Erstellt am: 17. 2. 2017 - 16:38 Uhr
Die Zukunft nach der Stechuhr
Bundeskanzler Christian Kern hat es in seinem Regierungsprogramm "Plan A" gefordert: in Österreich sollen Arbeitnehmer_innen in Zukunft bis zu zwölf Stunden an einem Tag arbeiten können. Diese Flexibilisierung wünscht sich die Wirtschaft. Jetzt wird mit Arbeiterkammer und Gewerkschaft verhandelt, allerdings ohne ein fixes Datum, wann und was dabei herauskommen soll.
Abgesehen von Problemen die mit so langen Arbeitszeiten auftauchen, etwa fehlender Kinderbetreuung, stellt sich die Frage, wie realistisch es ist, dass wir in Zukunft noch nach der Stechuhr arbeiten und zu fixen Zeiten bestimmte Dinge tun?
Bundesarchiv / Schaack, Lothar
Tendenz Polarisierung
"Eine seriöse Antwort ist hier wirklich schwierig, es können unterschiedliche Szenarien gezeichnet werden", sagt Bettina Kubicek, Professorin für Organisationsentwicklung an der FH Oberösterreich. "Bei der Arbeitszeit wäre ein Szenario, wenn sich die bisherigen Tendenzen fortsetzen, dass die Arbeitszeit an sich im Durchschnitt nicht zunimmt, aber dass es zu einer Polarisierung kommt. Also, dass es Personen gibt, die deutlich mehr Arbeit leisten und die immer mehr Stunden arbeiten. Und eine weitere große Gruppe, die immer weniger arbeitet, in Teilzeit, und die auch immer seltener von der Arbeit leben kann."
Eine ähnliche Polarisierung beobachtet man derzeit auch bei der Art der Tätigkeit, sagt Kubicek. Während es noch immer ausreichend hochqualifizierte Arbeit gibt, etwa im IT-Bereich, wird ungelernte Arbeit immer unbedeutender. Das sind aber nur mögliche Szenarien, betont Bettina Kubicek, denn die Politik kann natürlich Rahmenbedingungen schaffen, um solchen Tendenzen entgegen zu wirken.
FM4 / Irmi Wutscher
Ein Fünftel mit freier Zeiteinteilung
Laut European Working Condition Survey von 2015 können sich in Österreich 21 Prozent, also rund ein Fünftel der Arbeitnehmer_innen die Arbeit frei einteilen. Damit ist Österreich ein wenig flexibler, als der EU-Durchschnitt, der bei 18 Prozent liegt. Circa die Hälfte der Arbeit in Österreich findet immer noch zu fixen Zeiten statt, sagt Roman Prem von der Fakultät für Psychologie der Uni Wien: "Das zeigt, dass es Branchen gibt, wo flexible Zeiteinteilung üblich ist und dass es durchaus noch Tätigkeiten gibt, etwa im Handel, wenn man mit Schülern oder Patienten arbeitet, wo man gewissen Zeiten einhalten muss."
Höhere Zufriedenheit und Produktivität?
Flexible Arbeit hat Vor- und Nachteile. Vorteile, die Arbeitgeber_innen gerne betonen, sind höhere Effizienz und Zufriedenheit der Arbeitenden. Bettina Kubicek betont, dass das nur dann der Fall ist, wenn Arbeitende das selbst so gewählt haben: "Wenn man sich die Arbeit so einteilen kann, dass man bestimmte Arbeiten, die zum Beispiel Konzentration erfordern, dann machen kann, wenn man sich am besten konzentrieren kann. Und andere Arbeiten zu Zeiten, wo mehr Unterbrechungen möglich sind." Zeit sparen sich die Arbeitenden, wenn sie z.B. von zu Hause aus arbeiten können und damit die Anreise zum Arbeitsort wegfällt.
Flexibel sein fühlt sich aber nur dann besser an und lässt einen die Arbeit leichter erledigen, wenn man wirklich auch das Gefühl hat, autonom und nach den eigenen Bedürfnissen entscheiden zu können. "Wenn die Flexibilisierung ausschließlich aus Sicht der Unternehmen oder der Kunden ist, wird das problematisch", sagt Bettina Kubicek, "wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter gefordert sind, immer flexibel einzuspringen und so ihr Leben gar nicht mehr planen können."
Verschwimmende Grenzen
Nachteil ist, dass mit der freien Einteilbarkeit die Grenzen von Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen. Wenn sie ständig erreichbar sein müssen, steigt der Stress von Arbeitnehmer_innen.
Tendenziell arbeiten Menschen, die örtlich und zeitlich flexibel sind, auch mehr, sagt Roman Prem: "Zehn Prozent der Personen, die nur in den Gebäuden der Arbeitgeber arbeiten, geben an, dass sie auch in der Freizeit arbeiten. Während Personen, die von Zuhause aus oder von unterwegs arbeiten zu 30 bis 60 Prozent berichten, dass sie mehrmals pro Woche auch in der Freizeit arbeiten."
Zu viel Stress reduziert die Leistung
Immer mehr Neurologen warnen vor einem Teufelskreis aus Arbeitsdruck, verminderter Leistungsfähigkeit und Burn-out.
Oft führt die Flexibilisierung dazu, dass die Arbeit zu Hause die im Büro nicht ersetzt, sondern sie einfach nur ergänzt. Weil man dann noch nach Dienstschluss Emails beantwortet oder ähnliches.
Sobald man in der Freizeit nicht mehr abschalten kann, ist auch keine richtige Erholung von der Arbeit mehr möglich. "Wenn die Arbeit ständig in die Freizeit hineinfunkt, dann wird das immer schwieriger". Dabei sind Erholungsphasen wichtig: Unfälle und Fehler steigen, wenn Arbeitende sich nicht von der Arbeit erholen, Kreativität nimmt ab.
CC BY 2.0 flickr.com/pittaya/
Abschalten oder Arbeit besser verteilen?
Als Lösung wird oft ein "Recht auf Abschalten" propagiert: dass Arbeitnehmer_innen zu gewissen Zeiten nicht mehr Emails lesen oder Anrufe ignorieren dürfen. Anfang Jänner hat Frankreich so ein Recht eingeführt.
Als eine Maßnahme ganz gut, meint Roman Prem. Insgesamt geht es aber auch darum, Arbeit gleichmäßiger zu verteilen. "Es gibt ja einige Personen, die in Teilzeitjobs festhängen und gerne mehr arbeiten würden. Andere haben eine 50- oder 60-Stunden-Woche und würden gerne weniger arbeiten. Ein Lösung auf gesellschaftlicher Ebene wäre, Arbeit gleichmäßiger zu verteilen." Hier könnte man Wochenarbeitsstunden vermindern, oder Maßnahmen wie Sabbaticals oder Pflege- und Bildungskarenzen fördern. "Das würde dazu führen, dass mehr Personen am Arbeitsprozess teilnehmen."
Genau die Idee ist ja eigentlich auch im Plan A als Grund angegeben, warum die Arbeitszeit flexibilisiert werden soll.