Erstellt am: 14. 2. 2017 - 18:00 Uhr
Ich bin verrückt nach deinem heißen Fleisch
Gleich zu Beginn zeigt uns "Santa Clarita Diet" die Nahaufnahme eines Rasensprengers – wie er in sonnendurchfluteter, bürgerlich polierter Vorstadt-Umgebung guter Dinge sein Werk verrichtet. Klack-klack-klack, der Rasen wird schöner werden.
Wir wissen, was derlei Symbolik verheißen mag – spätestens seit David Lynchs Bizarro-Meisterwerk "Blue Velvet" mit ganz ähnlicher Bildsprache den Riss im System übel vorausahnen ließ: Es ist etwas faul im goldenen Suburbia, das pralle All American Life kann sich so gut anfühlen – unter der Oberfläche aber brodelt es giftig, bald schon dürften die bösen Geister ausbrechen.
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Die – kürzlich im üblichen Netflix-Modus gleich in einem Rutsch komplett veröffentlichte – erste Staffel der hoch überzuckerten Comedyshow "Santa Clarita Diet" erweitert die Geschichte vom normalen und normativen Leben, inklusive wichtiger Konsumentscheidungen, hinter dem die Abgründe warten, um das Motiv "Zombie".
Ihren Namen hat die Serie von ihrem Schauplatz, dem prächtigen kalifornischen Städtchen Santa Clarita, wo die gut versorgte Middle Class in feinen Häuschen wohnt und man sich immer wieder gerne mal zum Barbecue in Nachbars Garten trifft. Die "Diet" im Titel verrät, dass der Speiseplan hier künftig ein seltsamer sein wird.
Drew Barrymore und Timothy Olyphant geben hier ein auch in ihren Vierzigern noch toll verliebtes Ehepaar, alles mehr oder weniger okay, wenn auch ein bisschen angestaubt und routiniert geworden: Jobs als Real Estate Agents, der Sex war schon mal heißer, aber, naja, und es gibt eine teenagermäßig angenervte Teenagertochter. Das Szenario ist bekannt.
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Schon in der ersten Episode wird sich alles ändern – Drew Barrymores Figur erkrankt überraschend und unerklärlich und kotzt mit strammem Strahl hektoliterweise die Bude voll. Diese Art von Körperflüssigkeitshumor wird sich in "Santa Clarita Diet" fortsetzen. Fortan wird Mutter Drew bloß noch mit Menschenfleisch ihren immensen Hunger stillen können.
"Santa Clarita" ist aber tatsächlich keine gewöhnliche Zombie-Show inmitten all der nicht gewöhnlichen Zombie-Shows: Es hat keine Epidemie gegeben, kein düsteres Endzeitszenario verfinstert den Planeten.
Die Sonne scheint, das Leben geht weiter, Drew Barrymores Figur scheint bislang die einzig Infizierte zu sein. Sie und ihre Familie versuchen den Schein aufrecht zu erhalten. An der Oberfläche bleibt alles heil, Mutter Drew hat sich auch äußerlich nicht verändert, bloß muss sie eben Menschenfleisch essen, schnell wird der Ehemann zum Partner-in-Crime, man muss ja zusammenhalten.
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Zwar spritzt in "Santa Clarita Diet" das Blut deftig und die Innereien glänzen und dampfen, um Grusel, Horror oder Action geht es hier aber nicht. Vielmehr präsentiert sich die Show als eine Art modernes Update von Screwball-Comedys aus den 50ern und 60ern.
Es wird nicht willenlos gekillt, sondern versucht, zunächst bloß Verbrecher und nach üblichen Moralvorstellungen vermeintlich schlechte Menschen um die Ecke zu bringen. Das Fleisch soll dann vernünftig rationiert und säuberlich in der Gefriertruhe gebunkert werden. Es kann nicht ewig gut gehen.
Das ungeschickte Mörderpärchen kommt immer wieder ins Straucheln, unglückliche Zwischenfälle müssen vertuscht werden, Leichen im Wandschrank versteckt, immer wieder schauen die neugierigen Nachbarn über den Gartenzaun. Die Nachbarn: Das sind in diesem Falle – wie kann es anders sein – Cops, die naturgemäß ihre Nasen überall hineinstecken. Die Momente, in denen Olyphant und Barrymore sich immer weiter in schlechten Alibis und Notlügen verheddern, gehören zu den besten der Show.
Immer wieder orientiert sich "Santa Clarita Diet" überdeutlich an Filmen wie dem Klassiker "The Gazebo" aus dem Jahr 1959, in dem Glenn Ford eine Leiche unter dem Gartenpavillon verscharrt. Die Leiche freilich will aber just nicht unter der Erde bleiben. Klarerweise spricht auch immer eine Verwandtschaft zu Hitchcocks "The Trouble With Harry" aus "Santa Clarity Diet": eine schwarze Komödie, in der in idyllischer Dorfumgebung ebenfalls versucht wird, eine Leiche möglichst unauffällig aus der Kulisse zu schaffen.
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Was wollen uns Zombies sagen? Sie sind Symbol für willenlose Konsumlust, den Zwang von unbedingter Selbstverwirklichung, Egoismus, Triebgesteuertheit, nicht selten auch Avatare für das Dämonische des Kapitalismus, nicht bloß bei Romero.
Unter all der schrillen Nummernrevue und dem Slapstick wirken auch in "Santa Clarita Diet" diese Ideen durch, vielmehr dreht sich die Show aber um die Konstellation Frau/Mann. Neben gegenseitigem Vertrauen, wasserdichter Freundschaft und Eifersucht handelt "Santa Clarita Diet" auch von der Angst des Mannes vor der Transformation der Frau: Drew Barrymores anfangs ordnungsliebende, durchorganisierte und leicht biedere Figur wird dank des Virus' auf allen Ebenen lebenshungriger.
Mehr Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung fortan, meint sie. Man müsse sich doch einfach nehmen, was man braucht. Sie ist voller Energie, insgesamt lustvoller und gibt von nun an vor, wer beim Sex die Hosen an hat. Der Ehemann beobachtet die Entwicklungen nicht gerade hocheuphorisch.
Oft übertreibt es "Santa Clarita Diet" mit der Übertreibung und der Albernheit. Vor allem der sonst mehr oder weniger fehlerfreie Timothy Olyphant (Deadwood, Justified, The Grinder) – die meiste Zeit ist er auch hier ein großes Vergnügen – schießt hinsichtlich manischen Overactings da und dort übers Ziel hinaus.
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Drew Barrymore hingegen hat wieder einmal eine Rolle ihres Lebens gefunden: Ihr gelingt es, die gedärmeschlürfende Zombie-Mama als liebenswürdige Sympathieträgerin zu zeichnen, gleichzeitig lässt sie wie beiläufig in ihrer Mimik und Gestik Dinge passieren, die auf dem Comedy-Sektor Vergleichbares suchen. Es ist wahr: "Santa Clarita Diet" – wenn man die allzu formelhafte erste Episode überstanden hat – ist sehr, sehr lustig.
Übersprudelnder Schabernack und ein bisschen Message, nebenbei schleicht sich noch ein kleiner detektivischer Mystery-Plot ins Geschehen, nämlich als Timothy Olyphant in einem obskuren Okkultismus-Bücherladen auf mittelalterliche Zeichnungen stößt, auf denen in rätselhafter osteuropäischer Sprache Sprüche zu lesen sind, die Lösung und Heilung der Zombie-Plage verheißen.
Ein rasanter Ritt, Witz-Druckbetankung im Sekundentakt und Nervpotenzial, Trash, fein justierter Kammerspielhumor, Kritik. Es gibt kein normales Leben, wir sind die wunde Stelle mitten unter Euch.