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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 2. 2017 - 12:38

Schön krank

„A Cure For Wellness“ und „Elle“: Zwei sehr unterschiedliche Pflichtfilme, die beide ein Herz für den Wahnsinn haben.

Wenn der neue Mysterythriller eines fetten Hollywood-Studios irgendwie gar keinen richtigen Sinn ergibt und jegliche konventionelle Logik verweigert, dann ist das erst einmal eine gute Nachricht. Denn in der aktuellen Ära der am Reißbrett zu Tode konzipierten Blockbuster und schematischen Fließband-Drehbücher grenzt so etwas schon fast an Radikalität.

Willkommen also zum neuen Film von Gore Verbinski. Blitzten im letzten Streifen des höchst erfolgreichen Schöpfers der "Pirates Of The Caribean" Reihe, dem sträflich unterschätzten Westernepos "The Lone Ranger", bereits Momente kreativer Durchgeknalltheit auf, dann liefert er jetzt den bizarrsten Mainstreamfilm seit Jahren ab. "A Cure for Wellness" knüpft an die pittoreske Dekadenz von Guillermo del Toros Spätwerk an, scheint inspiriert von den frühen Meisterwerken eines Dario Argento, erinnert manchmal an den Geniestreich "Youth" von Paolo Sorrentino oder birgt Referenzen an Thomas Manns legendären Roman "Der Zauberberg".

Dabei wurde dieser dennoch ganz und gar eigenständige Film von einem Regisseur gedreht, der mit familienfreundlichen Themenpark-Filmen reich wurde - und sich jetzt als spleeniges Zwischendurch-Projekt einen herrlich verhuschten Horrorfilm leistet.

A Cure for Wellness

Centfox

A Cure For Wellness

Exzentrischer Albtraum mit glitschigen Aalen

Ein junger Bank-Manager namens Lockhart (blass und gehetzt von einem perfekt ausgewählten Dane DeHaan gespielt), wird in ein Schweizer Wellness-Zentrum geschickt, um einen älteren Kollegen dort abzuholen. Der besagte Vorstandsvorsitzende hat sich nämlich seit Wochen nicht mehr gemeldet und stürzt den Konzern damit in eine Krise. Aber aus dem kurzen Trip in die Alpen wird nichts. Nach einem Autounfall endet auch Lockhart mit einem schweren Beinbruch in dem mysteriösen Volmer Institut.

Was in dem Sanatorium, das sich auf ein spezielles Wasser mit heilenden Kräften beruft, dann passiert, ist so seltsam, dass man oft nicht zu glauben vermag, dass es sich um eine große Studioproduktion handelt. Sagen wir mal, ohne hier zu viel zu verraten, dass gespenstische Krankenschwestern, gewalttätige Ausbrüche, schwere Fälle von Klaustrophobie, Andeutungen von Inzest, frontale Nacktheit und glitschige Aale involviert sind. Sehr viele glitschige Aale.

A Cure For Wellness

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A Cure For Wellness

Gore Verbinski hat aber noch mehr zu bieten: Unheimliche Kinderliedgesänge auf der Tonspur, die an düstere „Giallo“-Schocker erinnern, eindringlich morbide Bilder, die man sich oft einrahmen möchte, die faszinierende „Nymphomaniac“-Darstellerin Mia Goth in der weiblichen Hauptrolle, Jason "The OA" Isaacs als zwielichtiger Doktor, österreichische Schauspieler wie Johannes Krisch und Susanne Wuest in Kurzauftritten. Und, tatsächlich, ein Song von Bilderbuch, der in einer zentralen Szene das schauerliche Personal zum Tanzen bringt.

Ein wunderbar exzentrischer Film, ganz ohne große Stars, von einem Regisseur, von dem man solche Risikobereitschaft wirklich nicht erwartet hätte. Dass "A Cure For Wellness" eben an den amerikanischen Kinokassen für seine betonte Weirdness bestraft wurde, stimmt traurig. Sollte aber auch ein Appell sein, sich sofort ins nächste Kino zu begeben und zweieinhalb Stunden lang in diesem schön kranken Albtraum zu versinken.

A Cure For Wellness

Centfox

A Cure For Wellness

Ein sehr seltsamer Film

Ein Herz für den Wahnsinn hat auch Paul Verhoevens neuer Film "Elle", der nach einer gefeierten und heiß diskutierten Österreichpremiere bei der Viennale jetzt endlich regulär anläuft. Berühmt und berüchtigt wurde der holländische Regisseur ja bekanntlich mit einer ganzen Reihe von Hollywoodfilmen, die den Mainstream mit Sex und Gewalt unterwanderten. "Robocop", "Total Recall", "Basic Instinct" oder auch "Starship Troopers" zählen zu seinen erfolgreichsten Werken.

"Elle" könnte stilistisch von diesen Erfolgsfilmen nicht weiter entfernt sein und markiert, nach dem mitreißenden Kriegsdrama "Black Book", nun Verhoevens endgültige Rückkehr zu seinen Anfängen als niederländischer Regierebell.

Elle

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Elle

Die erste Szene des Films hinterlässt einen als Zuseher fröstelnd im Kinosessel. Michèle, eine Pariser Managerin, wird in ihrem Haus überfallen und von einem maskierten Fremden brutal vergewaltigt. Mindestens genauso bestürzend ist aber, was nach der schockierenden Einleitung folgt. Michèle räumt einfach ihr verwüstetes Wohnzimmer auf, wischt sich das Blut ab und setzt ihren Tag fort. Später, bei einem Dinner mit Freunden, erzählt sie emotionslos von dem Verbrechen. Spätestens ab diesem Moment ist klar: "Elle" ist ein sehr seltsamer Film.

Dabei konzentriert sich Paul Verhoeven in weiterer Folge gar nicht so sehr auf Michèle und ihren Opferstatus. Er portraitiert stattdessen das neurotische Umfeld der Geschäftsfrau. Wir erfahren, dass Michèle im lukrativen Computerspiel-Business arbeitet und Games mit Hardcore-Vergewaltigungsszenarien kreieren lässt. Wir finden heraus, dass ihr Vater ein berüchtigter Massenmörder war und die Tochter seinen Amoklauf sogar beobachten musste. Und wir lernen Michèles kaputte Familie kennen, die wie eine perverse Parodie auf französische Feelgood-Comedys wirkt.

Elle

Filmladen

Elle

Haneke mit Humor

Im Laufe des Films wechselt Verhoeven aber immer wieder den Tonfall. "Elle" pendelt nahtlos zwischen großbürgerlicher Tristesse, rabenschwarzer Satire und heftiger Härte, dass macht den Film doppelt befremdlich im besten Sinn. Was gänzlich fehlt ist der trashige Glamour von Verhoevens US-Streifen, stattdessen wirkt "Elle" oft wie Film von Michael Haneke mit diabolischem Humor, falls man sich das vorstellen kann.

Dass all die Gradwanderungen funktionieren, verdankt sich allerdings auch der einmaligen Isabelle Huppert, die bereits in Filmen wie "Die Klavierspielerin" oder "Ma mère" gezeigt hat, dass sie zu den furchtlosesten Darstellerinnen gehört. Angeblich hat Paul Verhoeven die Rolle der Michèle mehreren weiblichen Stars angeboten, es folgte kollektive Ablehnung. Dabei kann man sich eigentlich nur Huppert vorstellen, die mit meiner Mischung aus kalter Unnahbarkeit und lakonischer Gehässigkeit durch diesen radikalen Film stapft, der den Kinobesuch wieder gefährlich macht.