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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

27. 2. 2017 - 18:00

Ein Piano geht um die Welt

Cherilyn MacNeil kommt aus Südafrika, lebt aber schon seit einigen Jahren in Berlin, von wo aus sie ihr Indie-Pop- und Singer-Songwriter-Bandprojekt Dear Reader betreibt.

Cherilyn MacNeil erzählt im FM4-Interview anlässlich des neuen Albums von Dear Reader von ihrem geliebten Piano. Dass es, als ihre Eltern in Johannesburg umgezogen sind, nicht mehr wirklich Platz gefunden hätte, also war klar, dass Cheri es nach Berlin bringen lassen würde. Die Reise des wertvollen Familienstücks ging über Durban in Südafrika mit dem Schiff Richtung England und dann mit dem Lastwagen nach Berlin in die Wohnung von Cherilyn MacNeil. Allein wegen des Klaviers muss ich schon noch viele weitere Jahre in der deutschen Hauptstadt verbringen, lacht Cheri MacNeil herzlich.

Day Fever

Albumcover Dear Reader (Berlin, Südafrika) rot und grau bißchen grün, verschiedene Schattierungen

City Slang

"Day Fever" von Dear Reader

Cherilyn MacNeil fühlt sich weiterhin sehr wohl in Berlin. Insgesamt und etwa auch, weil dort die Plattenfirma zuhause ist, die die Musik von Dear Reader veröffentlicht, nämlich das wirklich engagierte City Slang Label. Es war auch Christoph Ellinghaus, der City-Slang-Betreiber, der Cherilyn MacNeil vorschlug, ob sie ihr nächstes Album vielleicht in einem Studio in San Francisco machen möchte, produziert vom US-Musiker John Vanderslice. Jetzt ist dieses Album da und es heißt "Day Fever". Der Titel bezieht sich auf einen alten Ausdruck, der für "Hysterie" steht. Als "hysterisch" wurden ja immer gern Frauen bezeichnet, und so schnappte sich Cherilyn MacNeil diesen anachronistischen, abwertenden Ausdruck und spielte damit ein wenig. Es geht viel um Angst und Unsicherheit. Und auch um die "verlorene" Jugend.

Dear Reader

Thomas McMillan

Frau mit Hut - Cherilyn MacNeil

Fast vier Jahre sind seit dem letzten Studioalbum von Dear Reader vergangen. Cherilyn MacNeil setzte sich auf "Rivonia" mit der Geschichte ihres Heimatlandes Südafrika auseinander. Dann folgte ein Live-Album zusammen mit dem Berliner Filmorchester Babelsberg. "Ich habe lange keine Konzerte mehr gespielt, ich freue mich schon so sehr aufs Spielen", meint Cherilyn MacNeil im FM4-Interview. "Ich habe viel zu lange keine Konzerte gespielt", fügt sie hinzu. Da gab es ja schließlich Live-Perlen wie zwei Auftritte in Südafrika, wo Cheri von der international so erfolgreichen US-Band The Lumineers als "opening act" eingeladen wurde. Aber schließlich wollten auch neue Songs geschrieben und aufgenommen werden, und das braucht Zeit.


Im Frühjahr letzten Jahres war Cherilyn MacNeil also von Berlin nach San Francisco gereist, um mit John Vanderslice aufzunehmen. John ist Sänger, Songschreiber und insgesamt Musiker. Er hat unter seinem Namen auch Platten veröffentlicht, bevor er sich vor ein paar Jahren auf das Produzieren anderer Künstler und Künstlerinnen konzentriert hat. In seinem Tiny Telephone Studio - einem kleinen analogen Aufnahmestudio - waren schon US-Indierockbands wie Spoon, Grandaddy oder Death Cab For Cutie, aber etwa auch die Schweizer Musikerin Sophie Hunger. John Vanderslice holte Cherilyn MacNeil aus ihrer "comfort zone" heraus, wie sie uns erzählt:

"For 'Rivonia' I was in my room, recording everything myself, I could edit everything, I could always re-do something if I wanted to. With John it was the complete opposite. I had to trust this person, basically a stranger, I mean, we had only spoken on skype once or twice. And then I arrived in San Francisco, and we had ten days to record a whole album."

Cherilyn MacNeil bezeichnet ihr Arbeiten mit John Vanderslice als "fun", "exhilarating", aber auch als "uncomfortable" und "painful". "Da war erst dieser Widerstand in mir", lacht Cheri, "und wir mussten viel reden und Dinge sozusagen aushandeln." Weil sie aber kein Mensch ist, der schnell vor etwas wegläuft, zog sie die Sache durch. "Ich vertraute John schließlich, weil ich spürte, dass die Aufnahmen gut werden würden."

Soundeffekte

Der manchmal schon fast "archaisch" anmutende Zugang von John Vanderslice bei "Day Fever" lässt keinen unnötigen Ballast zu. Cherilyns Stimme und ihre Songs an sich können sich bei meist nur spärlicher Instrumentierung voll entfalten. Wo andere Bands Schicht um Schicht übereinander lagern und das "Ertrinken" im Dreampop genießen, da zelebrieren Cheri MacNeil und John Vandersliche das Reduzierte.

"There´s no reverb. I think, reverb is very in fashion at the moment. Most music is drenched in this very atmospheric, ethereal sound. John doesn´t use reverb, unless we recorded in this room, which is called the echo chamber, and then the reverb is from the room, but otherwise there was nothing that he put on, so the effect is that everything is very much in the front and not hidden."

Ein wenig Fachsimpeln mit Cheri MacNeil über die Gegebenheiten in Aufnahmestudios und ihre spezielle Situation beim Einspielen von "Day Fever". "Weißt du, was ich eigentlich sagen will", meint sie, "dass das ganz schön furchteinflößend ist, weil die Songs an sich sehr intim und verletzlich sind, und wenn dann musikalisch nichts oder kaum etwas da ist, was das etwas versteckt, dann ist das wahnsinnig direkt."

Dear Reader

Shane Thomas McMillan

Berlin, San Francisco und zurück

Als wunderschön, aber gleichzeitig auch Angst einflößend nahm Cherilyn MacNeil San Francisco wahr. Die Armut, die es dort gibt, empfand sie, die als Südafrikanerin ohnehin an Vieles gewöhnt ist, als schmerzlich, etwa "dass es dort Menschen gibt, die einer geregelten Arbeit nachgehen, sich aber keine Wohnung leisten können und deshalb in Zelten oder im Auto schlafen", wie sie berichtet.

Aber auch zuhause in Berlin ist die Musikerin sensibel, was Missstände betrifft. Im Song "So Pretty So Pathetic" geht es etwa um einen obdachlosen Mann, der Cheri in einem Zug gegenübersaß. Er hatte eine Fahrkarte, aber sie war zehn Minuten abgelaufen, also warfen ihn die Kontrolleure raus. Muss man tatsächlich so kleinlich sein, fragte sich die verstörte und zornige Cherilyn MacNeil - und schrieb einen Song darüber.

Oh The Sky

Dear Reader live

24.03. Earlyspring Songwriter Festival, Saalfelden
25.03. Spielboden, Dornbirn

In einem anderen Stück, nämlich im Albumopener "Oh The Sky", geht es um die Großmutter von Cherilyn MacNeil. Es ist der persönlichste Song am Album. "Er ist fast so ein bisschen aus dem Nichts gekommen", erzählt sie. "Plötzlich war er da, und er ist kein 'happy song'." Die Oma von Cherilyn MacNeil ist sehr alt und lebt in einer Pflegeeinrichtung; das Leben ist für sie voller Mühen geworden.

Cherilyn McNeil ist eine große Songschreiberin und ebenso große Interpretin ihrer Lieder. In einem heißt es "The world is full of terror, I know", in einem anderen "I´m blunt as a wooden sword", und in wieder einem anderen singt sie "I´m invincible", wo es ein paar Songs vorher noch geheißen hat "You can be bitter". In "Then, Not Now" singt Cheri MacNeil "I´m dressed in navy from top to toe."


Das Laufen hält sie nicht nur körperlich fit, sondern macht sie auch "happy" und "sane", wie sie sagt. Neben der Musik ist das Marathonlaufen zu einer großen Leidenschaft der Südafrikanerin in Berlin geworden. Und so heißt der letzte Song am neuen Album von Dear Reader dann auch "The Run". Welcome back, Cherilyn MacNeil aka Dear Reader! Wir haben dich schon vermisst.