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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

20. 2. 2017 - 13:51

Dufte und leiwand

Bilderbuch präsentierten in der Volksbühne Berlin ihr neues Album „Magic Life“. Wir bringen heute Abend den Mitschnitt dieser denkwürdigen Release-Show.

Was haben Herbert Grönemeyer, Rammstein und K.I.Z gemeinsam? Sie alle stehen artig in der Schlange vor dem Gästelistenschalter. Kanye West wäre wahrscheinlich mit dem Space Shuttle zur Live-Premiere des neuen Bilderbuch-Albums angeflogen gekommen. Die deutsche Pop-Prominenz hingegen gibt sich bescheiden und ein bisschen Glam-free. Wer war da noch? Bonaparte, Casper, Romano und ein Deichkind, zum Beispiel. Hätte ein Wizard-of-Oz-ähnlicher Wirbelsturm vergangenen Freitag die Volksbühne in Berlin fortgetragen, blieben in der nächsten Zeit wohl viele Konzerthallen stumm. Kurz: Alles, was in der deutschen Popszene Rang und Namen für sich in Anspruch nimmt, war da, bis hinab in die Untiefen der Label- Presse- und Promomenschen.

Bilderbuch live

Mitschnitt vom Magic Life Release-Konzert in der Volksbühne Berlin heute in der FM4 Homebase ab 19 Uhr und dann 7 Tage im FM4-Player.

Weitere Live-Termine in Österreich:

Kasematten, Graz
5. Mai 2017 und 6. Mai 2017 (Zusatzshow)

Arena, Wien
17. + 18. Mai 2017 und 19. Mai 2017 (Zusatzshow)

Tabakfabrik, Linz
26. August 2017

Bilderbuch in Berlin Volksbühne Magic Life

Niko Ostermann

Discokugel statt Leberknödel

Weil es ist ja kein Geheimnis: In der Bundesrepublik liebt man den frischen Pop-Wind, der seit gut zwei Jahren aus dem Südosten über die Alpen weht. Dass dabei die Kritik in Relation wesentlich mehr romantische Ösi-Klischees in Mensch und Musik hineinprojiziert, als die Bands der Stunde selbst bedienen, erinnert bisweilen an eine Schilehrerromanze. Dass diese nicht zwangsläufig zu einem Happy End führen muss, hat unlängst ein heller Kopf in einem Interview erkannt.

Dabei sind es gerade Bilderbuch, die den Fiaker nicht bloß krass gelb anmalen, sondern gleich gegen einen Lamborghini austauschen. Der Schmäh ist ihnen ein Trittbrett und der Falke bloß eine Feder. Im Zentrum ihres Schaffens steht der Begriff Pop, der sich in der Regel selbst genügt in seiner grenzenlosen Größe und all dem Glamour. Bilderbuch sind Discokugel statt Leberknödel, merkt’s Euch des!

Aber noch ist die "Sweet Love" für die schicken Schocker aus Wien ungetrübt und wenn man die Show an der Volksbühne als Maßstab nimmt, wird das wohl noch eine Weile so bleiben. Band, Publikum und Stimmung waren an diesem Abend dufte und leiwand.

Bilderbuch servierten einen gut austarierten Mix aus dem neuen Album „Magic Life“ und dem Vorgänger „Schick Schock“. Gewohnt nah an den Albumvorlagen funkte und glitzerte der Vierer durchs Programm und geizte nicht mit visuellen Reizen. Hier ein gelackter Fingernagel, der mit Lichtstrahlen befeuert wurde, dort ein Holly-Johnson-Gedächtnishandschuh, der allerlei Fingerspielchen zuließ.

Lader ersetzt Kruzifix

Das alles vor einer virtuellen Vorhangkonstruktion, die sich aus Dutzenden weißen Sneakers zusammensetzte. Ein bisserl Subversion, ein wengerl Konsumkritik, ein Spiegeln und ein Brechen der Jetztzeitproblemas, die streng genommen sogenannte First World Problems sind. Das alles macht die Pop-Maxime von Bilderbuch nur noch interessanter. Und dann taucht mitten im Album-Hit „Bungalow“ ein Handy-Ladekabel auf der Bühne auf, das von Maurice in die Höhe gestreckt wird wie einst ein Kruzifix vor den gläubigen Massen.

Wenn sie mit dem Publikum die Lyrics des neuen Albums mittels Call-And-Response einstudieren („Baba“), stellen Maurice Ernst, Michael Krammer, Peter Horazdovsky und Philipp Scheibl jeden pädagogischen Theaterversuch in den Schatten. Bilderbuchs „Amore“, das hat sich auch an diesem Abend gezeigt, ist „Frinks“, eine Wortverknappung von „Free Drinks“ aus dem Song „Sneakers4Free“. Es ist der bald nicht mehr so heimliche Hit des neuen Albums. In der Publikumsbefragung nach der Show sollte ich diese Wortneuschöpfung oft zu hören bekommen.

Apropos hören. Mit Verständnisproblemen haben Bilderbuch nicht zu kämpfen in Germany. Zwar verstanden viele der befragten Berliner nur einen Bruchteil der Texte und vor allem auch der Bühnenansagen (Maurice in einer ungekünstelten Lingo aus Wienerisch mit OÖ-Grundierung, die man eben als „Erdöpfi“-Exilant mit der Zeit annimmt), doch es sei wichtiger – so der Tenor – wie der Bilderbuch-Frontguru singe und nicht so sehr worüber. Ach, diese Dialekte! Umgekehrt kann das auch ganz schön reiben. Wenn zum Beispiel das Publikum frei stehend eine Hook von "Schick Schock" intoniert ("Du bist hinter meinem Rücken her"), klingt das so geschmeidig, als würde man den Satz über die Zugspitze schleifen.

Bilderbuch in Berlin Volksbühne Magic Life

Niko Ostermann

Der kapitale Kracher "SUPERFUNKYPARTYTIME", der auf dem Album wie ein Klotz wirkt, kam live erwartungsgemäß viel besser in Schwung. Insgesamt stellen die neuen Stücke in Sachen Funkyness keinen Bruch zum "Schick Schock"-Material dar.

„Is schräg in der Schräg‘n – goi?“, brüllte Maurice Ernst ins Mikro. Das Publikum balancierte auf dem fast schon steil in Richtung Bühne abfallenden Auditorium, das für diese Show seiner Sitzplätze beraubt wurde. In den Rängen und vor der Bühne tanzten die jungen Fans, im Bauch des Saales die Pop-Bezugsberechtigten. Am Ende gab es „Sweet Love“ für alle.

Im Anschluss an das Konzert wartete auf die Besucher der Aftershow-Party noch ein Schmäh. Man wurde von Volksbühne-Ordnern aufgefordert, eigens angefertigte Bilderbuch-Socken überzustreifen. Vielleicht ein kleiner Hint mit Hintersinn für die Kritik, das neue Album sei nicht poppig genug. Man muss sich eben ein bisserl beschäftigen mit dem „Magic Life“.

Was dieser Abend auch wieder einmal zeigte: Pop lebt nicht zuletzt von der Behauptung und Inszenierung von Größe und der Hoffnung, dass sich diese durch den Zuspruch der Fans tatsächlich einstellt. Und das ist Bilderbuch in der Volksbühne hervorragend gelungen.