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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

23. 2. 2017 - 14:29

"Ich nutze eine Lücke im System"

Eine Ghostwriterin für wissenschaftliche Arbeiten spricht über ihren Job.

Oft ist es die letzte große Hürde des Studiums: die Bachelor- oder Masterarbeit. Mittlerweile müssen auch schon Maturant_innen eine vorwissenschaftliche Arbeit schreiben. Und immer wenn es zu Abgabeterminen von solchen Arbeiten kommt, dann mehren sich wieder die Spekulationen, wie viele von diesen Arbeiten wohl von anderen als den angeblichen Autor_innen verfasst wurden – also von Ghostwritern oder Ghostwriterinnen.

In Deutschland kursieren Schätzungen, dass jede 3. Jus- oder BWL-Arbeit von Ghostwritern verfasst ist. Für Österreich gibt es keinerlei Zahlen. Mit einer schnellen Google-Suche findet man zahlreiche Agenturen, die ihre Dienste für Masterarbeiten und mehr anbieten. Der Markt scheint also vorhanden zu sein.

Hände auf Computer-Keyboard

CC BY 2.0 Anonymous Account via Flickr

CC BY 2.0 Anonymous Account via Flickr

Ich habe eine junge Ghostwriterin getroffen, die schon mehr als 20 Arbeiten für andere verfasst hat. Die Frau ist selbst Studentin, möchte lieber anonym bleiben.

Wie bist du zum Ghostwriting gekommen?
Ein Freund hat mich gefragt, ob ich ihm bei einer Arbeit helfe, bei der er sich sehr übernommen hatte. Damals hatte ich selbst noch keine einzige Hausarbeit geschrieben. Ich habe gesagt, ich probiere es aus, er muss mir das alles beibringen. Seitdem mache ich das.

Wie viele Arbeiten und wie große hast du schon geschrieben?
Ich mache das seit ca. zwei bis drei Jahren und habe sicher schon locker über 20 Arbeiten verfasst. Von der kleinen Hausarbeit bis zur Bachelor- und zur Masterarbeit. An Themen ist von Wirtschaft über Geschichte bis Politik oder Publizistik alles dabei gewesen.

Wie geht das, warum weißt du so viel?
Das werde ich immer gefragt, ich sage dann: Als Student ist man kein Experte am Ende des Studiums, man wird mit dem Schreiben der Arbeit zum Experten.

Schreibst du die Arbeit komplett? Oder haben die Leute schon was angefangen und du machst das fertig oder bringst es in die richtige Form?
Halbgare Arbeiten zu korrigieren ist das Schlimmste. Da muss man eigentlich wieder von vorne anfangen, ohne dass man das Thema selbst gewählt hat. Meine Kunden sind oft selbst nicht einmal in der Lage, überhaupt Forschungsfragen zu stellen, geschweige denn Literatur herauszusuchen. Mir ist es am liebsten, wenn ich mir das Thema aussuche und alles von Anfang bis Ende durcharbeite.

Ab wie viel ist man denn dabei?
Ich verhandle Pauschalpreise. Das sind normalerweise zwischen 4000 und 8000 Euro pro Arbeit, je nach Aufwand und wie sehr mir das Thema liegt.

Arbeitest du alleine oder mit einer Agentur zusammen?
Ich arbeite nicht mit einer Agentur, bei mir läuft alles über Mundpropaganda. Man hört von mir. Mit einer Agentur müsste ich doppelte Preise verlangen, denn ich zahle keine Steuern. Je nach Thema arbeite ich manchmal mit Freunden zusammen, die sich auskennen. Aber sonst mache ich alles selbst.

BOKU Bibliothek

CC BY-SA 2.0 library_mistress via flickr

CC BY-SA 2.0 library_mistress via flickr. Statt monatelang in der Bibliothek abhängen, lieber die Arbeit bezahlen.

Was für Menschen sind das, die wissenschaftliche Arbeiten in Auftrag geben? Reiche Söhne oder Töchter, die einen Titel haben müssen? Menschen im Job, die einfach keine Zeit haben? Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, an der Hürde wissenschaftliche Arbeit scheitern?
Meine Kundschaft ist sehr unterschiedlich. Ein großer Teil bei mir sind tatsächlich reiche Kinder, die nicht mal die deutsche Sprache beherrschen. Sie studieren, um den Abschluss aus Österreich zu haben und dann wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren. Bei anderen Kunden kann ich es emotional viel mehr nachvollziehen: Die geben eine Arbeit in Auftrag, weil sie berufstätig sind, ein Kind haben und den Abschluss brauchen um eine bessere Anstellung zu bekommen. Da gibt es ja so Studien, wo neun Prüfungen geschafft werden müssen und dann kommt noch eine Arbeit. Wen man nicht hauptsächlich Student ist, dann geht sich das nicht aus.

In welchem rechtlichen Rahmen bewegst du dich mit dem Ghostwriting?
Nachdem ich meinen Namen nicht auf die Arbeit setze, aber auch nicht den Namen der Kunden, kann man von meiner Seite aus nicht von einem Plagiat sprechen. Es sind die Endkunden, die es zum Plagiat machen, indem sie es unter ihrem Namen abgeben.

Du ziehst es aber trotzdem vor anonym zu bleiben. Warum?
Ich arbeite schwarz. Meine ganzen Einnahmen werden nicht versteuert. Ich schäme mich aber nicht für meine Arbeit. Weil ich das gesamte System dafür verantwortlich mache, dass es überhaupt möglich ist, dass es dazu kommt. Wenn jemand bis zum Ende des Studiums kommt, vielleicht Referate gehalten hat ohne Deutsch zu können, ohne dass der Professor es merkt, dann ist der auf diesem Weg schon so viele Schritte gegangen. Ich nutze da nur eine Lücke im System.

Du schließt also keine Werkverträge ab. Wie stellst du sicher, dass du bezahlt wirst?
Mir sind natürlich die Namen der Endkunden bekannt. Ich mache das auch deutlich, dass ich die Namen kenne und es unnötig wären, Konflikte auszulösen. Daher hab ich diesbezüglich sehr selten Probleme.

Ärgert es dich manchmal, dass jemand deine Arbeit als seine oder ihre verkauft? Ist es schon mal passiert, dass jemand mit einer Idee von dir richtig großen Erfolg gehabt hat?
Nein. Mein Eindruck ist, dass die Kunden eher still sind. Dass sie nicht mit den Arbeiten hausieren gehen oder prahlen. Da sind die meisten doch vorsichtig.

Macht dir das Ganze eigentlich Spaß? Oder ist das nur ein Brotjob?
Die Arbeit macht mir schon großen Spaß, weil ich mich mit Themen auseinandersetze, die ich mir meistens selbst ausgesucht habe. Ich arbeite wann ich will, ich kann reisen, weil ich den Job von überall aus machen kann. Das bietet mir so viel Freiheit, wie kein anderer Job zuvor.

Wenn du gerne wissenschaftlich arbeitest, warum arbeitest du nicht gleich an der Uni?
Ich möchte nicht an der Uni tätig sei. Ich habe einen Einblick gewonnen, wie es dort läuft, und möchte mich diesem System nicht aussetzen. Für mich ist die Arbeit derzeit ein Mittel zum Zweck, der mir Freude macht. Aber ich möchte durchaus eigentlich etwas anderes tun, ich möchte etwas beitragen. Und nicht Menschen dazu verhelfen, durchzukommen, ohne dass sie es verdient hätten. Das ist eine schwierige Frage, mit der ich mich immer wieder auseinander setze.