Erstellt am: 1. 3. 2017 - 16:46 Uhr
Hungersnot bedroht Sahelzone
In Äthiopien gibt es in manchen Regionen Überschwemmungen, während in anderen Gebieten die Äcker austrocknen und das Vieh verendet. Im jungen Staat Südsudan droht hunderttausenden Menschen der Hungertod. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO der Vereinten Nationen hat für Teile des Südsudans eine Hungersnot ausgerufen.
Und auch im seit Jahren politisch instabilen Somalia am Horn von Afrika herrscht seit gestern wegen Nahrungsmittelknappheit der Ausnahmezustand. Sechs Millionen Menschen sind auf Hilfsmittel angewiesen. 360.000 Kinder sind akut mangelernährt.
Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation CARE Österreich, hat mit uns über diese Hungerkrisen gesprochen.
fm4.ORF.at: Warum gibt es ausgerechnet in Somalia und im Südsudan jetzt zu wenig Lebensmittel?
Andrea Barschdorf-Hager: Das hat vielfältige Gründe. Zum einen ist es das Klima und die Wetterkapriolen; Dürre, es sind Regenzeiten ausgefallen, Ernten können nicht eingefahren werden oder sind gar nicht vorhanden.
FM4/Irmi Wutscher
Man muss aber auch dazusagen, dass es durchaus auch hausgemachte Probleme sind, die zu dieser Nahrungsmittelknappheit führen. Alle Länder, die sie angeführt haben, sei es der Jemen, im arabischen Bereich, Somalia, Südsudan und auch Teile von Nigeria um den Tschadsee herum, sind konfliktbeladene Gebiete, wo wir marodierende Gruppen haben, die die Bevölkerung zum Teil rücksichtslos terrorisieren; die zum Teil verhindern, dass Bauern ihre Felder bestellen können; die ein normales wirtschaftliches Leben zum Erliegen bringen – gemischt mit Wetterphänomenen, die zum Teil noch von El Niño ausgelöst sind. Und gemeinsam mit der Tatsache, dass alle diese Länder sich in der Sahelzone befinden, ist das eine fatale Mischung, die sehr leicht zu einer Nahrungsmittelknappheit führen kann.
Jetzt haben die Vereinten Nationen eine Hungersnot deklariert. Die Länder in der Sahelzone sind generell in einem sehr fragilen Zustand. Wenn eine Hungersnot von der UN deklariert wird, dann heißt das, dass ein Drittel der Bevölkerung akut mangelernährt sind.
Sind da bestimmte Orte bzw. Dörfer als Ganzes bedroht oder betrifft das nur gewisse Bevölkerungsgruppen?
Es gibt beide Phänomene. Was die Dürre im Südsudan betrifft, wissen wir, dass besonders in der Provinz Unity im Norden des Südsudans die Auswirkungen sehr, sehr massiv sind. Auf der anderen Seite gibt es in jedem Dorf, in jeder Region auch Bauern, die ein bisschen mehr haben: ein bisschen mehr Viehbestand, einen Rest an Saatgut. Wenn das Saatgut gegessen wird, dann ist meistens schon ein sehr akuter Zustand erreicht.
Das heißt, es gilt nie für 100 Prozent der Bevölkerung, aber es gilt sehr wohl für eine ganze Region, in mehr oder weniger starker Ausprägung. Eine Hungersnot heißt wie gesagt, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung gar nichts mehr hat. Das sind statistische Werte, aber man braucht gewisse Schwellenwerte – das heißt aber auch, dass Menschen wie Sie und ich jeden Tag sterben, weil sie nichts zu essen und nichts zu trinken haben. Dazu kommt, dass sich Krankheiten besonders schnell ausbreiten können, besonders wenn es einen Wassermangel gibt.
Wovon ernähren sich eigentlich die Menschen in diesen Ländern?
Da gibt es natürlich von Land zu Land Unterschiede. Aber man kann sagen: hauptsächlich von Getreide. Wenig Fleisch, denn Fleisch ist teuer und kostbar. Diese Länder sind geprägt von der Viehzucht – die meisten Bauern sind Viehzüchter. Auch im Südsudan. Dort gibt es 12 Millionen Menschen, etwa 11 Millionen Rinder und rund 19 Millionen Schafe. Auf das Vieh wird gut aufgepasst – Fleisch gibt es nur zu besonderen Anlässen.
Der Zustand der Tiere ist allerdings katastrophal, auch in relativ guten Jahren. Es gibt eine totale Überweidung, das hat damit zu tun, dass es kaum Wasserressourcen gibt. Das heißt, es wäre viel besser, wenn diese traditionellen Viehzuchtgesellschaften weniger Stück Vieh hätten, dieses aber dafür besser beisammen wäre.
Das Hauptnahrungsmittel ist meistens Getreidebrei. Die Ernährung ist generell sehr einseitig. Es wird wenig Gemüse gegessen. Und selbst wenn es vorhanden ist, ist es oft unbekannt. Das heißt, man weiß oft nicht, wie es zubereitet wird und was man essen kann.
AFP
In den meisten betroffenen Regionen herrscht Krieg und auch der Klimawandel scheint eine Rolle zu spielen. Sind Hungersnöte etwas, womit wir in Zukunft vermehrt leben müssen, wegen des Klimawandels?
Er hat sicher einen markanten Einfluss darauf. Ob man mit Hungersnöten in Zukunft leben muss, ist letztendlich eine globalpolitische Entscheidung. Gegenwärtig fürchte ich fast, das ist etwas, das immer wiederkehren wird, wenn die Weltgemeinschaft keine bessere Methode findet, chronische Konflikte nachhaltig zu befrieden.
Wenn die jeweiligen Regierungen der Länder keine Möglichkeiten sehen, dass sie weite Teile ihrer Bevölkerung partizipieren lassen, an dem was sie erwirtschaften, dann befürchte ich bei fortschreitendem Klimawandel – also wenn Wetterphänomene extremer werden; sowohl Dürre, als auch Überschwemmungen – dass wir immer wieder mit Hungerproblematik zu tun haben werden.
Hungerkatastrophen von enormem Ausmaß, wie wir zuletzt 2011 in Somalia erlebt haben, wären vermeidbar, wenn man auf Frühwarnsysteme hören würde und wenn nicht nur Zusagen kämen, sondern die zugesagte Hilfe schnell umgesetzt werden würde. Und wenn die jeweiligen regionalen Regierungen ermöglichen, dass die Hilfe auch wirklich bei denen ankommt, die sie am dringendsten benötigen.
Die UNO sagt, sie braucht bis Ende März 4,4 Milliarden Dollar Soforthilfe. Das Budget ist derzeit nur bei 90 Millionen. Wie realistisch ist es, dieses Geld noch aufzustellen?
Da sollten sie jemanden von der UN fragen. Meine Einschätzung ist da ein bisschen pessimistisch. Wir sehen leider, dass die Zusagen bei Geberkonferenzen in der Regel höher sind, als das, was dann tatsächlich umgesetzt wird.
Das Zweite ist auch, dass die Möglichkeit da ist, die Nahrungsmittel schnell zu jenen Menschen zu bringen, die sie dringend brauchen.
CARE Österreich bittet um Spenden für die betroffenen Gebiete.
In Nordnigeria gibt es immer wieder Gefechte mit der Terrororganisation Boko Haram. Wie kommt man dort mit den Hilfslieferungen zurecht?
Das geht nur wenn auf lokaler Ebene humanitäre Korridore ausgehandelt werden, bzw. über Luftbrücken, die aber wahnsinnig kostenintensiv sind. Die Trefferquote miteinberechnet nehmen sich dann natürlich die Menschen, die dringend Nahrung benötigen, aber natürlich bedienen sich auch andere Leute.
Die Hilfe auch wirklich vor Ort zu bringen ist eine große Herausforderung. Wir rufen schon sehr lange auf, für die Sahelzone Nahrung zu spenden. Ein Beispiel: Für 10 Euro kann eine Person im Durchschnitt einen Monat grundernährt werden. Aber bei dem hohen Bedarf, da müssen auch die großen internationalen Organisationen und die Staaten sich verpflichten, etwas dazuzugeben.