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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

10. 2. 2017 - 12:03

Zehn Tage nicht Laptop und chillen

Mut, Humor und Liebesgeschichten verspricht die 67. Berlinale zu Beginn. Aber wie lange werden wir noch echten Menschen zuschauen?

Berlinale, 9. - 19. Februar, Berlin

Er hat "Robocop", "Basic Instinct", auch "Showgirls" und zuletzt "Elle", ein Vergewaltigungsdrama mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle, gemacht. Jetzt ist der niederländische Regisseur Paul Verhoeven erneut im Gespräch und Jury-Vorsitzender der diesjährigen internationalen Filmfestspiele in Berlin. Sex und Gewalt bestimmen die Motive der Menschen, sagt Paul Verhoeven und wären AnthropologInnen im Publikum, sie würden sich zufrieden zurücklehnen und nicken.

Jury Vorsitzender Paul Verhoeven auf der Berlinale

AFP

Jury Vorsitzender der Berlinale Paul Verhoeven bei der Eröffnung

Aber wie lange wird es überhaupt noch Menschen für Filme brauchen? "Hollywood as we know it is already over", zitiert eine Journalistin des kanadischen Filmmagazins "Séquences" eine lesenswerte Geschichte der Vanity Fair und fragt die Mitglieder der Jury: Bangen sie um ihre Jobs und um jene der nächsten Generation? Da wären nicht nur Streamingdienste wie Netflix und Amazon. Sillicon Valley schafft Computerprogramme, die tote Schauspieler in neuen Rollen wieder auferstehen lassen. Nein, antwortet Paul Verhoeven klar und knapp.

Der Regisseur und Schauspieler Diego Luna betont, dass ja immer eine Schauspielerin ursprünglich notwendig war. "Ich bin auch Zuschauer und ich werde mich dafür einsetzen, dass Geschichten erzählt werden, mit denen ich etwas anfangen kann. Ich hatte Befürchtungen, als Telefone zu Kameras wurden. Aber jetzt finde ist das in Ordnung. Ich existiere noch immer, ich freue mich des Lebens. All diese Dinge sind sehr aufdringlich. Wir als Publikum haben eine Stimme."

Maggie Gyllenhaal findet, dass es Innovation braucht und Bewegung, um Film in neues Terrain zu führen. Aber wenn ein Film komplett computergeneriert produziert wäre, würde er uns nicht rühren. "Uns berühren menschliche Erfahrungen und wir alle erkennen, wenn wir etwas Wahrhaftiges sehen." Der Juryvorsitzende Paul Verhoeven hat indes ein anderes Problem Hollywoods ausgemacht: Alle Entscheidungen wären gewinnorientiert.

Schauspielerin Maggie Gyllenhaal und Berlinale Director Dieter Kosslick bei der Eröffnung der Berlinale

AFP

Schauspielerin und Berlinale-Jury-Mitglied Maggie Gyllenhaal mit Festivaldirektor Dieter Kosslick

Aber kritisch!

Am Abend grüßt Ai Weiwei vom Roten Teppich, sein Künstlerkollege Olafur Eliasson ist in der diesjährigen Berlinale-Jury. Der Isländer, der sein Studio und Büro in Berlin hat, schätzt Filme, die ihn auf sich selbst zurückwerfen. Gute Filme würden ihm ermöglichen, sich selbst im Film zu sehen und Gefühle, die er habe, zu verbalisieren. Das fühle sich dann an, als würde nicht er den Film anschauen, sondern der Film ihn. Zu gern würde ich Olafur Eliasson nach "T2 Transpotting" fragen, wie es ihm darin ergangen ist!

Richard Gere ist auch da, er spielt in Oren Movermans Wettbewerbsbeitrag "The Dinner" mit, neben Chloe Sevigny und Rebecca Hall. Hollywood ist dieses Jahr nicht ganz so huge vertreten wie in vorangegangenen Berlinale-Jahren. Aber da ist die US-amerikanische Schauspielerin Maggie Gyllenhaal, die mit "Secretary" international bekannt wurde und offen kundtat, dass sie mit 37 Jahren für eine Rolle als zu alt befunden worden war. Maggie Gyllenhaal ist in der Jury und tat sich schon am ersten Tag der Berlinale mit dem Schauspielerkollegen Diego Luna als Jurylieblinge hervor.

"Ich bin hier, um mich zu informieren, wie man Mauern einreißt"

Gefragt, wie es ihm als Mexikaner in Berlin ginge, antwortete Diego Luna: "Ich bin hier, um mich zu informieren, wie man Mauern einreißt. Offenbar gibt es in Berlin Spezialisten dafür. Und dieses Wissen will ich mit zurück nach Mexiko nehmen." - "Und in die USA!", stimmte Maggie Gyllenhaal ein und erklärte, dass sie sich sehr freue, zu diesem Zeitpunkt als Amerikanerin bei einem internationalen Festival in Europa dabei zu sein. "Und ich kann Ihnen sagen, es gibt sehr viele Menschen, die bereit sind, Widerstand zu leisten."

Liebe, Mut und Humor sind also die großen Versprechungen am Eröffnungstag.

Diego Luna am Roten Teppich der Berlinale

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Der mexikanische Regisseur und Berlinale-Jury-Mitglied Diego Luna will sich in Berlin informieren, wie man Mauern einreißt.

"Django": Swing ist Widerstand

"Lass' uns ins Kino gehen und träumen", sagt Django im gleichnamigen Eröffnungsfilm der Berlinale. Dieser Django ist ein fiktives Porträt des Jazzmusikers Jean "Django" Reinhardt, das im Jahr 1943 ansetzt. Djangos Geliebte tritt als personifiziertes Gewissen auf, mahnt zur Vorsicht vor den Nationalsozialisten und sagt Sätze wie "Klingt die Stille nachts nicht nach anderer Musik?".

Swing war immer auch Widerstand. Und immer, wenn einen die Musik verführt und einen einlullt, streift Regisseur Étienne Comar in seinem Regiedebüt eine andere Seite an. Wer Swing mag, wird diesen Film mögen. Allen anderen könnte er lang werden.

Menschen in Kleidung der Vierziger Jahre sitzen um einen Tisch, Filmstill aus "Django"

Roger Arpajou

Reda Kateb spielt den Komponisten und Gitarristen Jean "Django" Reinhardt in Étienne Comars Regiedebüt.

Wenn NationalsozialistInnen ein Fest feiern, ist das für andere nie gut ausgegangen. Django soll vor den Nazis spielen, sie unterhalten, aber nicht zu toll, so die Warnung. "Diese Affenmusik macht alle wahnsinnig!", wird einem der französischen Kollaborateure mit dem Nazi-Regime klar, als Hauptmänner unbeholfen tanzen und ihre Begleiterinnen lachen. Swing zu tanzen, das war im Nationalsozialismus verboten.

Mit "Django" hat Étienne Comar die Fluchtgeschichte des Jazz-Gitarristen und Komponisten Jean "Django" Reinhardt verfilmt. Neben der Frage, wie weit man für die Liebe gehen soll, thematisiert Comar vor allem die Verfolgung der Roma und Sinti durch die NationalsozialistInnen. Aber trotz toller Schauspieler gerät der Film allzu glatt und konventionell. In Erinnerung bleibt vor allem das Bild einer Frau: Komplett schneebedeckt, weil sie sich zum Versteck vor den Verfolgern selbst eingegraben hat.

So geht's weiter

Morgen soll es in Berlin wieder schneien. "T2 Trainspotting" läuft heute, Freitag, "The Dinner" bringt Hollywood zur Frühnachmittagszeit und um Josef Haders "Wilde Maus" ist ein G'riss. Mehr dazu - ganz bald!