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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

17. 2. 2017 - 17:06

Holz hacken oder Filme drehen

Aki Kaurismäki gilt als Favorit für den Goldenen Bären dieser #Berlinale. Beastie Boy Adam Horovitz ist jetzt auch Schauspieler und Sally Hawkins mit Oscar-reifer Vorstellung.

"Da ich grundsätzlich und automatisch absolut träge bin, muss ich immer eine Trilogie machen, um irgendetwas zu arbeiten", sagt Aki Kaurismäki auf der Berlinale. Nachsatz: "Ich kann gut Holz schneiden, das ist alles." Welch lustige Untertreibung. Der 59jährige Finne ist zum neunten Mal mit einem Film bei der Berlinale, aber bislang sind seine Arbeiten in der Programmreihe Forum gelaufen. Untrennbar mit Aki Kaurismäki ist die Beschreibung "lakonisch" verbunden.

Aki Kaurismäki auf der Berlinale

AFP

Aki Kaurismäki auf der Berlinale

Jetzt läuft "Toivon tuolla puolen" - deutscher Titel "Die andere Seite der Hoffnung" im Wettbewerb und gilt nach einer Woche mit 17 weiteren konkurrierenden Filmen als Favorit für den Goldenen Bären, mit dem die Jury Samstagabend den besten Film des Festivals auszeichnet. Der neue Spielfilm Kaurismäkis passt perfekt zum Bild, das die Berlinale gern vermittelt. Man mag es politisch und Aki Kaurismäki hat wie bei seinem letzten Film "Le Havre" einen Flüchtling als eine der beiden Hauptfiguren für "Toivon tuolla puolen" gewählt. Schauplatz ist diesmal Helsinki.

Als 30.000 aus dem Irak geflüchtete Männer in Finnland aufgenommen wurden, hätten sich Teile der Bevölkerung verhalten, als wäre ihrem Land der Krieg erklärt worden, sagt Ari Kaurismäki in Berlin. "Wie sich die Menschen zu den Geflüchteten verhalten haben, war für mich unerträglich", so der Regisseur. Was er zur Islamisierung Europas sage, will eine Wiener Journalistin wissen. Kaurismäki lässt sie die Frage wiederholen. Dann sagt er: "Was meinen Sie... Nur, weil Island einmal gut Fußball spielt, bedeutet das keine Islandisierung Europas. Es ist okay, aber sie waren nur Platz 8 in der WM. Island wird nicht Europa erobern." Dann zitiert er den Widerstandskämpfer Martin Niemöller. Und dann wird er sehr deutlich: Aki Kaurismäki kann keine Islamisierung erkennen.

Beastie Boy Adam Horovitz spielt jetzt auch

Das ist doch... ! Ja, das ist Adam Horovitz, Beastie Boy und Ehemann von Kathleen Hanna, im Spielfilm "Golden Exits". Der Moment des Erkennens erzeugt einen Funken der Begeisterung, den die aktuelle Arbeit von Alex Ross Perry als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent aber nie zu versprühen vermag. Dabei ist Chloë Sevigny mit von der Partie als Ehefrau jenes Mannes, den Adam Horovitz gibt. Ist das schon Depression oder noch Lethargie? Das Paar residiert in Brooklyn, New York, und alle Zutaten für einen herzigen Indie-Film wären gegeben. Sundance hat die Produktion gezeigt, dort war Adam Horovitz noch in dem Biopic "Roxanne Roxanne" zu sehen.

Amerikanische KollegInnen unterhalten sich vor Filmbeginn darüber, dass sie jeden Tag auf's Neue aufwachen und realisieren müssen, dass Donald Trump Präsident ist, und wie anstrengend es ist, dass die Berlinale nur wenige Tage nach dem Sundance Festival stattfindet. Theatralisch erschöpft seufzen sie und lassen sich in die Kinosesseln fallen.

"Der Frühling geht in den Sommer über, aber sonnig wird es nicht", heißt es in der Filmbeschreibung zu "Golden Exits" im Katalog der Berlinale. Kein Wunder, verbringt doch der Charakter, den Adam Horovitz spielt, seine Zeit in einem Souterrain, um den Nachlass seines Schwiegervaters zu sortieren. Eine kleine, junge Australierin will dabei helfen, den Kopf schief legen und die Haare zu oft zurecht binden. Alles, was sich abspielt, ist Alltag, aber in den Köpfen der ProtagonistInnen laufen andere Filme ab.

Taugt Adam Horovitz das Schauspielen? "Yeah, it's fun - while it's happening. The waiting-around stuff is a drag. But, you know, it's better than a job", hat er dem Hollywood Reporter gesagt. In Berlin ist er diese Woche nicht gewesen, auch nicht Chloë Sevigny, der auch Oren Moverman einen Exkurs in "The Dinner" geradezu gewidmet hat. Wahrscheinlich schauen beide Regisseure einfach auch gern minutenlang ungestört in Sevignys Gesicht, wie es das Kinopublikum zum ersten Mal 1995 in Larry Clarks Film "Kids" getan hat.

Es sei die langweiligste Berlinale überhaupt, sagt P. am Telefon. Es ist jedenfalls die 67. Ausgabe der internationalen Filmfestspiele und das Urteil ist dann doch eindeutig zu hart. Auch wenn sich so mancher Wettbewerbsbeitrag zwischendrin selber verloren hat oder wie "Ana, mon amour" von Calin Peter Nezer gar auf den Schmäh "Alles-nur-geträumt" ausweicht.

Oscar-verdächtig

Weit wird einem das Herz in Neufundland: "Maudie" von Aisling Walsh porträtiert die kanadische Malerin Maud Lewis, an deren naiver Malerei auch der US-Präsident Richard Nixon Gefallen fand. Bilder mit Katze, Rehe im Winter, der Mann mit den Fischen. Brilliant spielt Sally Hawkins diese Maud, die mit krummen Beinen und krummem Rücken von ihrer Familie nicht für voll genommen wird, die sich und die Welt mit ganz großem feinen Witz wahrnimmt und die auf den Fischhändler Everett (Ethan Hawke als sturer Außenseiter) trifft.

Die irische Regisseurin Aisling Walsh erzählt im Interview, dass Ethan Hawkes Frau ihn geradezu dazu gedrängt hätte, zuzusagen. Er wäre eines Abends nach Hause gekommen, seiner Frau wären Tränen über das Gesicht gelaufen - sie hatte gerade das Drehbuch zu Ende gelesen.

Sally Hawkins war von Anbeginn an für die Rolle der Maud Lewis vorgesehen. Sie hat sich sehr gefreut, wieder auf der Berlinale zu sein. "Berlin war das erste Festival, auf dem ich war. Und all die Leidenschaft und Liebe und der Respekt für Film ist hier so zu spüren! Es fühlt sich nicht wie Business an", sagt eine einnehmend sympathische Sally Hawkins. 2008 nahm sie für ihre Hauptrolle in "Happy-Go-Lucky" den Silbernen Bären entgegen.

Tipp für den Silbernen Bären: Daniela Vega für "Una mujer fantastica

Auf dem CinemaxX nahe dem Potsdamer Platz hängt ein riesen Werbebanner für die Fortsetzung von "Fifty shades of grey". Aber "Maudie" erzählt eine größere Liebesgeschichte. Der Film ist ein entzückendes Plädoyer für Selbstermächtigung und all die Menschen, die viel zu oft an den Rand der Gesellschaft geschubst werden. Mitleidig? Fehlalarm! Alle Verkühlten im Publikum dürfen sich zusätzlich bedanken, "Maudie" klärt die Nasennebenhöhlen. "The whole of life already framed", wird Sally Hawkins als Malerin Maud Lewis an einer Stelle über ihren Platz am Fenster sagen. Eine schöne Parallele zum Kino. All die Leben komprimiert auf Spielfilmlänge.