Erstellt am: 26. 2. 2017 - 19:00 Uhr
EU-Richtlinie mit Gummiparagrafen gegen Terror
Die Umsetzung der umstrittenen neuen Richtlinie zur Terrorbekämpfung läuft in der EU gerade an. Hauptangriffspunkt aller Kritiker der Regelung ist bereits die Definition von Terrorismus in der Einleitung. Die ist nämlich so breit gefasst, dass nationalpopulistische Regierungen in der EU geradezu eingeladen werden, noch breitere Regelungen zu erlassen. Solche "Gummiparagrafen" könnten dann auch gegen Oppositionelle und Medien eingesetzt werden.
Die Schwelle zur Beurteilung, ob es sich um ein "Terrorismusdelikt" handelt, ist denkbar niedrig angesetzt, eine Definition von Terrorismus fehlt überhaupt. Ermittlungen wegen Terrorismus werden vielmehr an den angenommenen Absichten eines Verdächtigen aufgehängt. Schon der bloße Besuch auf "Terror-Websites" kann so als Straftat gewertet werden, als solche gilt auch "Glorifizierung von Terrorismus" in der Absicht, "die Bevölkerung einzuschüchtern", oder die Regierung zu nötigen.
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Von der "Gefährderdatenbank" bis zur Erfassung auch weitaus niederschwelligerer Delikte sind Teile des Anti-Terrorismuspakets der EU in Österreich bereits umgesetzt. Die versteckten Gefahren im Staatschutzgesetz.
Absichtserklärungen
Artikel 5 stellt einen "öffentlichen Aufruf, eine terroristische Straftat zu begehen" unter Strafe, wobei bereits die "direkte oder indirekte Glorifizierung terroristischer Straftaten" genügt, wenn damit auch eine Absicht verbunden ist. Absichten sind es auch, die definieren, ab wann eine Straftat unter Terrorismus fällt. Zur Einschüchterung der Bevölkerung kommt als weitere mögliche Absicht, wenn eine Regierung zum Tun oder Unterlassen einer Handlung genötigt werden soll.
Die Demonstrationen und Sitzblockaden vor dem Parlament in Warschau, die das geplante Gesetz zum Verbot von Abtreibungen zu Fall gebracht hatten, wären an einer solchen Definition von "Terrorismus" bereits sehr nahe dran. Strafbar werden auch alle Vorbereitungshandlungen und Begleitdelikte wie Anstiftung zu und Unterstützung einer künftigen Straftat.
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Der EU-Ministerrat diskutiert aktuell eine neue Vorrratsdatenspeicherung, nachdem Europol wieder einmal Alarm geschlagen hatte. Derzeit wird nach einem Problem gefahndet, für das man bereits eine Lösung hat.
Angriffe auf Informationssysteme
Darüber hinaus wurden in die Richtlinie Delikte aufgenommen, die bis jetzt für Terrorismus völlig untypisch sind. Zwischen Geiselnahmen und Flugzeugentführungen finden sich da auch Angriffe auf Informationssysteme und Datenmanipulation, die ebenfalls als Terrorakte gewertet werden, wenn damit Absichten einhergehen, eine Regierung unter Druck zu setzen. Für derartige Angriffe auf zivile Netzwerke durch Terroristen gibt es weltweit bisher kein einziges, dokumentiertes Fallbeispiel.
Solche Angriffsformen sind vielmehr für Kriminelle typisch, die in erpresserischer Absicht Firmennetze mit sogenannten DDoS-Attacken lahmlegen oder Daten auf Rechnern verschlüsseln. Die komplexen und technisch aufwändigen "Advanced Persistent Threat"-Attacken auf Regіerungsnetze oder große Firmen, die bekannt geworden sind, waren bis jetzt samt und sonders auf staatlich gelenkte Akteure zurückführen.
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Absichtliche Auslandsreisen
Angenommene Absichten, die den Ausschlag geben, ob ein Verfahren eingeleitet wird, ziehen sich noch weiter durch den gesamten Richtlinientext. So werden Auslandsreisen strafbar, wenn sie mit der Absicht angetreten werden, dort einer Terrorgruppe beizutreten oder eine Kampfausbildung zu absolvieren. Auch alle Hilfshandlungen wie Beihilfe zur Organisation einer solchen Reise fallen darunter. Die Vertreter der EU-Kommission merkten in ihrer Stellungnahme dazu an, dass womöglich alle Auslandsreisenden davon betroffen sein könnten. Die Maßnahme gilt nämlich nicht nur für Reisen in Bürgerkriegsgebiete, sondern für alle Staaten außerhalb der Union.
Falsche Treffer und Blamagen
Erst Anfang Februar hatte der französische Verfassungsgerichtshof eine entsprechende Regelung zur Strafbarkeit von häufigen Besuchen auf "Terroristen-Websites" verworfen. Sie war im Rahmen des Ausnahmezustands nach den Bataclan-Attentaten im November 2015 erlassen worden, der Strafrahmen betrug zwei Jahre. Da das einfache Abrufen bestimmter Websites damit unter eine schwere Straftat fiel, musste die Staatsanwaltschaft ermitteln, in Folge kam es zu einer erwartbaren Serie falscher Treffer und damit einhergehenden Blamagen für die Behörden.
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Die ersten Pläne des EU-Ministerrats zur Überwachung der Sozialen Netze datieren aus dem Jänner 2015, damals standen Hintertüren im Vordergrund.
In den Filtern der Geheimdienste - auch deren Vollzugriff auf den Internetverkehr war Teil der Verordnungen von Präsident Francois Hollande - fingen sich etwa Gymnasiasten, die Witze machen wollten. Andere inkriminierte Botschaften in Frankreich und anderen Staaten wurden zumeist auf Facebook unter Alkoholeinfluss oder von Menschen mit mentalen Problemen verfasst. Ein ganze Reihe solcher Fälle, in denen jeweils Anti-Terroreineiten ausrücken mussten, ist durch Artikel in Tageszeitungen wie "Le Monde", "El Pais" oder dem "Guardian" dokumentiert, die von der Bürgerrechtsorganisation EDRi zusammengetragen wurden.
Neuer Pool Passagierdaten
Ganz offensichtlich setzt man auch hier auf "Top-Down Regelung" für Reisebewegungen. Das heißt, alle Daten aller Reisenden werden erst einmal erfasst und können dann sowohl mit Namenslisten abgeglichen werden als auch mit Reisemustern, von denen angenommen wird, dass sie für Terroristen charakteristisch sind. Der dafür nötige Datenpool ist derzeit quer durch Europa im Entstehen begriffen, denn vor etwas mehr als einem Jahr war eine diesbezügliche Richtlinie zur Speicherpflicht für Flugpassagierdaten im EU-Parlament verabschiedet worden.
Die Erfahrungen aus den USA hielten die EU nicht davon ab, 2006 eine Richtlinie für Passagierdaten in Europa auf den weg zu bringen
Es ist also unschwer abzusehen, dass im Zusammenspiel der Richtlinie gegen Terror und der Vorratsspeicherung für Passagierdaten ganz ähnliche Probleme entstehen sollten wie in den USA nach den Anschlägen von 2001. Großserien von falschen Treffern durch Namesgleichheit oder -ähnlichkeit oder abweichender Transkription und in Folge ausgesprochene Flugverbote sorgten für Chaos und lange Schlangen auf den Fughäfen. Sogar Senator Edward Kennedy wurde das Boarden von Flugzeugen wochenlang verweigert, weil ein anderer Kennedy auf der schwarzen Liste stand.
Ausblick
Es ist also unschwer abzusehen, dass im praktischen Zusammenspiel dieser Richtlinie gegen Terror und der Vorratsspeicherung für Passagierdaten ähnliche Probleme zu erwarten sind. Ob und welcheArtikel der neuen Richtlinie in der bevorstehenden nächsten Überwachungswelle in Österreich umgesetzt werden, steht noch nicht fest. Klar ist aber, dass eine Übernahme dieses Sammelsuriums aus angenommenen Absichten in österreichisches Recht, die Fälle von Ermittlungen wegen Verdachts auf Terrorismus sprunghaft ansteigen werden.