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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

19. 2. 2017 - 12:12

Silberne Bären und bittere Herzen

Ildikó Enyedi nimmt den Goldenen Bären für "On Body And Soul" als besten Film der 67. Berlinale entgegen. Aki Kaurismäki wird der Silberne Bär zwischen Sesselreihen in die Hand gedrückt. Und alle googeln ein Gedicht.

Die Berlinale zeichnet Filmschaffende mit kleinen Skulpturen von Bären aus. Sie sind alle Silber, nur eine ist Gold. Alle Bären sind jetzt vergeben, die bildkräftig erzählte, zarte Liebesgeschichte "On Body And Soul" war der Jury Gold wert. Vier der 18 im Wettbewerb konkurrierenden Filme stammen von Regisseurinnen und einer davon ist die ungarische Produktion.

Wieder Gold für Ildikó Enyedi also! Vor 28 Jahren hat sie für ihr Debüt "My 20th Century" in Cannes die Goldene Kamera erhalten. Ihre weiteren Filme "The Magic Hunter", "Tamas and Juli" und "Simon the Magican" hatten bei den Filmfestivals in Venedig bzw. in Locarno ihre Premieren. Vor "On Body and Soul" hat sie eine ungarische Adaption der Serie "In Treatment" realisiert. Ildikó Enyedi freut sich über den Goldenen Bären und zugleich über das Publikum der Berlinale und das inkludiert die Jury: Ihr Team hätte immer an die Geschichte der zaghaften Annäherung zweier Menschen zueinander geglaubt. "Aber wir konnten nicht sicher sein, ob uns das Kinopublikum folgen wird. Denn für diesen Film braucht man ein großes Herz."

Ildiko Enyedi

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Suche "Herz UND bitter"

Und alle googeln nach einem Gedicht.
Bildungsfernsehen dank Georg Friedrich. Er beginnt seine Danksagung dafür, der beste Darsteller dieser Berlinale zu sein, indem er das Gedicht "In the desert" des US-amerikanischen Autors Stephen Crane (1871-1900) vorträgt, das ihm "sehr am Herzen" liegt: "In the desert I saw a creature, naked, bestial, who - squatting upon the ground, - held his heart in his hands, and ate of it. I said, 'Is it good, friend?' 'It is bitter bitter', he answered; 'But I like it because it is bitter, and because it is my heart."

Georg Friedrich

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Der österreichische Schauspieler Georg Friedrich gehört auch ausgezeichnet. Aber ausgerechnet für Thomas Arslans "Helle Nächte"? Der Film ist eine lange, langweilige Fahrt durch karge Landschaft. Der Charakter, den Georg Friedrich darstellt, ist für mich - anders als von der Jury gesehen - in keiner Sekunde unberechenbar. Man packt es kaum, wie wenig Inhalt hier transportiert wird. Georg Friedrich und Thomas Göbel, den man aus der Verfilmung von "Tschick" kennen könnte, stehen sich in der fiktiven Vater-Sohn-Beziehung gegenüber, die ihren beiden Filmfiguren fremd ist. Eine Journalistinnenkollegin versuchte vorsichtig, den Antrieb des Regisseurs für diesen Film zu ergründen. Sie begann ihre Frage mit der Feststellung, dass Filme ja eine Arbeit von Jahren in Anspruch nehmen. Tun sie und "Helle Nächte" nimmt dem Kinopublikum über zwei Stunden.

Gut, die internationale Jury hat das entschieden. Georg Friedrich jedenfalls ist dem Berlinale-Publikum in den vergangenen neun Tagen auch in Nicolette Krebitz' "Wild", in "Marija" und Josef Haders "Wilde Maus" begegnet.

Georg Friedrich und Josef Hader in "Wilde Maus"

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Ein insgeheimer Hauptdarsteller nahezu jeder Pressekonferenz auf der Berlinale ist Mahari Seghid. "African refugee news", stellt er sich vor und hat jeweils eine kurze Interpretation des Films oder ein Kompliment für Mitwirkende parat. Von Georg Friedrich wollte Mahari Seghid wissen, wo er derart meisterhaft schauzuspielen gelernt hätte. Denn, so Mahari Seghid weiter, Friedrich habe sein unverkennbares Gesicht: "wie Sean Penn".

"Das Schauspielen habe ich garantiert nicht in der Schule gelernt! Ich habe eine kleine Schauspielschule in Wien besucht und zehn Jahre später war ich am CalArts - Californian Institute of the Arts -, habe die Ausbildung aber nicht abgeschlossen", antwortete Georg Friedrich. "Ich kann mein Gesicht nicht ändern. Manchmal setzen sie mir eine Perücke mit langen Haaren auf und geben mir schlechte Zähne, das verändert mein Aussehen ein bisserl. Aber ich kann meine Stimme nicht ändern. Also - was noch?"

Alle Bären der 67. Berlinale im Überblick.

Mit dem silbernen Bären in der Hand ist Georg Friedrich Samstagabend zu Tränen gerührt wie die als beste Darstellerin ausgezeichnete Kim Minhee. Die von ihr in " Bamui haebyun-eoseo honja" regelrecht verkörperte Frauenfigur zieht die Sehnsucht nach Hamburg.

Von "Müllers Büro" angefangen über "Nordrand", "Hundstage", "Nacktschnecken", "Spiele Leben" - ein Name-Dropping seiner Präsenz in herausragenden Filmen sprengt den Rahmen. Georg Friedrich hat vor drei Jahren den Großen Schauspielpreis der Diagonale bekommen. Auch damals war es eine große Freude, ihm im schickem Dreireiher zuzuhören. Damals hielt die Kollegin Johanna Orsini-Rosenberg die Laudatio, sie ist wiederum auf der Berlinale in Julian Radlmaiers "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" aufgefallen.

"Call me by your name"!

Während im Berlinale-Palast alle in Abendgarderobe der Preisverleihung folgten, wollten sehr viele in ein anderes Kino: Das Stille-Maus-Spiel auf der Berlinale hat "Call me by your name" gewonnen (Danke Pia Reiser!).

Berlinale

Call me by your name

"Call me by your name" ist der Film mit aufgeregt pochenden Herzen, die unter Hemd und T-Shirt versteckt werden. Der Regisseur Luca Guadagnino hat den gleichnamigen Roman von André Aciman derart zauberhaft verfilmt, dass einem ganz anders wird. Er führt das Publikum in ein Ferienhaus nahe dem Gardasee, man spürt die kühlende Luft des Gebäudes nahezu und ahnt schon das Verlangen. Aber erst mal langsam. Was hier entwickelt wird, zieht zum Ende so an - wann ist österreichischer Kinostart von "Call me by your name"?

Dass Sufjan Stevens Songs für den Film geschrieben hat, der am Sundance Film Festival Weltpremiere hatte, rückt geradezu aus dem Sonnenlicht. Die betörend umgesetzte Geschichte spielt 1983. Überblendungen als Stilmittel bestätigen auch hier den Verdacht, dass es sich um einen wiederentdeckten Trend in der Filmmontage handelt. Das muss ein Film erst mal schaffen, dass man sofort das Buch lesen will. Und nach "Call me by your name" wird man jedem weiteren Film, der mit "Coming of age" und "Coming out" beschlagwortet wird, erneut eine Chance geben.

Armie Hammer

sundance

Call me by your name

Der Schauspieler Armie Hammer hat das Wesentliche in einem Interview auf den Punkt gebracht: "It's a very scary and hard thing to do to accept and sort of come to terms with something you're feeling that you don't understand." Kapieren geht nicht immer über Logik. Das beweist bestes Kino und genau das ist "Call me by your name".