Erstellt am: 14. 2. 2017 - 06:00 Uhr
Carpe Diem Babylon Magic Life
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Mit „Carpe Diem“, Nütze den Tag, beginnt das vierte Bilderbuch Album „Magic Life“ und endet im „Babylon“, dem alttestamentarischen Sündenpfuhl, dem Ort der Dekadenz und Unterdrückung. Die Metapher entspricht der modernen, westlichen Welt, in der es sich, wenn man auf der richtigen Seite geboren wurde, verdammt gut leben lässt – noch!
Bilderbuch / Maschin Records
Magic Life auf der Insel der Seligen
Wir sind also trotz der guten Vorsätze abgestürzt und feiern ein „Magic Life“ im Kaputtalismus. Man muss es immer wieder sagen, laut und deutlich: 2016 war ein katastrophales, einschneidendes Jahr – Trump, Brexit, die Bundespräsidentenwahl. Die Zeiten ändern sich – nicht zum Besseren – und Bilderbuch haben dieses Gefühl des Niedergangs und des Umbruchs mit dem Album-Titel eingefangen. „Magic Life“ steht eigentlich für ein Hotel-Modell, Club-Urlaub und All Inclusive. Doch um Eskapismus in der fernen Südsee geht es Sänger Maurice Ernst nicht:
„Wir haben kein Album entworfen, das dich auf eine ferne Südsee-Insel entführt. Es zeigt dir eher, dass da wo wir sind, wo wir alle miteinander stehen, gewissermaßen eine Südsee-Insel ist, eine Insel der Seligen. Das ist das Spiel. Man nimmt diesen Magic Life Club und setzt ihn über Österreich, Deutschland, Europa oder die westliche Welt. Das ist der treibende Geist dieses Albums. Denn wenn du Mitte 20 bist und in Mittel-Europa geboren wirst, dann wirst du auch in einen gewissen Magic Life Club hineingeboren. Da gibt’s All-You-Can-Eat, alles ist selbstverständlich, alles was du willst, kannst du machen. Aber keiner hat dir gesagt, dass das auch ein Ende, ein Ablaufdatum hat. Es hat dir auch keiner gesagt, was hinter diesen Mauern eigentlich los ist. Auch dieses Gefühl ist Magic Life.“
Saufen mit Christus und Mohammed
„Magic Life“ ist unter der brodelnden, musikalisch ausladenden Oberfläche also auch ein politisches Statement. So auch der letzte Song des Albums: In „Babylon“ geht es thematisch überraschend, aber gut ins Konzept passend, um’s Saufen mit Christus und Mohammed. Ihre Namen werden in den Strophen ausgetauscht – die Botschaft bleibt die Gleiche: „Es ist alles für die Liebe“.
„Ich hab keine Angst vor Religion. Das ist halt mal so wegen der Erziehung in der Klosterschule.“, erzählt Maurice Ernst: „Meine Eltern sind zwar nicht gläubig, aber mich haben sie in die Klosterschule geschickt! Damit bekam ich einen sehr eigenen Umgang mit Religion, einen sehr respektvollen, aber kritischen Blick. Deswegen hatte ich keine Berührungsängste, darüber zu jammen. Die erste Strophe war einfach da mit einem Beat – und da wusste ich dann auch, wie die zweite Strophe sein müsste. Es war schon klar, wohin dieses Schiff fahren wird. Es war auch diese Notwendigkeit, so etwas zu machen, weil es wahrscheinlich politischer ist, als das meiste, was wir in den letzten Jahren an politischen Songs mitbekommen haben, die da so gemacht wurden. Es macht meiner Meinung nach weniger Sinn, sich nur über eine Partei zu ergießen. Das ist zwar auch notwendig und wichtig, aber wir Musiker sind da verantwortlich und müssen größere Gefühle schaffen, zur Diskussion einladen – und nicht etwas vorgeben, was wieder nur zur Meinungsergreifung und zur Spaltung beiträgt. Im Gegenteil – egalisieren. Make Love. Not War. Wie kann ich politisch sein, ohne negativ zu sein? (...) Es ist auch ein Eingeständnis – Wir leben in Babylon und das ist so alt und so neu gleichzeitig und es schafft das, was uns ausmacht. Das ist meine Kultur. Meine Kultur ist nicht eine Kultur, sondern mehrere. Mein Kultur ist nicht Tradition, sondern das ist die wahre Kultur – und das muss man manchmal singen, um zu zeigen, dass einem das nicht egal ist.“
Musikalisch machen Bilderbuch dort weiter, wo sie mit „Schick Schock“ aufgehört haben. Sie verpassen ihrem Sound eine weitere, hochpotente Infusion aus Glam-Pop, Cloud Rap, Funk Rock und Groove. Experimentierfreudig forcieren sie die Idee, kompromisslos neue Musik zu machen. Dabei klingt „Magic Life“ ausgefeilter und homogener als der Vorgänger. Die größte Referenz neben Falco und Kanye West ist unüberhörbar der im Vorjahr verstorbene Prince.
Prince
Einer der, schon optisch, opulenten Hits des Albums, SUPERFUNKYPARTYTIME ist eine größenwahnsinnig-großartige, mitreißende Funk-Rock-Hommage an den kleinen, großen Mann. Bereits der Titel erinnert an Princes „Superfunkycalifragisexy“, das aber, man glaubt es kaum, Maurice Ernst gar nicht kennt. Behauptet er zumindest, aber kann es so einen Zufall geben?
„Es liegt auf der Hand. Man muss ihn nicht kennen, den Song von Prince, um zu sehen, dass das ein Tribute ist. Und wann soll man Prince tributen, wenn nicht in diesem Jahr?!“
Auch dieser Song bringt das Magic-Life-Gefühl auf den Punkt:
Die Zeit ist jetzt vorbei
It’s SUPERFUNKYPARTYTIME
Mama aus Brasilien
Papa aus Usbekistan, Usbekistan
ganz egal
Mama aus Rumania
Papa aus Arabia, Arabia
ganz egal
Bilderbuch / Maschin Records
Maurice Ernst jongliert wie gewohnt mit der Sprache. Er singt und rappt dem Zeitgeist entsprechend auf Deutsch, Englisch, Denglisch. Deutsche Wörter werden englisch ausgesprochen („Rennbahnexpress“), Vokale langgezogen, falsch betont, abrupt abgerissen. Auf der Suche nach Soul, Groove und Bauchgefühl wird das enge Korsett der rationalen, deutschen Sprache aufgebrochen, ohne es zu verlassen. Vor ihm kokettierte erst ein Österreicher so versatil und selbstbewusst mit Sprache - aber der alte Vergleich nervt bereits ein bisschen:
Falco
„Falco hat sich nach amerikanischen Vorbildern orientiert und das machen wir auch. Wenn das die Verwandtschaft ist, dann her damit und Danke. Deswegen steckt er drin, das ist ein Geist. Man will wegblicken, kein nationales Klischee per se verkaufen. Man will nicht in die Welt hinausgehen um aus einer aufgewärmten Suppe Profit zu schlagen. Denn wer ist Falco? Vor kurzem war Yung Hurn Falco, dann sind wir wieder Falco. Dann wieder Marco Michael Wanda, weil der schreibt seine Songs mit seinem Producer und die Band ist nur Show. Wer ist jetzt Falco? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist jeder Österreicher, der im Ausland erfolgreich Musik macht, der Falco.“
Cloud Rap
Zum mittlerweile ebenfalls oft gehörten Cloud Rap Vergleich meint Ernst trocken: „Barry Manilow ist meiner Meinung nach der erste Cloud-Rap-Song, der aus Österreich gekommen ist und in Österreich erfolgreich war. Also – wenn das Cloud Rap ist?! Ich kenn Cloud Rap nur von Travis Scott und Lil Yachty – und das klingt schon ganz anders. Also von dem her seh ich eigentlich wenig Kontakt mit dieser Musik. Ich seh eher die Sprache als Ähnlichkeit, die wir ja bei Schick Schock auch schon gehabt haben. Ich glaub, das ist so eine mediale Notwendigkeit. Vor zwei Jahren hat jeder gesagt – Bilderbuch und Wanda – und jetzt sagt jeder – Bilderbuch und Cloud Rap. Wenn es so weitergeht, werden wir den Cloud Rap auch überleben und dann schauen wir mal, was als Nächstes kommt.“
Klotzen, nicht kleckern
„Magic Life“ baut musikalisch auf dem Vorgänger-Album „Schick Schock“ auf und bezieht sich auch thematisch darauf. Es hagelt wieder Statussymbole – statt einem Lamborghini im Video zu „Maschin” gibt es jetzt einen Porsche in „I <3 Stress, statt einem großem Pool im Video zu „Plansch“ prahlt der „Gigolo“ jetzt mit seinem „splashy Marmorbad“ und den „Rivers of Cash-Flow“.
Maurice Ernst sieht den protzenden Luxus allerdings im Zerbrechen begriffen: „Es ist ja auch dieses schöne Scheitern dabei. Bei „Schick Schock“ gab es ja den „Gigolo“, den Selbstbewussten und da gab es den Blick in seine Berufswelt – und jetzt, bei „Investment 7“ ist der Blick ins Private gerichtet – und da ist es trotz splashy Marmorbad immer so blanco in seinem Bett. Es ist niemand da. Das ist so dieses Gefühl. Was ist die Liebe zum Kapitalismus? Wo findet sie wirklich statt?“
Eine weitere Parallele zu „Schick Schock“ findet man unter anderem in dem Liebeslied „Baba“. Da trägt eine Femme Fatale namens „Monika“ Buffalo Boots, wie die Lola in „Barry Manilow“ – und so verknüpfen sich die beiden Alben in großen wie kleinen Stilfragen.
Interludes
Es gibt auch noch ein anderes „Baba“ auf dem Album, nämlich „Baba2“. Das ist mit seinen 24 Sekunden aber gar kein richtiger Song, sondern nur ein Interlude, ein Fragment – wie auch der Titel-Song „Magic Life“, ein 57 Sekunden langer, mantra-artiger Jam, der durch die Vocoder-Stimme stark an Kanye West und Bon Iver erinnert.
Die beiden Interludes, sowie das Intro „Carpe Diem“ sind dramaturgische und stilistische Neuerungen im Bilderbuch-Kosmos. Diese Soundskizzen sind Ausdruck künstlerischer Freiheit – und Klebstoff zwischen den Songs, denn gerade beim ersten Mal hören holpert der Spannungsbogen der ersten Album-Hälfte ein wenig:
„Wir haben uns vom Album im künstlerischen Sinne die letzten zehn Jahre entfernt. Durch das Streamen und dadurch, dass ein Album jetzt einfach eine Playlist ist, hab ich das Gefühl, dass einfach wieder mehr erlaubt ist. Leute, die sich für das Album interessieren, drücken auf die erste Nummer und dann läuft das auch durch. Aber Leute, die keinen Bock darauf haben, ziehen sich einfach Bungalow und zwei andere Lieder, die ihnen gefallen, in ihre Playlist rein und ist auch gut. Die Entscheidung liegt einfach nicht mehr nur beim Künstler und dadurch muss man sich nicht mehr anlügen – von wegen, das Album muss jetzt so und so sein, damit sich das alle anhören. Man kann jetzt einfach wieder mehr ein Gefühl hinhauen, weil jeder seine eigene Redaktion ist, in dem Moment, in dem er seine Playlist macht.“
Die Gitarren sind der Star
Rampensau-Charakter haben die Gitarren, die auch schon mal wie Keyboards klingen. Sie sind wahnsinnig präsent und neben Maurice Ernst die divenhaften Solistinnen des Albums, was er auch bestätigt:
„Die Gitarren sind der Star. Magic Life lebt von diesen Gitarren, von diesem Fehler, von diesem digitalen Zwischenraum. Nicht der Amp macht den Soul bei der Gitarre, sondern der Computer, das Knacksen. Die Idee war, der Gitarre einen Raum zu geben, der nach 2017 klingt und nicht nach – ok, das haben die alle schon gemacht! Kaufen wir uns wieder einen Amp, stellen wieder ein Mikro vor den Amp, nehmen den perfekten Raum und dann schauen wir mal. Wir haben einfach die Gitarre so genommen, wie sie heutzutage zu verwenden ist. Nämlich rein in den Computer. Zack – auf alles geschissen! Und dann schaun ma mal, wie sie klingt und das kann man mit einem Mike unter Anführungszeichen auch machen, weil er eine Virtuosität am Start hat, dass sich die Frage nicht nach Qualität, sondern nur nach Methodik stellt. Also – wie haben wir sie aufgenommen, nicht, hat er sie jetzt gut gespielt?“
Gut gespielt haben sie alle – Gitarrist Michael „Mike“ Krammer, Schlagzeuger Philipp „Pille“ Scheibl, Bassist und Keyboarder Peter Horazdovsky sowie Sprachrohr Maurice Ernst. Sieben Monate lang haben sie an ihrer Vision und Soundästhetik gefeilt, die sich auch im Artwork widerspiegelt, sei es in den Videos oder dem Album-Cover – auf dem Ernst in ein umgedrehtes Goldfischglas wie in eine Kristallkugel (siehe das Video zu „Bungalow“) blickt.
Bilderbuch Live
Kasematten, Graz
5. Mai 2017
Arena, Wien
17. + 18. Mai 2017
Tabakfabrik, Linz
26. August 2017
Bilderbuch / Maschin Records
Goldfische sind in China übrigens ein Symbol für Reichtum, Glück und Wohlstand – die leere Bowle unterstreicht also wiederum: Die fetten Jahre sind vorbei!
„Magic Life“ ist nicht nur eine ausgezeichnete, ausgefeilte und ausladende Pop-Platte, sondern auch eine sehr ausgedachte. Hit!