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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

12. 2. 2017 - 14:41

Und raus ist die Wilde Maus!

Sämtliche Vorstellungen des österreichischen Wettbewerbs bei der Berlinale sind ausverkauft. Außer Konkurrenz läuft noch "T2 Trainspotting", in Konkurrenz "The Dinner". Unter anderem.

"Wird das so richtig hartes Österreichisch oder ist das eingedeutscht?" Ein Besucher im Berlinale-Palast hat so seine Befürchtungen, wenige Minuten vor der Weltpremiere von "Wilde Maus".

Das Team von "Wilde Maus"

APA/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

Die SchauspielerInnen von "Wilde Maus" auf dem roten Teppich.

Aber da sind auch schon Bilderbuch am roten Teppich! Auf der kleineren, aber immer noch so groß-wie-in-einem-regulären-österreichischen-Kino-großen Leinwand wird das Geschehen am Roten Teppich, der draußen vor dem Gebäude liegt, übertragen. Josef Hader, Pia Hierzegger, Nora Waldstätten - in Berlin lässt man ihr "von" weg – sind am roten Teppich und einige Minuten später unter Applaus im Saal angekommen. Dann Vorhang auf, die Riesenleinwand für den Film ist da und „Wilde Maus“ beginnt mit gelben Titeln wie sie jetzt alle haben, die wissen, was geht.

Josef Hader richtet die Pistole auf den/ ZuschauerIn, Filmstill "Wilde Maus"

Copyright: Ioan Gavril / Majestic

Auch in „Wilde Maus“ geht viel - zu Ende. Das muss so sein. Denn auch wenn mancher Schmäh aufgelegt ist, muss man Josef Hader anrechnen, dass er das seinem Publikum richtig gönnt. Ja, man will dieses Aufbegehren und diese Rachegedanken: Josef Hader, der für Buch und Regie verantwortlich zeichnet, hat die Hauptrolle übernommen und spielt einen Musikkritiker, der seine Anstellung verliert und das seiner Liebe Johanna (Pia Hierzegger) verheimlicht. Sie wünscht sich ein Kind, therapiert andere und hält nichts von Geheimnissen. Georg Friedrich taucht als Zufallsbekanntschaft auf, weil der arbeitslose Musikliebhaber seine Tage fortan im Prater verbringt. „Wilde Maus“ ist auch eine subtil schöne Hommage an Wien.

"Wilde Maus" ist ein wunderbarer Film. Lachen, nicht immer ein lautes, sondern vielmehr ein immer wiederkehrendes Kichern über all das, was man verloren hat. Das tut gut. Kichern aus allen Reihen im Saal begleitet nahezu jede Szene. Noch vor dem herrlich sanften Ende steigert sich die Euphorie zum Finale: Es gibt langen Szenenapplaus für Hader, halbnackt im Schnee.

Josef Hader in Wilde Maus: mit Whiskyflasche Halbnackt im Schnee.

Copyright: Wega Film / Majestic

Die Sorge, das Österreichische, das ja bitte wirklich kein Dialekt ist, nicht zu verstehen, war unbegründet. Nur mit "Zivü-Dienst" gab es ein Verständlichkeitsproblem. Josef Hader gibt in Berlin zu, dass sie sich bemüht hätten: "Weil wir es satt haben, dass wir dann immer in einer Linie mit Filmen aus Aserbaidschan in den Kinos laufen und wir wollten einmal in ein paar andere Kinos auch reinkommen, das gebe ich zu."

Ein G'riss um die Maus

Die Wega Film, die „Wilde Maus“ produziert hat, hat u.a. Michael Hanekes Filme und die Kinospielfilmdebüts von Elisabeth Scharang, Arash T. Riahi und Umut Dag produziert. Produzent Veit Heiduschka erzählt gern, wie er mit Michael Haneke beim ersten Mal in Cannes wild plakatiert hat.

Um das Spielfilm-Regiedebüt Josef Haders ist seit Tagen ein G'riss. Das Stadtmagazin tip hatte ein Still des Films auf dem Cover der Ausgabe zum Berlinale-Start. Online waren die Tickets für die Vorführungen auf der Berlinale binnen drei (!) Minuten ausverkauft, vor Ort in den Vorverkaufsstellen hatten nur die allerersten Frühaufsteher eine Chance.

Anzeigescreen der Berlinale im Kino International: "Wilde Maus" ist ausverkauft

Radio FM4 / Maria Motter

Donnerstag, nichts geht mehr.

Patriotismus liegt mir eher fern, aber die internationalen KollegInnen auf der Berlinale drängen einen geradezu dazu: "Du kannst stolz sein!", sagt mir eine deutsche Journalistin, die Josef Hader für seine Darstellung von Stefan Zweig in Maria Schraders Film "Vor der Morgenröte" zum ersten Mal gesehen hat und seitdem schätzt.

Bilderbuch am Roten Teppich

APA/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

Als Bilderbuch am roten Teppich sind, sage ich tatsächlich laut „Oh!“ und meine Sitznachbarin lacht. „Das sind unsere Superstars“, will ich schnell erklären. Findet sie auch gut, antwortet sie, „Bungalow“ kennt sie vom neuen Album. Das wiederum werden Bilderbuch kommenden Freitag in der Volksbühne in Berlin live präsentieren.

Apropos Stars

Apropos Stars. Richard Gere ist auch da. Er ist nicht sehr groß, schon gar nicht am Hotelgang mit Oren Moverman scherzend. Wie zierlich muss also Julia Roberts sein? Ein Journalistenkollege musste die Anwesenheit Geres nachträglich in eine Filmkritik einfügen, Anruf aus der Redaktion, Gere sei ja eben bei Angela Merkel gewesen. Für seine Performance in Oren Movermans Kammerspiel-Thriller „The Dinner“ hat sich der Hollywood-Star durchaus eine Erwähnung verdient.

Richard Gere auf der Berlinale

APA/dpa/Monika Skolimowska

Richard Gere in Berlin.

Die Berlinale ist eine Zumutung

Die Berlinale ist auch eine große Zumutung. Womit so mancher Regisseur da das Publikum konfrontiert, ist nicht immer absehbar. Das ist gut so. Was nett mit misanthropischem Witz beginnt und für Amüsement im Publikum sorgt, wird zur moralischen Grundsatzfrage. Der in den USA lebende Israeli und Regisseur Oren Moverman hat mit "The Dinner" einen Film gemacht, der nicht nur durch seine interessante Machart in Erinnerung bleibt, sondern vor allem durch die Konfrontation mit einem Konflikt, den man niemals zu lösen haben will.

Während zwei Brüder sich mit ihren Frauen zum Abendessen in einem Restaurant treffen, spielt sich in den Köpfen ihrer Söhne anderes ab. Man sollte nicht zu viel über "The Dinner" verraten. Dieser Film trifft einen mit Wucht. Was zählt mehr: Die eigene Familie oder die Gesellschaft?

"Das Private ist immer politisch", erklärt Regisseur Oren Moverman im Interview und zitiert damit nicht bloß eine Aussage der Frauenbewegung. Es ist ihm ernst. Die Privilegien weißer Menschen, Rassismus, Klassendenken und geistige Gesundheit bzw. psychische Konditionen sind die großen Themen von "The Dinner“: „Diese Blase von Zivilisiertheit, die alles unter sich als Wilde wahrnimmt. Es geht um einen gewissen Blick auf Geschichte, um das Verdrängen von Geschichte und darum, einfach im Moment zu leben und nur das zu tun, worauf man gerade Lust hat oder was man für sich selber will. Die Menschen in den USA sprechen von einer 'Post-Truth-Society'. Aber ich denke, wir leben vielmehr in einer 'Post-Humanism-society', in einer Gesellschaft nach dem Humanismus", sagt Oren Moverman im Interview.

"Aus vielen verschiedenen Gründen wird Humanismus über Bord geworfen. Einer der Gründe ist, dass wir uns in unsere Kreise zurückziehen - das mag immer schon der Fall gewesen sein, aber das digitale Zeitalter verstärkt das. Wir umgeben uns nur mit Menschen, die uns zustimmen, oder nur mit unserer Familie. Wir bauen uns eine Inselgruppe. Wenn du das machst, dann ist ein Mensch, der nicht zu deinem Kreis gehört, weniger Mensch und wird mit weniger Mitgefühl behandelt. Ich denke, das passiert in Familien wie in der Gesellschaft. Isolation ist gegenwärtig ein Teil der Erkrankung unserer Existenz. Das klingt jetzt alles andere als lustig, oder?"

Nein, lustig ist das nicht. Aber lustig sein ist auch nicht der Punkt in "The Dinner", obwohl zu Beginn im Publikum viel gelacht wird. Was ist also Oren Movermans Lösung zur Tatsache, dass wir den Humanismus aufgeben?

Der Regisseur überlegt laut: "Was ist meine Lösung? Revolution." Oren Moverman sagt das so, dass klar ist, dass es sich nicht um einen Scherz handelt, und setzt seine Antwort fort: "Die einfachste Antwort auf die Frage, wie etwas repariert werden kann, ist Bildung und Erziehung. Den USA mangelt es daran. Bildung ist heruntergeschraubt auf den Zugang zu Informationen, aber wir wissen weniger denn je zuvor. Aber man muss früher ansetzen, das beginnt mit den Kindern. Humanismus und Mitgefühl dürfen nicht für selbstverständlich erachtet werden, das muss man lehren. Gerade sitzen wir hier in Berlin. Wir haben gesehen, wie sich Gesellschaften in ihrer Wahrnehmung der Welt und ihre Haltung andern Menschen gegenüber ändern können. Ich fürchte aber, dass dieser Prozess erst nach erneut etwas so Katastrophalem einsetzt, dass uns dazu zwingt, weil es uns das so klar vor Augen führt. Und augenscheinlich ist das nicht, sonst gäbe es längst ein Umdenken."

Fröhliche Ernüchterung: 21 Jahre nach "Trainspotting"

Schauplatzwechsel. Auf nach Schottland, Edinborough, Heimat von "Trainspotting" und jetzt "T2 Trainspotting".

Regisseur Danny Boyle wirkt aus, als hätte er die letzten 21 Jahre nicht miterlebt, sondern hätte die Tage mit Laufsport und Gurkengesichtsmasken zugebracht. Dasselbe lässt sich über die Fortsetzung von „Trainspotting“ sagen, die mehr ein eigenständiger Film als ein Sequel ist: Das schaut gut aus, ist dynamisch und sehr amüsant. „T2 Trainspotting“ ist ein Vergnügen, komisch und mit sehr schönen Tempowechseln. Der Einsatz des Soundtracks ist hervorragend, Frankie Goes To Hollywoods "Relax" in einer Actionszene, Neubearbeitungen von "Born Slippy" und "Lust for Life" im The Prodigy Remix und ganz viel Young Fathers. So vieles hätte bei diesem Film schief gehen können und tut es nicht. Yay!

"T2 Trainspotting" feiert die Rückkehr des verlorenen Sohnes, auf mit dem Erstling unvergleichliche Weise. Gleich in einer der ersten Szenen bricht Mark (Hallo, Ewan McGregor, hallo!) am Laufband im Fitnesscenter zusammen. Zurück in seinem Jugendzimmer legt er Iggy Pops „Lust for Life“ auf und zieht die Plattenspielernadel bei den ersten Takten zurück. Mit Nadeln hat er es nicht mehr so. Kompanion Spud allerdings ist noch immer drauf. „You're a tourist in your own youth, feeling all funny and warm just because you had a near-death experience“, lautet der Vorwurf von Simon „Sick Boy“, einem anderen aus der einstigen Junkie-Bande.

Vor Nostalgie warnt auch Regisseur Danny Boyle ausdrücklich: „Ah ja, die Nostalgie! Sie ist eine Quelle und ein Feind zugleich. Man muss die Kontrolle über sie behalten. Wenn Sick Boy zu Mark sagt, dass er ein Tourist in seiner Jugend sein will, ist das ein Vorwurf und eine Anklage und macht ihm klar, warum er zurückgekommen ist.“

Auf den Kinostart von „T2 Trainspotting“ kann man sich freuen.