wenig berauschend, das Buch hat knapp über 200 Seiten. Aber in Sachen hartem Humor macht Tijan Sila keiner was vor. Die Art, wie er seine Hauptfigur Senad dessen Mitmenschen beschreiben lässt, ist amüsant.
Kiepenheuer & Witsch
Vergleiche will man meiden, doch bei diesem Buch drängt sich die Erinnerung nicht etwa an den herausragend fantastischen Debütroman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" von Saša Stanišić auf, sondern an Wolfgang Herrndorfs berührend-lustigen Roman "Tschick", den Fatih Akin verfilmt hat. Wie heranwachsende Buben die Welt wahrnehmen und wie sie versuchen, sich mit ihren Ansichten eine Orientierung zu verschaffen, durchzieht den Roman.
Zu schnell ist man auf einer Seite, die Sympathie begleitet die Hauptfigur, die es geschickt versteht, eigene Verantwortung konsequent abzulegen. Als Lesende kann man sich dieser Manipulation entziehen, bevorzugt aber, es nicht zu tun, sondern sich darauf einzulassen.
Aufgeräumt wird im Gegenzug mit Klischees zu Vorstellungen von Krieg - eine "gespenstische Stille" nach Bombardements gibt es nicht, internationale Hilfsorganisationen versagen kläglich in ihrer Logistik - zementiert wird das Vorurteil des delinquenten adoleszenten Flüchtlings. Aber die deutsche Polizistin im Roman hat andere Probleme.
Schlagfertigkeit spielt die Hauptrolle in Silas Schreiben, in der Geschichte hat er sie den Frauen zugeschrieben. Hadert der Ich-Erzähler mit seinem Dasein in Deutschland, ist die Verantwortliche schnell ausgemacht: Die "Eltern hatten eine Ehedynamik, die verhängnisvolle Entscheidungen zuließ, denn meine Mutter war eine Egozentrikerin mit einem enormen Volumen manischer Energie, während mein Vater ungerne entschied und seine Ehefrau bedingungslos unterstützte. Dabei wurde er selbstzerstörerisch und rücksichtslos."
Die Physiker-Mama hatte die Hoffnung, ihre Arbeit in Deutschland wieder aufnehmen zu können.
Schnell findet man Gefallen an den Charakterbeschreibungen, da ist "Tierchen unlimited" auch schon gelesen. Krass, wie schnell das ging. Aber gut.