Erstellt am: 16. 2. 2017 - 16:16 Uhr
Die Wiener Festwochen werden wild
"Fest" leuchtet es in vielen Sprachen und Schriften vom Programmheft der Wiener Festwochen. "Ausnahmezustand" sagt der neue Leiter Tomas Zierhofer-Kin zur ersten Ausgabe unter seiner Intendanz. Der Kulturtanker mit einem Budget von 13 Millionen Euro will ein neues, jüngeres Publikum erreichen, heißt es.
So hat man sich den Donaufestival-erprobten Zierhofer-Kin geholt, der für einen kompromisslosen Glauben an das Verstörungspotential von Kunst und Pop steht und auch immer für den einen oder anderen markigen Katalog-Text zu haben ist. Tatsächlich ist im aktuellen Programmbuch von "extatischen Potentialen", "utopischen Gegenentwürfen" und" herrschenden Denk- und Handlungsmustern" die Rede, die "in Frage gestellt" werden.
This is not Wiener Festwochen?
Nach der Programmpräsentation kommt die ängstliche Frage aus dem Publikum: "Und die Generation 40, 50+ wollen sie also nicht mehr ansprechen?" Tatsächlich haben die Festwochen deutlich weniger von dem, was man gemeinhin Hochkultur nennt. Keine klassischen Konzerte, Oper, nichts im Burgtheater und auch alte Dauergäste wie Castorf oder Marthaler sucht man vergeblich im Programmheft. Dafür werden wir mit Hashtags durchs Programm geführt: #artivisim #centuryofthemigrant #newpopmagic #ritualism #viennapartyweeks #solidaritätstattmitleid. Damit ist die Stoßrichtung der neuen Festwochen schon ganz gut beschrieben. Die Kunst als "Tool der Selbstermächtigung", das "Abrücken von einer eurozentristischen Perspektive" werden von Tomas Zierhofer-Kin in Aussicht gestellt. Große Worte, großes Theater, und dahinter steht ein Kunstfestival, das von 12. Mai bis zum 18. Juni vor allem auch besucht werden will.
Die Wiener Festwochen verlassen ihr natürliches Habitat - zumindest teilweise
Bisher verlief der klassische Festwochen-Trail fast ausschließlich im innerstädtischen Bereich: von Konzerthaus über Künstlerhaus/brut, Theater an der Wien, Museumsquartier, Burgtheater. Heuer darf man sich auf das sogenannte "Performeum" freuen, das auch als eine Art Festivalzentrale dienen wird. Anrainer des neuen Hauptbahnhofs können jetzt schon jubeln, der Rest wird wohl auch hinfinden. Das Performeum ist in einer schönen, abgerockten ÖBB-Fabriksanlage an der Laxenburgerstraße angesiedelt, die schon letztes Jahr beim Real-Deal als Kunstort erprobt wurde.
Dort werden über 5 Wochen lang Tag und Nacht Partys, Performances, Aktionen und eine große Ausstellung zu sehen und vor allem zu erleben sein. "Queere ästhetische Praxis als Widerstand" beschreibt das Programmheft etwa das "House of Realness" des New Yorker Künstler/Kurators Ben Pryor, das mittels "Dikurs, Drag und Disco" die Trump-Realität und den Protest dagegen zum Voguen bringen will. Postkoloniale Positionen in der großen Festwochen-Ausstellung "The Conundrum of Imagination", brasilianische Anus-Erforschungen und Party zwischen rhinoplasty und "Pre-War-Damascus-Karaoke-Bars"… Wenn alles nach Plan läuft, sollte das Performeum im 10. Hieb das wild pulsierende Herz dieser Festwochen werden.
Globale Clubmusiken im Schloss
Der Online-Verkauf für HYPERREALITY startet am 23. Februar 2017, 10 Uhr.
Daniel Sannwald
"Hyperreality" heißt ein fünftägiges Festival im Festival, das im Schloss Neugebäude - ja, hinterm Zentralfriedhof, 11. Bezirk, Oida - vielleicht am stärksten an die Donaufestival-Konzepte der letzten Jahre anschließt. Noise, Beats, Bass. Grenzensprengende Elektronik, hybride Lebens- und Musikwelten zwischen R’n’B Glamour und dessen Aneignung und Verformung von Künstler_innen, die an einem globalen, digital vernetzten Popbegriff arbeiten. Die Liste der Teilnehmer_innen ist lang. Hinter ein paar der bekannteren Namen, Holly Herndon, Gnucci, Princess Nokai, Merzbow, NON Records, Nite Jewel oder der New Yorker Clubinstitution GHE2OGOTH1K steht noch eine ganze Reihe von DJs und Producern, die es wert sind, ausgegoogelt zu werden. Horizonterweiterung is the name of the game.
Wo sind die Promis?
Jude Law wird kommen. Er wird gemeinsam mit der Toneelgroep Amsterdam unter dem Titel "Obsession" eine Art Bühnenversion von "Wenn der Postmann zweimal klingelt" zeigen. Ob das als Beruhigungspille für die promigeile Kultur-Schickeria ausreicht, darf bezweifelt werden.
Jan Versweyveld
Sie werden wohl auch das Projekt von KLF-Hälfte Jimmy Cauty eher achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Der fährt seit längerem mit einem Container durch die Lande, in dessen Innerem eine dystopische Modellwelt aufgebaut ist, die nur noch von Polizisten bevölkert wird, im Maßstab 1:87. "Die ADP Riot Tour toleriert Vandalismus, aber keine Kunst", sagt Jimmy Cauty und entsprechend sieht der fahrende Container von außen auch aus.
Thomas Mayer
Meese, Parsifal und die schweigende Mehrheit
Ein Fest für Modellbaufreunde und Graffitimaler.
Jonathan Meese, deutsche Kunst-Skandalnudel, kriegt in Wien noch eine zweite Parzival-Chance. Nach dem Zerwürfnis mit Bayreuth darf er jetzt im Theater an der Wien Hand anlegen. "MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTER DER ABWEHRZ)" heiß die "Space-Oper", die Meese mit dem Komponisten Bernhard Lang gestalten wird. Trash, Wagner, Diktatur, Gebrüll.
Die zweite "Oper" heißt "Die Entführung aus dem Serail", ist von Mozart, aber nachdem das Sounddesign und die Komposition von Ted Gaier (Goldene Zitronen) gemacht wird, wird man wohl auf allerhand Dekonstruktion des historischen Türken-Exotismus hoffen dürfen.
"Die schweigende Mehrheit", das Projekt von Tina Leisch und Bernhard Dechant, hat schon Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" zur vielbeachteten (und gestörten) Aufführung gebracht. Für die Festwochen bereiten sie "Traiskirchen – Das Musical" vor. Mit Elisabeth und Freudiana hat das wahrscheinlich nicht viel zu tun.
Der Ticket-Vorverkauf mittels Kartenbestellung hat schon begonnen, der Online-Verkauf startet am 29. März.
Tomas Zierhofer-Kin lehnt sich mit seinen ersten Festwochen weit aus dem Fenster. Vielen bildungsbürgerlichen Ballast hat er abgeworfen. Ob er damit auch einen Teil des angestammten Publikums vergrault, wird sich zeigen. Bei der Pressekonferenz war er jedenfalls um versöhnliche Töne bemüht. Die durchaus unangenehme Frage "Wer fühlt sich durch die Wiener Festwochen repräsentiert?" hat er trotzdem gestellt. Vielleicht wissen wir Ende Juni schon eine neue Antwort.