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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

23. 2. 2017 - 17:05

"Hurra! Mit Handgranaten vor!"

Der wissenschaftliche Reader "Agon und Ares. Der Krieg und die Spiele" analysiert die dunkle Seite der Spielkultur.

Buchcover "Agon und Ares"

Campus

"Agon und Ares. Der Krieg und die Spiele", herausgegeben von Ernst Strouhal, ist bei Campus erschienen.

Je länger man in "Agon und Ares" liest, desto lächerlicher wirkt die gesellschaftliche Diskussion, die vor rund zehn Jahren über Gewalt und Computerspiele verstärkt geführt wurde. Aus Sicht einer westlichen Gesellschaft, deren Staaten und Bevölkerung seit Jahrzehnten grundsätzlich an einer friedlichen Koexistenz interessiert sind, und konkret aus Sicht der Weltkriegsverlierernationen Deutschland und Österreich ist die Sorge über eine mögliche abstumpfende Wirkung von Computerspielen aber auch verständlich. Denn mit der Kriegsbegeisterung war es spätestens 1946 endgültig vorbei. Bilder, die entsprechende Assoziationen wecken - wie es militärisch geprägte Computerspiele tun - machen da selbstverständlich keinen guten Ersteindruck.

Verglichen mit der Explizität und der Infamie vieler Kriegsspiele aus dem späten 18. Jahrhunderts bis in den Zweiten Weltkrieg hinein, sind Computerspiele (selbst gesellschaftspolitische Provokationsgames wie "Hatred") aber ein müder Abklatsch. Die Kriegslüsternheit kurz vor und nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges etwa schlägt sich in einschlägigen Titeln wie "Feuernde Mörserbatterie", "Hurra! Mit Handgranaten vor!" oder "Wir spielen Weltkrieg" nieder. Letztgenanntes Werk ist eine groteske Anleitung für ein Kriegsrollenspiel im Kinderzimmer.

"Wir spielen Weltkrieg"

Verlag: Campus. Foto: Robert Glashüttner

"Das friedliche Volk ersieht mit Zittern die Eisenbahn durch Bomben zersplittern."

Von Huizinga und Callois

Ohne Zweifel: In "Agon und Ares. Der Krieg und die Spiele", herausgegeben vom Wiener Kulturwissenschaftsprofessor Ernst Strouhal, wird man mit einem weitgehend dunklen Kapitel der Spielgeschichte konfrontiert. Der Band beginnt dabei anfangs etwas sperrig, etwa mit Aufsätzen über Spieltheorie oder der Frage, inwiefern politische Abläufe grundsätzlich spielerisch zu betrachten seien. Dabei wird oft auf die zwei klassischen Autoren der Spielwissenschaften Bezug genommen: Johan Huizinga ("Homo Ludens", 1938), der Spiel im engeren Sinn beschreibt und Roger Callois, der vier Grundlagen des Spiels definiert und dabei einen weitläufigeren Rahmen absteckt. Er unterscheidet zwischen Alea (Zufall), Illinx (Rausch), Mimikry (Maskierung) und Agon (Wettkampf), auf letzteren sich das Buch bezieht.

Zur Auflockerung werden von Beginn an aber auch viele Abbildungen von Spielen geliefert. Historisch beginnt "Agon und Ares" in der Mitte des 18. Jahrhunderts, an manchen Stellen suchen und finden die Autor/innen aber auch die Ursprünge diverser Spiele.

"Ein frühes Beispiel für das Thema Krieg im Spiel liefert ein erst jüngst bekannt gemachtes Kartenspiel, das Reinhard Graf zu Solms 1554 beschrieben hat. Es besteht aus einem Satz Spielkarten, auf denen alle zu einem Feldzug gehörenden Teile dargestellt sind: Geschütze, Wagen, Tross, Feldlager sowie die Soldaten vom General bis zum Fußvolk." (Ulrich Schädler: "Prekäre Ordnung")

Den Krieg zum Regelwerk machen

Trotz aller Vorbereitungen auf diverse Schlachten ist der Krieg letztendlich natürlich immer unberechenbar. Spiele sollen deshalb durch klare Regeln gewissermaßen Ordnung hineinbringen und darüber hinaus auch eine cleane Version vom Krieg liefern: abstrakt, ohne Blut, aber immer mit einem klaren Ziel: Den Gegner zu besiegen oder eine Stadt oder ein Land einzunehmen. Das verwässert allerdings oft das jeweilige Spiel an sich.

"Die Kriegsnarration und ihre Faszination dominieren die Spielmechanik und ihre Dynamik – es wird unklar, ob nun Schach gespielt oder vom Krieg erzählt werden soll." (Ernst Strouhal: "Die gesteigerte patriotische Empfindung unserer Tage ...")

"Belagerungsspiel" von Felix Grünewald aus 1820-1830

Verlag: Campus. Foto: Robert Glashüttner

Oft bleiben die Spiele gleich, nur das Setting ändert sich. Etwa bei Schach oder hier beim "Belagerungsspiel".

Bilder einer imaginären Ausstellung

In der Mitte von "Agon und Ares" gibt es zwei ausführliche Bildstrecken von diversen Spielen, die im Ersten sowie im Zweiten Weltkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven gestaltet wurden. Zwischen den Bildstrecken wird man im Interview mit dem niederländischen Spieleforscher und -sammler Gejus van Diggele darauf aufmerksam gemacht, dass vor allem im Zweiten Weltkrieg die meisten der vorrangig verhetzenden Kriegsspiele nicht vom Regime beauftragt, sondern freiwillig von Verlegern kommerziell entwickelt und verkauft worden sind.

"Die Spielehersteller nutzten Themen, die von der Propaganda vor- bzw. aufbereitet worden waren. Die Auflagen der Spiele waren zu niedrig, um ein Propaganda-Medium zu sein." (Gerjus van Diggele im Interview mit Lydia Mischkulnig: "Spiele im Zweiten Weltkrieg. Propaganda, Werbung oder Kommerz?")

Nach den beiden Weltkriegen widmen sich weitere Texte den Spielen spezifischer Länder und ihren politischen und ethnischen Konflikten. Konkret geht es um die Sowjetunion, Israel und Japan.

Digitale Mobilmachung

Das letzte Kapitel des Buches ist der jüngsten Ausformung der Spiele gewidmet: den Computerspielen. Es werden einige bekannte Titel wie "Battlezone" oder "Doom" analysiert, Kunstgames und subversive Games beschrieben und die Rolle des Spiels bei der Entwicklung von Computern beleuchtet, und wie diese vom militärisch-industriellen Komplex in die Zivilgesellschaft eingetreten sind.

"Die Flower-Power-Bewegung hatte erkannt, dass auch die Computer aus den Klauen der Militärmaschinerie befreit werden mussten. Der Nützlichkeit und des kreativen Schubs, den eine solche Maschine leisten konnte, waren sich die Studierenden wohl bewusst." (Franz Ablinger: "Spacewar!")

Spielplan der "Reise nach Moskau", 1935

Verlag: Campus. Foto: Robert Glashüttner

Über Spiele Geschichte lernen

Abgesehen von den im Band vorgestellten Spielen an sich liefern viele Texte einen ausführlichen historischen Kontext, der oft interessanter ist als die Spiele selbst, die in ihrer jeweiligen Zeit meist auch nur Randerscheinungen bei Ausbildung, Indoktrination und Propaganda waren.

Da "Agon und Ares" ein wissenschaftlicher Reader ist, ordnen sich manche Texte den akademischen Konventionen zu Ungunsten der Lesbarkeit bzw. Nachvollziehbarkeit unter. Manche Beiträge sind zu beschreibend und aufzählend als dass man einen bleibenden Mehrwert daraus ziehen könnte - es sei denn, man ist ganz spezifisch an ausführlichen Details des jeweiligen Gegenstandes interessiert.

Mehrheitlich liest sich "Agon und Ares" aber als abwechslungsreich gestaltetes und lehrreiches Sachbuch, das sich nicht davor scheut, auch höchst ambivalente Seiten der Spielkultur zu zeigen und zu analysieren.