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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 2. 2017 - 15:30

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 22-02-17.

Popfaktisch. Die beste Trump-Analyse bis dato kommt von Georg Seeßlen und geht dorthin, wo's wehtut.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Trump! Populismus als Politik ist bei Bertz+Fischer erschienen und in Deutschland medial bereits angekommen - siehe die folgenden Links.

In Österreich hat sich bis heute (wer Gegenbeispiele kennt, bitte melden, ich verlinke gern) niemand damit beschäftigt, was auch mit der lausigen Präsenz im Buchhandel zu tun hat (incl. gruseliger Erfahrungen bei konkreter Nachfrage etwa im höchst inkompetenten Thalia Mariahilferstraße).

Blogroll:

Ein Teil des Buches (die Bildanalyse) in der FAZ bzw der Jungle World, wo auch ein originärer Text von Seeßlen erschienen ist. Auch im Culturmag und im Spiegel hat Seeßlen getextet, die Spiegel-Geschichte zum Buch findet sich hier.

Gespräche mit Georg Seeßlen gibt's im Deutschlandradio und auf Telepolis. Audio hier beim NDR.

Außerdem beschäftigen sich lesenswerterweise: die NZZ mit einer eigenwilligen Zusammenfassung, das Titel-Kulturmagazin oder der Blog pop-zeitschrift intensiv mit dem Buch. Ein essential reading findet sich auf nerdcore.

Donald Trump ist Zorro, Robin Hood, Jesse James, Billy the Kid, the Rainmaker, der Sheriff, Django, Maciste, Mr. Smith, Batman, Iron Man, Citizen Kane, Jabba the Hut, Goldfinger, The Joker, Lex Luthor, Kater Karlo, Donald Duck, Goofy, Bugs Bunny, Popeye, Frankensteins Monster, der Golem, Krusty the Clown, Al Capone, Groucho Marx und Ubu Roi. Und ein Simpsons-Charakter.

Donald Trump ist also die Essenz der Popkultur, kein Populist, sondern ein POPulist. Sagt Georg Seeßlen in seinem neuen Taschenbüchlein Trump! Populismus als Politik (erschienen bei Bertz+Fischer).
Unter anderem.
Seeßlen, der allerbeste deutschsprachige Kulturwissenschaftler mit Schwerpunk Popularkultur, der 2011 mit Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität einen modernen Klassiker der Gegenwarts-Analyse hinstellte, geht nämlich dorthin, wo's wehtut: an die Substanz, vor allem die der Demokratie.

Die, sagt Seeßlen in seinem Schlusssatz auf Seite 139, ist nicht zu retten. Und davor erklärt er, in seiner popaffinen Sprache, die gnadenlos diskursiv unseren Status Quo seziert, warum das so ist und was der Fall Trump damit zu tun hat.

Es ist eine schmerzhafte Lektüre, weil sie vieles anspricht, was ein sich voller Hoffnungen sträubender Diskurs noch nicht anerkennen will. Es ist wohltuende Lektüre, weil seine Analyse ohne modische Zuschreibungen (egal welcher Seite) auskommt.
Es ist die beste Lektüre des Jahres. 2016 inklusive.

Wo beginnen?
Dort wo Seeßlen ansetzt.
Bei den beiden großen Gegenwartserzählungen.

Zum einen ist es die der Politik, es ist der ökonomisch-politisch-kulturelle Diskurs, der von der Machtelite und Teilen der aufgeklärten Mittelschicht getragen und von jenen, die vom aktuellen System profitieren, erzählt wird.

Zum anderen ist die des Entertainments, der populären Mythologie, die einen Aufstiegs- und Rebellions-Gestus in sich trägt und von allen verwendet werden kann, wenn es gerade passt. Auch weil sie vom Wahn getrieben wird, sich "vom elitären Instrument der Vernunft befreien zu können".

BEIDE Erzählungen haben sich mittlerweile untrennbar verflochten und erfüllen denselben Job. Pop hat längst die Aufgabe, die jeweiligen Ränder in die Mitte zu treiben, der Verwertungskette zuzuführen. Politik ihrerseits treibt zunehmend Nationalismus in die Mitte, um den Machterhalt zu sichern.
Klassisches Paradox: da sich Politik und Pop so stark annähern, produzieren sie gleichzeitig auch starke fundamentalistische Strömungen, die die jeweils andere Erzählung wegblenden. Der Hoheits-Kampf um die Authentizität, den Wert von Fakten bzw. Meinung, Ratio und Emotion ist immer auch ein Kampf, um die Erzählung rein und puristisch zu halten.

Es ergibt sich also der Eindruck von zwei Wirklichkeiten. Die Wahl von Trump ins Weiße Haus lässt nun die Pop-Realität so massiv in die politische Realität einbrechen, dass ihre Erzählung nachhaltig gebrochen ist.

NATÜRLICH war die Figur des Volkshelden, des Volkstribunen, des Sheriffs, der als autoritärer Rebell, als rechter Anarchist für das Wohl aller sorgt, aber Mitbestimmung und Demokratie dann aussetzt, wenn es nötig ist, immer auch ein Teil der (auf ihre Weise genauso mythologischen) politischen Erzählung. Vor allem in den USA. Ebenso wie das "Authentische", das sich gegen das "Künstliche" (also das Männliche, das sich gegen das Queere, Handwerk gegen Vieldeutigkeit) durchsetzt. Seeßlen weist uns unbarmherzig darauf hin: in allen populären Filmen & Fabeln schmiegen sich die Effeminierten immer ans Establishment an.

Mit diesen Pop-Mythen arbeitet die ökonomisch-politische Erzählung gern - solang es passt. Und in diesen Widerspruch ist Trumps Wahlkampferzählung hineingestoßen: der Aufsteiger, der in eine Elite hineinwächst, die er aber eigentlich verachtet; der Selfmademan, der die Regeln bricht und zu seinen Ungereimtheiten, seinen Untaten und vor allem auch zu seiner Bildungsverweigerung steht.

Dort waren Reagan oder Bush jr bereits, Trump geht in seiner totalen Rücksichtslosigkeit aber den entscheidenden Pop-Schritt weiter: er wird ganz bewusst zum Schurken, zum Kater Karlo, den alle von uns heimlich schätzen, weil er die spießige, die Institutionen vertretende, ausgewogen und nach Faktenlage urteilende Micky Maus (und deren schrilles Anhängsel Minnie sowieso) piesackt.

Trump am Playboy-Cover (1990)

playboy

TRUMP verfügt aber über mehr als eine trullige Trudi: seine Frau(en) sind sehnsuchtsbesetzte Statussymbole, unterwürfig dienend, sein Zugang ist der eines Sugardaddy. Seeßlen sagt deutlich, dass es Ausfluss der seit Jahren herrschenden Warenwelt ist, die Mädchen von früh an in rosa verpickten Scheißdreck packt, also Resultat einer nur im Elitendiskurs widersprochenen Popkultur, in der eine Ökonomisierung von Sexualität herrscht. Weil Trump das alles offen spielt (im Gegensatz zur verklemmten Heimlichkeit mit der etwa die Clintons ihre Sex-Skandale gehandelt hatten) kriegt er kein Problem; weder bei seiner Basis, noch dort, wo geheuchelte Entrüstung gut gelesen werden kann.

ÜBERHAUPT: der Anti-Intellektualismus als Zentrum der Popkultur. Gefühl vor Wissen und Bildung - Protobeispiel Goofy. Je weniger Information und Vorwissen, desto unbefangener und objektiver bin ich, oder? Das große, gute, alte Spiel mit dem Rebellen (und dass in diesem Text nicht gegendert werden müsste, hat damit zu tun, dass tatsächlich immer nur die männliche Form gemeint ist), der sein Herz, sein Kind-Ich, sprechen lässt, in Reinkultur. Das Trump-Camp scheint so in weiten Teilen strategielos, unideologisch, trägt Züge einer Mafia-Familie, handelt in erster Linie narzisstisch.

Die "Angstlust" so eine Cartoon-Figur in einem Entscheider-Amt zu sehen, ist in den USA sicher ausgeprägter als in Europa, zumal sie auch in zahlreichen Pop-Werken vorexerziert wurde. Wobei der Bogen der Zuschreibung da vom naiven Toren bis zum tabula rasa-Monster reicht.

SEEßLEN erzählt dann noch einiges über Masken - sowohl die Trump-Tweets als auch die "selbstoptimierte Zurichtung entpersonalisierter" Status-Frauen, die er mit vollverschleierten Muslimas gleichsetzt - über das Körperliche als Politisches, über den Trump Tower als batcave, um dann wieder zum Zentrum zurückzukehren: all diese Pop-Erzählungen sind nicht falscher als die ökonomisch-politische Erzählung, nur anders.

Großgeworden ist sie wegen des Verschwindens zweier anderer Erzählungen, der der wohlwollenden Machtelite (Stichwort: Realwirtschaft, Wohlfahrtsstaat, Chancengleichheit) und der der nach Fortschritt, Bildung und Aufstieg strebenden Proletarier. Beide haben sich (vor allem durch die neoliberale Praxis) in Monster gewandelt, deren Utopien jede Ganzheitlichkeit abgeht, deren Streben einzig Partikular-Interessen gilt, die sogar ganz bewusst auf Kosten anderer (egal ob Eliten, Abgehängte, Ausländer etc) gehen soll. Dort wo sich nationalistische Teile der ökonomischen Macht-Elite mit einem solcherart ausgerichteten Mob zusammentun, da zitiert Seeßlen Hannah Arendt, drohe ohnehin die Katastrophe.

DEMOKRATIE im Kapitalismus funktioniert nur dort, wo die Armut kleingehalten wird oder man zumindest an ihrer Abschaffung arbeitet. Sobald diese Bemühungen (auch nur gefühlt) eingestellt werden, verliert sie ihre Legitimität.

Für diese Bemühungen (und also den Erhalt der Demokratie) braucht es: eine breite Mittelschicht und verlässliche Konsens-Herstellung durch Medien. Beides ist aktuell akut in Gefahr. Außerdem meint Seeßlen, dass nach der Entkopplung von politischer und ökonomischer Freiheit (durch die globalisierte Wirtschaft) jetzt auch noch die der kulturellen Freiheit drohe, indem Freiheiten nur noch in markttauglichen Paketen abgeboten würden.

Politik ziehe sich, durch verminderte Definitionsmöglichkeiten, stärker auf "Aufmerksamkeits-, Unterhaltungs- und Emotionswert" zurück. Begriffe wie Volk oder Elite seien zudem durch den überzogenen Gebrauch als Zuschreibung (egal ob selbstermächtigend oder denunziatorisch) bedeutungslos und auswechselbar. Ein Joker wie Trump kann deshalb stets jede gewünschte Position einnehmen.

Seeßlen endet in einer radikalen Zuspitzung: man könne nur den Kapitalismus retten oder die Demokratie; beides zusammen nicht mehr. Die pragmatisch orientierte "Zivilgesellschaft mit sozialem und ökologischem Gewissen", die die ganz alte Erzählung man könne die Welt mit Vernunft, Moral und Empathie verbessern abgelöst hat, ist angesichts ökonomischer Gier, politischen Nationalismus und wirkungskräftiger Pop-Mythologie nicht mehr mehrheitsfähig. Die repräsentative Demokratie werde auch im Westen künftig nicht mehr der Normalfall sein, jene, die "Volk" und "Markt" am besten instrumentalisieren, werden neue Formen finden - die öffentlichen Versuchslabore laufen ohnehin gerade heiß.