Erstellt am: 23. 2. 2017 - 16:43 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 23-02-17.
#popkultur #selfie
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Eine erschreckende Award Show, eine heldenlose Alltags-Serie zum Verlieben und ein paar Untote aus der Nachbarschaft.
1.
Gestern Nacht eher zufällig über die Brit Awards gestolpert. Blankes Entsetzen. Überlegt ob es was mit meiner zunehmenden Entfremdung zu den Briten zu tun hat (kulturelle Abkopplung, nicht erst seit dem Brexit, außerdem lebe ich mit einer Amerikanistin, das wirkt sich aus), weitergeschaut, dann durch Perrys Polit-Puppenspiel, Bowies Sohn und Dexter (also hauptsächlich Amis) wieder reingeholt, aber von der langen Totenliste erschreckt und vor allem dem lieblosen Umgang damit abgestoßen. Wenn der Live-Auftritt von Coldplay das Lebendigste an einer Show ist, dann stimmt etwas nicht.
Das hat sicher auch damit zu tun, dass der offenbar im Hintergrund schwelende Kampf (hab ich dann heute nachgelesen, Stichwort #BritsSoWhite) zwischen den Gewächshaus-Acts der Pop-Industrie (die mit Little Mix, neuen Spice Girls für Pinkies, oder One Direction, aber auch Rag'n'Bone Man oder Emeli Sandé alle Preise abstaubte) gegen den von der Straße geformten Grime keinerlei Wucht ausstrahlen konnte. Die Live-Auftritte von Stormzy oder Skepta kamen eher als verhaltenes Gemurmel, als Shoegaze-Rap daher, ohne Inszenierung, ohne große Erzählung, vor allem ohne jegliche Angriffigkeit oder gar Wut.
Selbst der Pep, den britische Acts sonst bei US-Award-Shows reinbringen (egal ob bei Filmpreisen oder den Grammys), die Ironie, der lockere Mut zu politischen Aussagen: Fehlanzeige. Nichts als gepflegte Langeweile. Selbst aus Manchester: "The 1975" als beste Band - zwei Finger in den Hals. Und überhaupt wirkt alles (Laudatoren, Bühne, Drehbuch) als wär's eine provinzielle Preisverleihung aus Brünn oder Little Rock - Britannia als 51st state of America.
Ja, die Brit Awards sind nicht der Mercury Preis, aber sie müssen ja nicht gleich zum Echo werden, sie sollten doch auch so etwas wie Selbstbewusstsein ausstrahlen. Und daran sollte das 2016er-Massensterben der alten Stars, allen voran das von Bowie und George Michael, auch nichts blockiert haben.
Das Gesicht der Brit Awards, das ist das von Andrew Ridgeley. Ein glatzerter Totenschädel, der einen Text abliest. It felt like the sky had fallen in.
2.
Es war Liebe auf den zweiten Blick. Zuerst war es abstoßend, dieses auf Fragmentierung und Wirrnis hindeutende Konzept, dass jede Folge völlig neues Personal und keine große epische Erzählung enthalten wurde. Und das in den Hoch-Zeiten des ausgefeilten Storytelling, der raffinierten Plot-Wandlungen.
Dann ist es aufgegangen. Mit der Episode um Eesha, dem pakistanischen Mädchen, das in zwei Welten lebt und sich immer wieder aufs Dach flüchtet und tut, wofür diese New Yorker Dächer wohl da sind: kiffen. Dafür lauert sie dem Dealer ihrer Nachbarn (deren bizarre Geschichte den zweiten Strang dieses 25-Minüters bildet) auf. Und der "weed guy", der ist die einzige Klammer von High Maintenance, der seit 2012 kursierenden Webserie, die 2016 von HBO groß ausproduziert wurde.
Der Weed Guy, der Grasmann, das ist Ben Sinclair, gemeinsam mit Katja Blichfeld Schöpfer und Autor der Serie, ein freundlich-bärtiger Hipster. Er beliefert mit seinem Rad unterschiedlichste Kunden. In Folge 3 taucht er nur zufällig auf, als Freund der Hundeausführerin, in die sich die Hauptfigur verliebt: Gatsby, der Hund. Auf seiner Höhe bleibt die Kamera die gesamte Folge lang, von seinem Umzug aus einem vote-for-trump-Vorort nach Brooklyn, seiner Liebe zu Beth (Yael Stone, der Morello aus OITNB) bis hin zu seinem Happy End als "Grandpa" seiner neuen Besitzerin, einer Punk-Frau im Thompkins Square Park.
Das alles ist zum Niederknien fein erzählt, atmosphärisch oft nur angedeutet und ohne Zwang zur Pointe oder zum Drama - einfach der Witz und der Irrwitz des Alltags; im halt schon herausfordernden Setting von New York, das die Diversität seiner Menschen nicht überbetonen muss, sondern da aus dem Vollen schöpfen kann. Wie in Folge 4, wo ein älteres chinesisches Flaschen/Dosensammler-Paar im Zentrum steht (samt einem viel zu coolem Sohn in Berlin), und sogar den argen Opa, der zum Früh-Rave gleich hinterm Washington Square geht und seine Tochter verstört, in den Schatten stellt.
Seitdem warte ich mit glühenden Wangen auf die nächste Begegnung mit High Maintenance - meine findet immer Mittwoch abends auf Sky Atlantic statt, ihr könnt euch über HBO oder vimeo einklinken.
3.
Es hatte wohl damit zu tun, dass die letzten Tage voll mit Falco und seinem 60. Geburtstag waren (und auch mit Kurt Cobain und seinem 50er, aber das führte woanders hin...). Und damit, dass ich als kleines Kind gemeinsam mit meiner Schwester mit dem schon etwas älteren Hölzel-Buben und anderen Kindern im (wunderschön wilden) Hof (toller großer Baum, einiges an Gebüsch) seines Wohnhauses in der Ziegelofengasse gespielt habe, immer wenn wir dort eine meiner Mutter nahestehende Tante besucht hatten (und auch das, und die an die Golden Girls gemahnenden Runden mit meiner Mutter, meiner Oma, der dort lebenden Ulli-Oma und ihrer Schwester, der Tant'Anni führte woanders hin...).
Anfang der Woche und unter diesen Eindrücken, hab ich also gelesen, dass Niki Stajkovic gestorben ist. Den kannte ich nicht, aber er war mir auf eine seltsame Art präsent, das Wunderkind, der als 13-Jähriger 1972 bei Olympia in München (doch meine erste Sportereignis-Erinnerung) starten durfte, der Turmspringer. Es war seine erste von fünf Olympia-Teilnahmen - seine beste Platzierung war ein 8. Rang, EM-Dritter war er auch einmal.
Stajkovic war eineinhalb Jahre älter als ich. Und immer, wenn er in den Medien vorgekommen ist, hab ich mich verglichen, gestaunt, was man alles so früh werden und erreichen kann, bewundert, wie hartnäckig man an seinem Traum dranbleiben kann und mich für ihn gefreut, wenn er etwas gerissen hat.
So ab 1980, als ich mit einer Partie von ehemaligen Schülern des Zeichenprofessors Stefan Weber herumzog, war auch der Hölzel wieder da, hielt im Cafe Wortner Hof, zuerst als promising talent, dann schnell als Superstar (er war so populär, because er hatte Stil, genau das war sein Flair). Hölzel war gut vier Jahre älter als ich, aber eben auch einer (von nicht gar so vielen) in dieser Stajkovic'schen Betrachtungs-Reichweite.
Der Turmspringer meines Vertrauens ist also jetzt gestorben, in einem Schwimmbecken seiner Salzburger Heimat, nicht in Hawaii, wo er zuletzt gelebt hatte. Die letzten Bilder zeigen einen langhaariger Surfertypen mit ordentlich body, Typus mir-kann-keiner-was. Eh auch so ein bissl falcomäßig. Und ja, seitdem ich das gelesen habe, stelle ich mir auch Fragen über mich und meine sonst von mir nie hinterfragte Unverwundbarkeit.