Erstellt am: 12. 2. 2017 - 18:02 Uhr
Umstrittene Copyright-Novelle im EU-Ministerrat
Diese Woche kommt Günter Oettingers Hinterlassenschaft als Digitalkommissar zur Begutachtung in den EU-Ministerrat: der Entwurf für eine neue Copyright-Richtlinie. Schon die Präsentation des Erstentwurfs der Kommission im Herbst hatte heftige Proteste von Bürgerrechtsorganisationen und Kopfschütteln bei Rechtsexperten ausgelöst. Zentrale Teile des Entwurfs sind nicht nur auf Kollisionskurs mit der EU-Charta der Grundrechte, sie widersprechen auch der E-Commerce-Richtlinie und einem Musterurteil des Europäischen Gerichtshofs.
Bereits 2012 hatte der EuGH entschieden, dass verpflichtende Upload-Filter für Inhalte von Sozialen Netzen und andere Websites mit EU-Recht inkompatibel sind. Genau solche Filter aber sind zentrales Element der Copyright-Novelle, auch Hyperlinks fallen dabei unter die Filterpflicht. Provider werden zu "Medien" erklärt und sollen für Inhalte ihrer Benutzer in Zukunft haften. Für Textschnipsel bei Suchergebnissen ist ein neues "Leistungsschutzrecht" für Printverleger vorgesehen.
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"Technologien zur Identifikation von Inhalten"
Artikel 13 der neuen Copyright-Richtlinie sieht nun vor, dass Provider, die "große Mengen an Werken, die von Kunden hochgeladen werden, speichern und öffentlich zugänglich machen", mit den Rechteinhabern kooperieren müssen. Dafür seien "Maßnahmen zu ergreifen, um das Funktionieren der Vereinbarungen mit den Rechteinhabern zu überprüfen". Als Beispiel, was unter diesen "Maßnahmen" zu verstehen ist, werden "Technologien zur Identifikation von Inhalten" angeführt.
Bereits 2015 hatte ein deutscher EU-Parlamentarier versucht, ein Leistungsschutzrecht in einen Bericht zur Modernisierung des Urheberrechts zu reklamieren
Geplant ist nämlich, dass Betreiber von Sozialen Netzen und Suchmaschinen erst einmal Lizenzverträge mit europäischen Printverlagen und Pay-TV schließen. Auf Basis dieser Verträge sollen Inhalte dann schon beim Hochladen gefiltert werden, für die Abrechnung von Inhalten, die unter diese Lizenzverträge fallen, sollen dann wieder Algorithmen zuständig sein.
Das EuGH-Urteil gegen Content-Filter
Das EuGH-Urteil bezieht sich auf die Klage des belgischen Rechteverwerters SABAM, der den Einsatz solcher Filter bei einem kleinen Serviceanbieter 2012 gefordert hatte. Der EUGH hatte die Klage abgelehnt, mit dem Haupatargument, dass damit ein konstantes Monitoring der Aktivitäten aller Benutzer verbunden sei. Das aber verstoße gegen die Artikel 8, 11 und 16 der EU-Charta, erkannte der EuGH.
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Auf dieses Urteil beruft sich in erster Linie ein Rechtsgutachten von 30 Rechtsexperten führender Universitäten.
In einem offenen Brief fragen die Rechtswissenschaftler bei der Kommission an, warum dieselbe Praxis, die der EuGH 2012 als Verstoß gegen die Grundrechte verworfen hatte, 2017 plötzlich im Rahmen des Legalen sei und nun in einer Richtlinie enthalten sei.
Das Rechtsgutachtenwurde an den Universitäten Cambridge, Leuwen und Stanford verfasst und samt einem offenen Brief von 30 internationalen Rechtsexperten an die EU-Kommission übermittelt
"Content ID" von Google
Google und Facebook haben derartige Filtersysteme während der letzten Jahre unter großem Aufwand entwickelt setzen sie aber nur in Teilbereichen ihrer Websites ein. Google benutzt sein System "Content ID", das mit einer Art "digitalem Wasserzeichen" funktioniert, das in den Code von Videos eingebettet ist, um sie auf YouTube frei von Klagen zu halten. Diese digitalen "Watermarks" werden in einer Datenbank gespeichert, die ebenfalls von der Unterhaltungsindustrie befüllt wird.
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Über "Content ID" können auch Rechteinhaber bei YouTube online Rechtsansprüche anmelden, das entsprechende Video wird dann "unter Disput" gestellt und erst einmal gesperrt. Dann werden diese Daten abgeglichen, einmal gesperrte Videos sind dann dauerhaft von YouTube geblockt. All das erledigen aufseiten Googles nicht Menschen, sondern Algorithmen. Über sie ist genausowenig bekannt, wie über den Inhalt der Verträge zwischen Google und nationalen Rechteverwertern. Der Aufwand für ein solches System, das große Mengen an Programmierarbeit und Rechenleistung verlangt, können nur so große Anbieter wie eben Google oder Facebook finanzieren.
Facebook-Filter, Leistungsschutz
Bei Facebook sind bekanntlich Content-Filter im Einsatz, deren Algorithmen, die Anteile nackter Haut auf Bildern erkennen können. Die Facebook-Filter waren zuletzt dadurch aufgefallen, dass sie preisgekrönte Fotos aus dem Vietnamkrieg und eine Aufnahme der Statue von Michelangelos David von Facebook gesperrt haben. Auch hier besorgen Algorithmen, also mathematische Regeln, die Arbeit. Menschen treten vorerst nicht in Aktion.
Das ebenfalls vorgesehene "Leistungsschutzrecht" ist schon einmal desaströs für Verleger ausgegangen. 2013 hatten deutsche Verlage wie Springer, FAZ und andere eine Kampagne gegen "Google News" gestartet. Die Verlage wollten Geld von Google für die im Newsfeed angezeigten Titel und Textschnipsel. In Folge zeigte Google die Angebote der betreffenden Verlage in "Google News" nicht mehr an. Obwohl sie im gesamten Google-Suchindex selbst weiterhin vorhanden waren, fielen die Klickraten der betreffenden Websites ins Bodenlose.
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In kurzer Zeit gaben die deutschen Verleger sehr klein bei. Sie erteilten Google eine Exklusivlizenz zur unentgeltlichen Anzeige von Titel und Anrissen der Artikel. Diese Lizenz galt freilich nur für Google. Für alle anderen, nämlich auf Nachrichten spezialisierte Newsfeeds und Suchmaschinen deutscher Start-Ups galt dies nicht. Damit wurde die Stellung Googles als Quasimonopol für Internetsuchdienste in Deutschland zementiert. In Spanien wird "Google News" seit einem ähnlichen Anlauf der Regierung nicht mehr angeboten, was in Spanien vor allem die Websites seriöser Nachrichtenmedien traf.
E-Commerce-Richtlinie obsolet
Sollte der bestehende Entwurf in dieser oder ähnlicher Form letztendlich das EU-Parlament passieren, wird der Grundsatz, auf dem das gesamte Internetgeschäft seit dem Jahr 2000 basiert, auf den Kopf gestellt. In Artikel 14 der E-Commerce Richtlinie heißt es in Sektion 4 "Haftung von vermittelnden Service Providern" nämlich ganz eindeutig, dass diese nicht für Inhalte ihrer Kunden haften. Nur wenn ihnen Gesetzesverstöße bekannt würden, hätten die Provider zu reagieren und nicht rechtskonforme Inhalte zu entfernen. Artikel 15 trägt den ebenso lapidaren wie eindeutigen Titel "Keine Überwachungsverpflichtung". Darin wird festgehalten, dass Provider nicht dazu verpflichtet werden können, die Webinhalte ihrer Kunden laufend nach möglicherweise Copyright geschütztem Material zu überwachen. Genau das aber ist in der Novelle nun zwingend vorgesehen.
Im Dachverband von 35 europäischen Bürgerrechtsorganisationen EDRi wird die EU-Copyrightnovelle als "nuklearer Angriff auf die Freiheit im Internet" bezeichnet
Wie es nun weitergeht
Dass dieser so offensichtliche Kollisionskurs des Richtlinienentwurfs mit geltendem Recht und Grundsatzurteilen des EuGH nun im Ministerrat korrigiert wird, ist nicht zu erwarten. Zum einen würde dann vom Entwurf selbst nicht sehr viel übrigbleiben, zum anderen wurden derart umstrittene Überwachungsregelungen während der letzten 15 Jahre im Ministerrat regelmäßig noch verschärft. Wann die vom Rat geänderte Version zur ersten Lesung im EU-Parlament ansteht, ist noch nicht genau abzuschätzen. Der früheste Zeitpunkt könnte vor der Sommerpause sein.