Erstellt am: 15. 2. 2017 - 14:44 Uhr
1987: Das vergessene Schlüsseljahr des Rock
Man vermag es fast gar nicht zu glauben, aber das 80er-Jahre-Recycling hält an. Unermüdlich stürzen sich seit dem Beginn des neuen Jahrtausends immer wieder neue Generationen auf die mythisch verklärte Ära. Dabei wird als Inspiration aber immer nur die erste Hälfte der Dekade hergenommen, die Zeit des New-Wave, Postpunk, Electropop, der strengen Frisuren, ballonartigen Hosen und Schulterpolster.
In den späten 80ern schlugen die Pendelbewegungen des Pop aber in eine ganz andere Richtung aus. Ermüdet von den rigiden Regeln der Wave-Bewegung, von nächtlichen Coolness-Ritualen in kühlen Neonbars, aber auch angeödet von Nachzüglern aus dem Mainstream, wandte sich der Szene-Underground (man durfte damals noch solche Begriffe verwenden) verbotenen Zonen zu. Speckige Lederjacken (gerne mit Fransen), Cowboystiefel und Flanellhemden wurden häufiger gesichtet, die Postpunk-Frisuren wuchsen zu Haarmatten, man ging beim Ausgehen zum Lachen nicht mehr in den Keller.
Will man den Punkt, an dem Rock in unzähligen Varianten zurückkehrte, an einem Jahr festmachen, dann kann das nur 1987 sein. Ob in kleinen Kellerlokalen oder in den Charts, überall drängten sich damals plötzlich wieder verzerrte Gitarren in den Vordergrund. Dabei griffen unzählige Bands auf die Vergangenheit zurück, durchforsteten die Archive der 60ies und 70ies.
Die Gothicpioniere The Cult ließen ihre blasse Klientel im Londoner Regen stehen und mutierten zu einer postmodernen Version von Led Zeppelin und AC/DC. Die auf dem Hardcore-Label SST vertretenen Düster-Hippies St. Vitus verlangsamten Black-Sabbath-Riffs und erfanden den Doom in seiner heutigen Form. Guns'N'Roses holten den Schweinerock aus der Versenkung und veränderten Teenagerleben. "Ich habe 'Appetite for Destruction' erst einige Jahre nach seinem Erscheinen über den Umweg 'Terminator 2' entdeckt", erzählt mein Kollege David Pfister. "Denn im Erscheinungsjahr war ich schlichtweg noch zu klein und jung und mein Interesse galt da vor allem Star Wars- aber auch Playmobil-Maxerln. Später wurde dieses Album dann aber mein morgendlicher Soundtrack auf dem Weg zur Schule. Walkman in den Ohren und Skateboard unter den Füßen."
Guns'N'Roses
Aber es wurde auch nach einem neuen Gitarrenmusik-Zugang geforscht, abseits hardrockiger Zitate. Der US-Musiker Steve Albini, mittlerweile längst als Produzentenlegende bekannt, verknüpfte mit Big Black die eisige Nüchternheit des Industrial mit einer Art der Bühnenekstase, die offene Münder hinterließ. Metallica und Slayer begeisterten im Herbst 1986 als Pioniere des Thrash/Speed-Metal auch Indiemagazine wie "Spex". Alles wurde im Folgejahr dann lauter, härter, auf die Spitze getrieben, manchmal auch nur um sich in Bubenposen zu suhlen und Testosteron-Highs zu genießen.
Das FM4 House of Pain blickt jedenfalls zurück auf dieses Schlüsseljahr 1987. Als Noiserock, Industrialrock, Neo-Hardrock, Thrashmetal, Speedmetal, Hairmetal, Hardcore und Prä-Grunge regierten. Hier haben Paul Kraker, Dr. Nachtstrom, Christian Holzmann, David Pfister, Rainer Springenschmid und Alexandra Augustin einige zentrale Platten von damals für euch kommentiert.
1987 - Das vergessene Schlüsseljahr des Rock
Ein House Of Pain Special am Mittwoch, 15. Februar, 22 Uhr. Und gleich im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player