Erstellt am: 17. 2. 2017 - 11:50 Uhr
Hoffnungslos in die Zukunft
Als Hayko Bağdat ins FM4 Studio kommt, wirkt er müde. Mit seinem Buchdebüt ist der armenische Kolumnist durch Europa gereist. Darin erzählt er autobiografische Geschichten aus seinem Leben als Armenier in Istanbul. Seine Auftritte sind nicht Lesungen, sondern Performances, eine Art Kabarett. Doch die Müdigkeit rührt nicht nur von der Bühnenarbeit, sondern von den vielen politischen Diskussionen. "Ehrlich gesagt, schauen uns hier viele KollegInnen etwas mitleidig an. Und sie haben nicht ganz unrecht. Daheim ist es kaum mehr möglich, objektiven, kritischen Journalismus zu machen", sagt Hayko Bağdat.
Simon Welebil / FM4
Wenn Bağdat über die Türkei redet, verwendet er immer das Wort memleket, also Daheim. Ein Wort, das besonders Auswanderer aus der Türkei gerne verwenden. Mittlerweile ist der Kolumnist selbst im Exil gelandet. In der Türkei war er vor allem für seine zynischen Bemerkungen auf Twitter und seine Kolumnen bekannt. Seit einem Monat lebt er in Berlin und ist Mitgründer des deutsch-türkischen Nachrichtenportals Özgürüz, was so viel heißt wie "Wir sind frei". Chefredakteuer ist Can Dündar, ebenfalls prominenter Journalist, der seit seiner Verurteilung in der Türkei in Deutschland lebt. Bağdat sagt, dass sie mittlerweile die Regel darstellen und nicht die Ausnahme: "Viele JournalistInnen sind im Gefängnis, andere haben das Land verlassen."
Ein turbulentes Jahr
Das politische Klima in der Türkei ist aufgeladen, doch das ist keine neue Erkenntnis. "Alle zehn Jahre ein Putsch" ist eine verbreitete Formel. Wo eine Krise beginnt und wo sie wieder aufhört, lässt sich kaum sagen. Dennoch gibt es Ereignisse, die besonders hervorstechen und alles durcheinander bringen. Zuletzt der gescheiterte Putschversuch im vergangenen Juli.
Seither machen Ermittler Jagd auf echte oder vermeintliche AnhängerInnen der Gülen-Bewegung. Die GülenistInnen hatten in den letzten Jahrzehnten ein mächtiges Netzwerk aufgebaut. Private Schulen, Zeitungen, TV-Sender und viele SympthatisantInnen innerhalb des Staates, machten den Prediger Fethullah Gülen zu einem der wichtigsten Figuren in der Türkei. Er selbst musste 1999 die Türkei verlassen und in die USA auswandern. Auch damals lautete der Vorwurf: Putschversuch.
Von dem Netzwerk ist in der Türkei kaum was übrig geblieben, dennoch berichten türkische Sender täglich über die Verhaftung oder Entlassung weiterer Gülen-Mitglieder. Betroffen sind mehr als 100.000 Menschen. Dass mittlerweile Journalisten wie Ahmet Şık, der vor einigen Jahren wegen einem Gülen-kritischen Buch verhaftet wurde, jetzt als Gülen-Anhänger verhaftet werden, scheint für die Regierung kein Widerspruch zu sein.
Auch Hayko Bağdat war mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert. Im August letzten Jahres wurde der Autor am Flughafen von der Polizei verhört. In einem Interview sagte er daraufhin: "Wenn überhaupt, sollen sie mir vorwerfen, dass ich ein Revolutionär bin, und nicht, dass ich ein Gülen-Anhänger bin."
Exil ins Digitale
Hayko Bağdat
Bağdat hat auf Twitter mehr als 700.000 Follower. Seine Fans sind vor allem jüngere LeserInnen, die sogenannte "Gezi-Generation". Seine Kolumnen erscheinen auf unabhängigen Internetseiten aus dem linken Spektrum.
Sein Lieblingsmedium bleiben die sozialen Medien. Hier erreicht Bağdat mit wenigen Tweets Millionen von Menschen. An die täglichen Bedrohungen und Beschimpfungen von den Usern hat er sich gewöhnt. Das eigentliche Problem ist für ihn das Verhalten von Facebook und Twitter: "Leider befolgen sie die Anweisungen der Regierung. Immer wieder verschwinden meine Einträge aus Facebook. Dazu kommen Internet-Sperren, aber die Leute umgehen sie. Sie sind zu richtigen Hackern geworden, aber es ist einfach absurd, dass wir 2017 noch immer gegen Zensur kämpfen müssen."
Dass er ein Gülen-Anhänger sein könnte, klingt tatsächlich lächerlich. Doch für den Bağdat sind die Verhaftungen und Entlassungen keine Missverständnisse. "Erdoğan hat selbst gesagt, dass sie ohne den Putsch und den verhängten Ausnahmezustand nicht in diesem Maße gegen Oppositionelle vorgehen könnten", sagt Bağdat.
Das nächste große Ereignis steht vor der Tür. Am 16. April wird das Referendum über das Präsidialsystem stattfinden. Erdoğan verspricht eine stabilere Türkei, die nicht nur in der Außenpolitik unabhängig agiert, sondern auch innen gegen Putschversuche abgesichert ist. Bağdat hingegen sieht wie viele Oppositionelle das Ende der Demokratie.
Fake-News und Wohnungssuche in Berlin
Eins ist Hayko Bağdat bestimmt nicht: Optimist. Wenn er über Daheim spricht, sind es immer düstere Aussichten: "Wir haben verloren, wir müssen das akzeptieren können." Die Situation der Medien ist für ihn fast eine Nebensache. "Man muss an die ganzen Staatsanwälte denken. Kaum jemand wird sich heute trauen, Vergehen der AKP zu untersuchen. Selbst innerhalb der AKP traut sich kaum jemand, etwas zu sagen. Denn auch konstruktive Kritik kann als Verrat abgestempelt werden." Am meisten besorgt ihn aber die gesellschaftliche Polarisierung: "Wir können uns heute nicht mal bei Begräbnissen solidarisieren."
So außergewöhnlich die Situation in der Türkei erscheint, auch die türkische Gesellschaft beschäftigt sich mit globalen Diskussionen. Fake-News sind auch hier ein Thema und für den Realisten Bağdat ist der Kampf gegen sie das wichtigste Anliegen überhaupt. "Man darf beim Krieg in Südosten nicht wegsehen und genauso muss man auch hinschauen, wenn bei Anschlägen Polizisten oder Soldaten sterben. Wir müssen dagegen ankämpfen, dass uns die Wahrheit verzerrt und mit kosmetischen Veränderungen verkauft wird", sagt er.
Auf dem Nachrichtenportal Özgürüz, das in der Türkei bereits gesperrt ist, hat Bağdat kürzlich seine erste Kolumne auf Deutsch veröffentlicht. Dieses Mal spielen Erdoğan und das Präsidialsystem Nebenrollen, Bağdats scharfer Blick richtet sich auf die Realitäten in Deutschland:
"Für eine Aufenthaltserlaubnis müssen Sie einen festen Wohnsitz nachweisen", sagte sie. Ich habe sofort gekontert: "Aber man hat mir gesagt, ich brauche erst eine Aufenthaltserlaubnis, um einen festen Wohnsitz zu bekommen", habe ich in meinem aus sieben Wörtern bestehenden Englisch gesagt. Seitdem sind 27 Tage vergangen. Ich glaube, das war der letzte logische Satz, der mir in diesem Durcheinander gelungen ist.