Erstellt am: 24. 2. 2017 - 15:06 Uhr
Der Wiener Videorekorder
In den Achtziger und Neunziger Jahren - also der Epoche nach dem Super-8-Schmalfilm aber vor dem Smartphone - filmten videobegeisterte Menschen mit Kameras, die auf Videokassetten aufnahmen. Ein Forschungsprojekt hat sich jetzt mit den Home- und Amateurvideos aus dieser Zeit beschäftigt. Der etwas sperrige Name: "The changing role of audio-visual archives as memory storages in the public space". Ein bisschen einfacher zu merken ist der Name der Website, auf der die Forschungsobjekte und -ergebnisse des Projekts betrachtet werden können: Wiener Videorekorder.
Mediathek
Videokassetten sind eine der fragilsten Formen von Datenspeicherung: Die Qualität der Bänder nimmt über die Jahre stark ab, und auch die Abspielgeräte - sprich Videorekorder - sind entweder nicht mehr vorhanden, oder so stark verschmutzt, dass sie die Kassetten nicht mehr richtig wiedergeben oder sogar zerstören. Die Mediathek des Technischen Museums Wien hat deshalb seit 2014 auf Veranstaltungen wie der „Home Video Night“ im Rathaus und in den Bezirksmuseen aufgerufen, alte Homevideos zur Verfügung zu stellen, damit sie professionell digitalisiert, archiviert und analysiert werden können.
Die Forscher erhielten dann z.B. das Urlaubsvideo einer Familie, die in Syrien auf Urlaub war und dort den Baaltempel besucht hat. Gabriele Zuna-Kratky, Direktorin des Technischen Museums: „Dieses Reisevideo zeigt, wie fragil Erinnerung ist. Es ist ein Video aus Palmyra in den Neunziger Jahren - es zeigt ein Reiseziel, das für uns so nicht mehr existiert. Und auch den Baaltempel gibt es nicht mehr.“
Böhm, Tristan
Es geht also um Geschichte aus dem Blickwinkel des Alltagslebens, vom Familienfest über den Hausbau bis zu Aufnahmen von Kindern und Enkeln. Margareta Veit, begeisterte Videofilmerin seit Jahrzehnten, erinnert sich, wie sie in den Achtziger Jahren von Super-8-Schmalfilm auf Videokassette umsteigen wollte und deshalb in einen Elektro-Großmarkt ging: „Ich bin bei den Videokameras gestanden, die mir alle rätselhaft waren. Mein Schwiegersohn hat gesagt: Ich leg dir das Geld auf den Tisch. Kauf dir so eine Kamera, damit das kommende Baby schon mit Bild und Ton auf dem Video sein kann. Und so war es dann auch: Meine vier Kinder sind am Stummfilm, meine Enkelkinder auf Bild mit Ton.“
Weiss
Das Forschungsprojekt wurde vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds mit 300.000 Euro gefördert. Gabriele Fröschl ist die wissenschaftliche Projektleiterin: „Die Idee bzw. die Ausgangshypothese war, dass es bezüglich Privatvideos eine Sammlungslücke in Archiven gibt. Es überwiegen öffentliche Erinnerungen und veröffentlichte Erinnerungen, aber private Erinnerungen finden sehr schwer den Weg in öffentliche Archive.“
Eine weitere Frage, die Fröschl und ihr Team interessiert hat: „Wer hat eigentlich gefilmt? Denn mit dem Aufkommen von Videokameras wurde auch besonders damit geworben, dass das etwas sei, womit jetzt auch Frauen filmen können. Es gab Werbung dafür, in der gesagt wurde, dass die Kameras leicht seien. Leicht an Gewicht und leicht zu bedienen, es handle sich um Technik, mit der auch Frauen umgehen können.“ Deshalb, sagt Gabriele Fröschl, sei interessant, wer tatsächlich die Kameras bedient habe: „Bei unserem Bestand ist es so, dass nach wie vor überwiegend Männer gefilmt haben. Die Familie wurde überwiegend vom Vater dokumentiert.“
Alltags-Dokumentationen aus über 3.000 Videokassetten können jetzt auf wienervideorekorder.at von uns allen betrachtet werden - selbstverständlich mit dem Einverständnis der Urheber und der Menschen, die zu sehen sind. Es gibt auf der Website außerdem Hintergrundinformationen zu den Filmen und auch eine Sammlung zu ausgewählten Themen wie Videodigitalisierung und Videoaktivismus.