Erstellt am: 25. 2. 2017 - 12:34 Uhr
Okraschoten in Erdnussöl
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Tue Millow ist ein Star in der Berliner Indiewelt. Die Frontfrau der Band TUEsday wird seit Jahren von Fans bejubelt. Doch in einer Künstlerszene, die vorwiegend dominiert ist von weißen männlichen Indie-Musikern, muss sie gegen viele Widerstände kämpfen, um sich zu behaupten. Mit welchen Abgründen die Protagonistin auch in ihrer eigenen Band ringen muss, wird rasch deutlich.
Zaglossus Verlag
"Der Schmerz erinnerte sie an die letzte Woche, alle hatten darüber gestritten, ob trotz Tues neuer Frisur Pressefotos gemacht werden könnten. Wörter wie Krause waren gefallen…
Der Schlagzeuger strich über ihren Schädel,
säuselte etwas von Schamhaaren.
Sie biss von innen in ihre Wange,
strich seine Hand weg,
sagte nichts,
ließ sich wortlos in die Polster zurücksacken.
Scham-haare.
Sie kicherte, angetrunken vom Wodka,
bedröhnt vom Weed und gekränkt vom Rassismus."
Tue Millow hat sich radikal ihrer jahrelang geglätteten Haarpracht entledigt. Die ständig in weiße Schönheitsnormen gepressten Strähnen waren einfach abgebrochen – eine nach der anderen. Wie gut sie sich nun kahlgeschoren noch als feminin-glattgebügelte Identifikationsfigur für Alternative-Fans eignet, daran hegen Bandkollegen und Management ernste Zweifel. Der alltägliche Rassismus tut sein Übriges, um Tue von ihrer Band zu entfremden.
Als die Protagonistin nach Panikattacken und dem Selbstmord ihres WG-Kollegen in der Psychiatrie landet, wird im Buch die Gewalt deutlich, mit der Tue als Schwarze Frau in einer weißen, patriarchalen Gesellschaft konfrontiert ist.
"Das leise Ausatmen neben ihrem rechten Ohr ließ sie herumschnellen, nur wenige Zentimeter lagen zwischen den Augen des Arztes und den ihren. Die Temperatur ihres Körpers fiel, das Beben wurde stärker, umfasste nun all ihre Muskeln, Halt suchend umgriff ihre Hand die Tischplatte. Sie drückte sich langsam zurück, merkte, wie seine Finger das Schlüsselbein verließen, langsam, schrecklich zärtlich in ihrer Übergriffigkeit. Fast schon überheblich in der bestätigten Gewissheit der Konsequenzlosigkeit seines Handelns ließ er zuerst jeden einzelnen Finger über ihr ausgemergeltes Schlüsselbein gleiten, dann ertastete er ihren Nacken, berührte den Ansatz ihres Afros.
'Wir wollen doch die anderen nicht beim Essen stören, deswegen lassen Sie uns ganz im Vertrauen sprechen.'"
Schilderungen wie diese sorgen im Roman "Biskaya" immer wieder für Gänsehaut. Vieles an der Erzählung scheint autobiografisch, schließlich bezeichnet sich die Autorin SchwarzRund in Interviews selbst als queer, Schwarz und neurodivers oder "ver-rückt". Ihre Protagonistin Tue Millow ist spannend gezeichnet und vielschichtig.
Zaglossus Verlag
Mit der Hilfe eines Schwarzen Freundes versucht Tue Millow, ihre Krankheit zu meistern und kämpft um künstlerische Emanzipation von ihrer Band. Nach dem Tod der Großmutter beginnt die Suche nach ihrer verschütteten Familiengeschichte zwischen Berlin und der titelgebenden fiktiven Schwarzen Insel Biskaya, die vor Europa liegt. Damit beginnt Tues Heilungsprozess. Immer wieder erinnert sich die Protagonistin an ihre geborgene Kindheit, als ihr die Großmutter die Locken mit Kokosöl einmassiert und der Vater Okraschoten in Erdnussöl frittiert hat: Visionen von Schwarzer Community.
Tues Kindheits- und Sehnsuchtsort Biskaya dient EU-Ländern aber auch als billige Quelle von Ressourcen und Arbeitskräften. Spätestens hier wird auch die (Über-)Fülle an Themen deutlich, die die Autorin im Roman verhandelt. Kolonialismus, die Suche nach der eigenen Herkunftsgeschichte, queere Familienmodelle, Kritik an der Psychiatrie und am Musikbusiness: Geballt auf 270 Seiten kann das beim Lesen schon mal überfordern.
Claudia Unterweger
Zentral im Roman "Biskaya" ist der Perspektivenwechsel. Hier stehen Lebensrealitäten Schwarzer Figuren im Zentrum der Handlung. Entgegen üblicher Erzählweisen wird hier Weißsein markiert: "von weißen Köpfen mit Wursthaaren" ist da zu lesen. Oder von einem "Schwall blonder flacher Haare", der sich lachend vor der Protagonistin in einen Sessel plumpsen lässt. Hervorstechend ist auch die diskriminierungsarme Sprache, die sich durch das gesamte Buch zieht. Geschlechterneutrale Ausdrücke wie jemensch können das Lesen anstrengend machen, helfen jedoch manchmal, eingefahrene Erwartungshaltungen durcheinander zu bringen. Trotz der Fülle an ernsten Themen, die in dem Buch verhandelt werden, finden sich immer wieder Passagen und Dialoge voller Wortwitz.
"Biskaya" ist eine Collage aus Prosa, Zeichnungen, Gedichten und Songtexten, die die Autorin SchwarzRund bei ihren Lesungen auch singt und performt. Insgesamt ist "Biskaya" eine facettenreiche literarische Intervention, die neugierig auf mehr macht.