Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "I died a week ago"

Lisa Schneider

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14. 2. 2017 - 10:52

I died a week ago

Jetzt ist er unsterblich: SOHN bespielte am Montag die zum Bersten gefüllte Wiener Arena.

Die vorbildlichen Konzertbesucher, die sich schon rechtzeitig zum elektronischen Support-Set von William Doyle in der Arena Wien einfinden, ersparen sich scheppernde Knochen: Die Schlange vor dem Einlass ist kurz vor SOHN-Stagetime, um 21 Uhr, gefühlt so lange wie die U3-Strecke Volkstheater-Erdberg. Wen wundert es aber auch, nach wenigen Wochen war das Konzert ausverkauft, und wurde, was sehr schön ist, nicht in eine größere Location verlegt.

Kurz nach Aufwärm- und Umbauphase (kalt wird hier drinnen niemandem mehr, die Garderobe ist voll, die Wollmäntel bleiben an!) zischt es über die Bühne, bis obligatorisch das Licht ausfällt. Drummer, Percussionistin und Keyboarder erscheinen, und mitten drin, schwarz behutet und auch sonst styletechnisch der Farbe der Nacht – und der Arena – angepasst, lässt sich Christopher Taylor aka SOHN auf seiner Pianobank nieder. Gesprochen wird nicht, zumindest noch nicht: Fast erschreckend erinnert der englische Musiker, der vormals noch dem Indiepop-Projekt Trouble Over Tokyo seine Stimme geliehen hat, daran, in welche Tonhöhen er eben jene hinaufzurren kann. Die Gänsehaut steht, und die gierigen Ohren, die mehr wollen, auch.

SOHN live in der Arena Wien

Mario Baumgartner

Wie man eine Lawine lostritt

Wer geglaubt hat, der Hype um SOHN hätte sich nach 2014 nicht mehr steigern können, kriegt spätestens hier den Gegenbeweis. Nachdem er 2014 mit seinem Debutalbum "Tremors" (kurz davor gesigned beim UK-Indielabel 4AD) regelrecht durch die Decke gegangen und in jeder guten Neo-Elektro-Plattensammlung gelandet ist, baut Taylor nach und nach weiter am sehr ausgeklügelten Konzept namens SOHN. Und gerade weil er das gut kann, Geheimnisse um sich und seine Person schüren, wird er nach seinem sehr guten Debütalbum noch interessanter. Ein Mysterium, irgendwie, auch, wenn er mittlerweile viel Privates offenlegt. "Rennen", Album Nummer zwei, legt Zeugnis einer getriebenen, aufwühlenden Zeit ab.

Vor Beginn der Tour war SOHN zu Gast beim amerikanischen Host und Comedian Jimmy Kimmel.

Die Live-Version von "Conrad" kann man hier sehen.

SOHN live in der Arena Wien

Mario Baumgartner

Ungewöhnlich zugänglich wirkte Christopher Taylor gestern auf der Bühne der Arena, sprach zwischen den Songs mit dem Publikum, was der anfangs schwermütigen, entrückt-kühlen Soundstimmung gut tat. Es sind keine Aussagen wie: "Hey, I love you, you are the best", sondern erwartungsgemäß kurze, ja schüchterne Dankesworte an die Crowd. Kurz vor dem Auftritt verrät er dem Kollegen Christoph Sepin im Interview, dass er Wien nicht umsonst als Startpunkt der Tour ausgesucht hat. Immerhin hätte sie auch in Paris oder London beginnen können, SOHN ist in den letzten beiden Jahren tatsächlich sieben Mal um den Globus gereist, um Konzerthallen zu füllen. Aber Wien hat dann doch etwas wie Homebase-Charakter, sechs Jahre hat Christopher Taylor hier gelebt – und hier, so sagt er, weiß er, was er bekommt.

Publikum Arena Wien beim SOHN-Konzert

Mario Baumgartner

Diesmal ist es das Publikum in einer aus allen Nähten platzenden Arena, das sich im Takt zu seinen Songs wiegt. Das zum geträufelt-wummernden Beat, der wie ein schwarzer Panther grazil das gesamte Set begleitet, die Hüften nach links und rechts kreisen lässt. Live kommt, noch mehr als in der Studioversion, die sehr schwer-bluesige Atmosphäre zum Tragen, die den SOHN'schen Neo-Soul erdet. Die Lieder verraten ihre Wurzeln nicht, funktionieren wie ein immer fertig gewesenes Gebilde. Was zuerst da war? Der Beat, die Strings, die Gitarre? Vollkommen egal, live braut sich alles zu einem wabernden, hungrigen, spannenden Soundkoloss zusammen.

Alle kommenden Tourdaten von SOHN kann man hier nachlesen.

sohnmusic.com

Shout out an die volle, dunkle Dröhnung

Ab und zu, etwa bei "Signal", einem Klagelied über die distanzlose Verbindung zweier sich Liebender, das dann in ein pochendes Stakkato-Finale hineinstolpert, wirkt es kurz so, als wäre improvisiert worden. Aber dem Zufall überlassen wurde am gestrigen Abend natürlich gar nichts. Der Sound ist so gut, man will die Augen schließen und sich hineinwühlen in diese große, warme Blase, voll von klackerndem Percussionwerkzeug und vollmundigen, flimmernden Klangflächen.

SOHN live in der Arena Wien

Mario Baumgartner

Dass Christopher Taylor während des gesamten Konzerts sitzt, verwundert nur kurz, denn eigentlich ist es eine sehr elegante Lösung. Sie passt zum dezent-zurückhaltenden Auftreten des Musikers ebenso wie zu seinen Songs, sie passt aber genauso zum gefesselten, aber nicht ausgelassen tanzenden Publikum. Gespannt, nicht entspannt.

"Hard Liquor" ist der Song, der mir in der zweiten Hälfte des doch knackigen, knapp über 60-minütigen Sets die Haare im Nacken aufstellt. Die Zeile "She will be ok", die seiner mittlerweile trockenen Frau gewidmet ist, wirkt so leicht, aber der düstere Beat verrät die bleierne Schwere, die dahinter steckt. Der bizarre Moment, in dem Menschen die Hände nach oben werfen und eine der Singles des neuen Albums feiern, während Christopher Taylor gerade in diesem Moment eine sehr schwere Lebensphase bloßlegt, ist zwar nichts Neues, aber deshalb nicht weniger kostbar. Die Brücke zwischen Tränen und Tanz, zwischen Verarbeitung und Weitermachen. Hier, da habt ihr einen Hit, ich bin fertig damit.

Die alten Songs mischen sich unter die neuen, und es entsteht eine Symbiose, die sie wie Honig zusammenklebt. Welchen Sprung SOHN in seinem Auftreten, im Live-Arrangement seiner Musik allein in den letzten beiden Jahren gemacht hat, ist erstaunlich. Songs funktionieren auch dann, wenn es nur die Melodiestimme ist, die sie anführt, und die Percussions, die sie liebäugelnd umspielen.

Es geht doch noch immer mehr, und wer denkt, Perfektion ist die kleine Schwester der Langeweile, hätte sich gestern in den Schweiß, die Hitze und das Staunen der Arena quetschen sollen.