Erstellt am: 3. 3. 2017 - 15:43 Uhr
Das ist doch übertrieben!
Geschmacklos, einfach zu viel, over the top, oder schlicht und einfach hässlich. Mode hat immer schon viel mit Ambivalenz und Provokation zu tun gehabt. Und wer von uns hat sich noch nicht dabei erwischt, sich über die Kleidung anderer Menschen zu ereifern?
Nun könnte es aber sein, dass genau diese Aufregung das Ziel ist. Mode ist ja nicht nur dazu da, dass wir gut aussehen und uns wohlfühlen, sondern es sollen manchmal auch Grenzen überschritten oder der grelle Pomp zelebriert werden. Das ist nichts, das es erst seit ein paar Jahrzehnten gibt, sondern etwas, das schon seit Jahrhunderten praktiziert wird.
Robert Glashüttner
Eine aktuelle Schau, die gerade erst vom brutalistischen Barbican Center London in die hochbarocken Prunkräume des Winterpalais Prinz Eugen in die Wiener Innenstadt gewandert ist, widmet sich dem Vulgären in der Mode. Dabei fällt auf, dass die Definition alles andere als eindeutig ist. Bedeutet es billig und einfältig? Ausschweifend und schrill? Extrovertiert und prahlerisch? Hat es eine sexuelle Konnotation? Die Ausstellung "Vulgär? - Fashion Redefined" führt in elf speziell gestalteten Räumen und Kategorien die Vielfältigkeit und Unklarheit des Begriffes vor.
Vorurteile und der gute Geschmack
"The vulgar exposes the scandal of good taste" und "The vulgar reveals taste as prejudice" steht auf großen, stempelartigen Kreisen geschrieben, die als Logos dienen. Die Zitate stammen vom Psychoanalytiker Adam Phillips, der der Ausstellung eine Art theoretischen Überbau gibt. Kuratiert wird "Vulgär? - Fashion Redefined" von der Modeexpertin und Professorin Judith Clark, die wenige Tage vor der Eröffnung der Schau in Wien mit ihrem Team akribisch die Objekte richtig positioniert und in Szene setzt.
Jede und jeder hat eine andere Auffassung von dem Begriff vulgär, sagt sie im FM4-Interview, und genau deshalb sei das Zurschaustellen der unterschiedlichen Aspekte davon für sie ebenso reizvoll, wie es das Hinterfragen und Spielen der Besucher/innen mit ihren eigenen Vorurteilen und geschmacklichen Einschätzungen ist.
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Die elf Definitionen des Vulgären, wie sie hier gezeigt werden, spannen den Bogen über unterschiedliche Epochen und Ausformungen hinweg. Vieles widerspricht und konterkariert sich auf den ersten Blick, entpuppt sich bei näherem Betrachten aber als eine Form der Dialektik, die der Mode an sich innewohnt: Was heute hässlich und abstoßend ist, kann schon morgen toll und anziehend sein. So findet man bei "Vulgär?" neben dem ausufernden Mantuakleid aus dem 18. Jahrhundert und kunstvoll-absurden zeitgenössischen Experimenten (Elefantenkleid, Lippenhut, Perückenschultern) etwa auch einen Raum über Puritanismus, wo die gerade und schlicht geschnittenen Kleider nur mit ein bisschen weißer Spitze am Kragen gebrochen werden.
Mehr oder weniger Erwartbares
Klassische Fetischkleidungsstücke (hochhackige Schuhe, Latexkorsett, durchsichtige Kleider, etwa in Designs von Marc Jacobs oder Pam Hogg) und provokant-freizügige Objekte (etwa der Monokini von Rudi Gernreich oder auf Oberteile aufgemalte Brüste von Vivienne Westwood) sind als Beispiele für übertriebene, anrüchige Mode, der man landläufig Vulgarität vorwirft, bei so einer Ausstellung bis zu einem gewissen Grad erwartbar. Weniger naheliegend ist die Darstellung des Vulgären aufgrund der Wahl des Materials: Gareth Pugh formt aus Verpackungsstoff schicke Oberteile und bei Nicolas Ghesquière wird Denim vom gewöhnlichen, alltäglichen Stoff zur Ausgangsbasis für raffinierte Haute Couture-Mode.
Robert Glashüttner
Kategorische Abwechslung
"Vulgär? - Fashion Redefined" ist bis 25. Juni im Wiener Winterpalais zu sehen.
"Vulgär? - Fashion Redefined" lebt vor allem vom Facettenreichtum und der unkonventionellen Kategorisierung. Der philosophisch-psychologische Überbau geht nicht allzu sehr in die Tiefe, der Einführungstext von Adam Phillips steckt die verschiedenen Zugänge und Perspektiven in ihrer Essenz aber gut ab. Im begleitenden Buch zur Ausstellung sind viele der gezeigten Objekte abgebildet, darüber hinaus gibt es im Anhang einige Interviews mit Modedesigner/innen über das Wesen des Vulgären.