Erstellt am: 14. 2. 2017 - 14:05 Uhr
„Wir sind die Welt“
"Life & Livin' It" heißt das dritte Album von Achmed Gallab a.k.a. Sinkane aus New York. Es verdichtet Stile wie Highlife, Funk, Krautrock, Disco, Afrobeat und Jazz zu einem Feel-Good-Kraftwerk, das Lebensfreude in "dunklen Zeiten" (Sinkane) spenden soll. Eigentlich werden solche Alben gar nicht mehr gemacht. Grund genug, Achmed in Berlin einige Fragen zu stellen (Das Interview fand vor dem sogenannten Muslim Ban von Präsident Trump und dem überraschenden Tod des nigerianischen Popmusikers William Onyeabor statt, dessen Werk Sinkane mit der Atomic Bomb Band auf die Bühne brachte).
Christian Lehner
Lehner: Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, haben wir auch über dein Leben als US-Bürger muslimischen Glaubens gesprochen. Du hast damals erzählt, dass du aufgrund deines typisch arabischen Namens gelegentlich Probleme bei der Einreise hast, aber sonst keine Repressalien zu spüren bekommst. Hat sich das seit Trump verändert?
Das Agressionslevel ist merkbar gestiegen, selbst in New York, wo ich lebe und das als sehr liberal gilt. Viele Freunde erzählen von einschlägigen Konfrontationen auf der Straße. Mir ist so etwas bisher erspart geblieben. Aber natürlich ist New York im Vergleich zu vielen anderen Orten in den USA noch immer eine Blase der Toleranz und kulturellen Vielfalt.
Hast du Angst?
Nein, was mich betrifft nicht. Ich sehe vielmehr eine Verantwortung. Als Musiker, der aus einem muslimischen Land kommt und eine dunkle Hautfarbe hat, kann ich meine Stimme als eine positive Waffe nutzen. Ich reagiere nicht mit Zorn, das wäre gegen meine Natur. Wir wollen als Band einen Raum schaffen in unserer Musik und in unseren Konzerten, wo sich die Menschen sicher und willkommen fühlen. Unsere Band ist die Welt. Ich glaube, mehr multikulti geht gar nicht.
Ebenfalls die „ganze Welt“ war bei dem Projekt zusammen, das du vor der neuen Platte realisiert hast. Ich spreche von der Konzertserie Atomic Bomb Band, die du geleitet hast. Das war eine Hommage an den mysteriösen nigerianischen Pop-Maestro William Onyeabor mit Stars wie Ex-Talking-Head David Byrne, Damon Albarn von Blur und Mitgliedern von DFA-Records und Hot Chip.
Das war eine großartige Erfahrung. Ich lernte, wie man ein Ensemble leitet. Am Anfang war ich total verkrampft. Da saßen Musiker wie David Byrne vor mir und erwarteten Anweisungen. Ich war völlig fertig mit den Nerven. Doch dann sagte ich mir: „Wenn du keinen Spaß hast, dann lass es“. Und ich lernte tatsächlich, diese Situation nicht zu fürchten, sondern sie zu genießen. Und wir hatten großen Erfolg damit, weil der Funke auf das Publikum übergesprungen ist.
Wie leitet man denn ein Ensemble?
Wenn man damit so wenig Erfahrung hat, wie ich, dann nimmt man seine eigene Rolle oder Vision viel zu ernst. Mir ist es jedenfalls so ergangen. Man tendiert dazu, den anderen seinen Willen aufzuzwingen. Dabei geht es gerade in der Musik darum, den anderen zu vertrauen. Wenn du nicht respektierst, welche Persönlichkeit die Musiker miteinbringen, oder welchen Stil, dann vergiftet man das Klima, dann macht es keinen Spaß.
Wenn man Filme wie Whiplash ansieht, denkt man, die Musikszene steckt voller kleiner Diktatoren.
Ach, der Mythos des Despoten. Man sieht das halt gern, Musik als Struggle, als Kampf, auch als athletische Leistung, die einen eisernen Willen und viel Disziplin benötigt. „Whiplash“ ist ein gutes Beispiel dafür. Ein anderes ist James Brown. Man erzählt sich, dass er Leute gefeuert hat, wenn sie mit der falschen Krawatte zur Bandprobe aufkreuzten. Natürlich braucht es ein gewisses Maß an Kontrolle und man gerät gelegentlich aneinander, aber erst wenn deine Mitmusiker wissen, dass du ihnen vertraust, entfalten sie ihr ganzes Potenzial. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Die Tonalität deines neuen Albums ist eine andere als die der Vorgänger. „Life & Livin‘ It“ ist Lebensfreude pur. Ist das ein Resultat dieser Erfahrung mit dem „Atomic Band“-Projekt?
Ja, ich bin selbstbewusster geworden. Die ersten beiden Alben reflektierten mein Suchen nach einer Identität als schwarzes Immigrations-Kid im ruralen Amerika, das Punk hörte und sich nirgendwo richtig zu Hause fühlte. Auch für die schwarzen Peers war ich ein Alien. Bevor das zweite Album Mean Love entstand, hatte ich in New York eine neue Heimat gefunden und tauchte tief in die Musikszene von Brooklyn ein. Doch es blieb eine innere Leere. Jetzt bin dort, wo ich immer hin wollte, auch musikalisch. Ich habe erstmals darauf verzicht, alles selbst zu machen. Wir haben das Album live eingespielt. Über den Umweg anderen zu vertrauen, lernte ich, mir selbst zu vertrauen.
Du singst erstmals in deiner Heimatsprache Arabisch. Auf der ersten Single „Uh’Hu“ heißt es zum Beispiel: „Kulu Shi Tamaam“ …
… Was so viel bedeutet wie „Everything is great!“. Es ist eine umgangsprachliche Phrase. Ich schreibe meine Songs grundsätzlich auf Arabisch. Das ist wohl ein Instinkt. Dann übersetze ich sie ins Englische. Aber einige Passagen in den neuen Songs verlangten förmlich danach, auf Arabisch gesungen zu werden. Wieder kommt das Selbstbewusstsein ins Spiel. Ich wollte das immer schon einmal machen. „Kulu Shi Tamaam“ ist eine Aufmunterung für die dunkle Zeit, in der wir gerade leben. Wir dürfen uns einfach nicht damit abfinden.
City Slang
Um was geht es in dem Song „Fire“?
Um Religion. Ich entstamme einer sehr religiösen Familie. Mein Großvater war ein weithin respektierter Gelehrter. Sie haben sogar eine Moschee nach ihm benannt. Als wir aus dem Sudan fliehen mussten, landete ich in den USA, einem kosmopolitischen Schmelztiegel mit vielen verschiedenen Lebensstilen und Religionen. Das erschütterte meine Identität bis an ihre Wurzeln. Und das war auch gut so. Gute Menschen, die möglicherweise gar keiner Religion angehören, das war für mich bis dahin etwas etwas Unvorstellbares. Es dauert, bis man sich von den Dogmen befreit. Und befreien ist dafür das richtige Wort. Erst dadurch konnte ich wieder zu meinem Glauben zurückfinden.
Obwohl in deiner Musik die ganze Welt zu Hause zu sein scheint, wehrst du dich gegen den Begriff „Weltmusik“ als Genre. Man kann das auch immer an deinen Album-Covers ablesen, wo du vordergründige Gewissheiten als Klischees entlarvst. Beschreib uns doch bitte kurz das Cover von „Life & Livin’ It“.
Es zeigt mich in einer typischen Strandsituation. Ich sitze unter einem Sonnenschirm. Daneben ein Surfbrett und ein Wasserball. Man könnte glauben, das Foto stammt aus Jamaika oder Afrika. Dabei haben wir die Aufnahme in einem Garten in Brooklyn gemacht. Es ist ein Verwirrspiel mit kulturellen Codes und Erwartungshaltungen, dabei zählt am Ende nur die Musik. Der Fotoshoot wurde dann zur Party. Die ganze Nachbarschaft kam vorbei, um mit uns zu feiern. So soll es sein.