Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Bavarian Horror Story"

Gerlinde Lang

Innerlichkeiten. Äußerlichkeiten.

9. 2. 2017 - 14:30

Bavarian Horror Story

Achtziger Jahre, Katholizismus und NS-Vergangenheit - Grundlagen für Berni Mayers Bavarian Gothic Novel "Rosalie".

Er hat eine Black Metal Band, er hat früher bei MTV gearbeitet, er hat schon drei Krimis geschrieben und er ist Bayer.
Berni Mayer ist ein Autor mit vielen Eigenschaften und mit seinem Roman "Rosalie" hat er sowas wie den Grundstein für ein neues Genre gelegt:
Die bavarian horror story.

Buchumschlag mit einer bayerischen Kirche mit Zwiebelturm.

Dumont Verlag

Gute alte Zeit

Vor den Horror hat Bernie Mayer die Liebesgeschichte gesetzt. Es ist die Liebe zu einem magisch leuchtenden tiefen Süden, einem immer noch altmodisch verzauberten Bayern Mitte der 80er Jahre, wo man einerseits Van Halen hört und sich vor dem radioaktiven Regen aus Tschernobyl fürchtet, und wo andererseits das Katholische wie fetter Rauch über den Dörfern steht, und wo drei Freunde knapp vor dem Abitur stehen und damit vor dem Absprung aus dem Dorfe Praam an der Laaber (Böhmi, ladies' man in der Lederjacke. Konstantin, Wirtssohn mit schwarzer Garderobe. Bartl, "wusch nie seine langen, algenartigen Haare.").

"Wir waren mit dem Bartl verabredet, um gemeinsam "um rote Eier" zu gehen. (...) So viel stand fest: Es war einer der besten Tage des Jahres. Der einzige Tag, an dem die Praamer Gesellschaft die Kombination von Schnaps und Hausbesuchen bei noch nicht volljährigen jungen Mädchen zu hundert Prozent tolerierte, wenn nicht sogar unterstützte.
Am Ostermontag diktierte dieser merkwürdige Brauch, dass die jungen und unverheirateten Männer bei den unverheirateten Frauen klingelten und um rot gefärbte Eier baten. (...)
Ein Höhepunkt unseres Kalenderjahres, an dem wir vollkommen legitim Mädchen unserer Wahl besuchen konnten, auch solche, die uns mit dem Arsch nicht anschauten. Vom Brauchtum geschützt, zogen wir durch ihre Vorgärten und wurden mit jedem Stopp betrunkener."

Eine Wolke regnet über goldenen Feldern ab.

Wikimedia Commons

Rosalie

Die Liebe vor dem Horror ist auch Hauptfigur Konstatins zärtliche Zuneigung zur neu nach Praam gezogen 14 jährige Rosalie - drei Jahre jünger, aber weitaus patenter als er.

""Du bist nass", sagte ich. "Hast du keinen Schirm?"
"Kein Schirm", sagte sie und rieb sich den Regen aus dem Deckhaar zwischen ihren geflochtenen Zöpfen.
(...)
"Keine Angst vor dem radioaktiven Niederschlag?"
"Dafür hab ich doch die Regenjacke. Außerdem ist mir die Strahlung egal." Sie sprach schneller als sonst.
(...)
"Hör mal, Konstantin, meine Mutter ist gerade gestorben. Wir sind in ein unbekanntes Dorf gezogen. Mein Vater hat eine Depression, ich bin auf einer neuen Schule. Ich habe dich kennengelernt. Ich brauch jetzt keine Strahlung."
Ich war geschmeichelt, in einem Satz neben den Katastrophen zu stehen."

Gar nicht gute alte Zeit

Die Praamer performen ihr Idyll auf spürbar dünnem Eis. Immer gibt es Andeutungen von Selbstmördern und Treffpunkte an Kriegerdenkmälern. Da gibt es die schwarz gekleidete alte Adele und das zugenagelte Tor vom Wasserschloss. Warum sind Konstantins cholerischer Opa und der höllendrohende Herr Pfarrer immer so friedlich, wenn sie gemeinsam Karten spielen? Und warum geht der Hämorrhoiden-Schorsch nie aus dem Haus?
Man braucht kein Thomas Bernhard zu sein, um zu wissen, dass in Bayern wie in Österreich das Nazigrauen nie fern der Oberfläche liegt.

Autor mit Gilet und Krawatte und Vollbart.

Birte Filmer

Autor Berni Mayer

"Mansfeld hielt mir sein Glas hin. "Wie schaut's aus?"
"Nein, danke", sagte ich. Ich ekelte mich vor dem benutzten Glas. Benutzte Gläser bringen Herpes, das hatte mir mein Vater in der Wirtschaft schon im frühesten Alter eingebläut. Dann trank der Mansfeld eben alleine:
"Wir entschieden uns also für das Schloss. Der Mietpreis war wirklich ein Witz. Aber je näher der Termin des Umzugs rückte, desto komplizierter wurde es mit dem [Besitzer].
(...)
"Was war denn mit ihm los?", unterbrach ich ihn. Wohl ein bisschen zu forsch, denn jetzt wurde er patzig.
"Nicht so vorschnell, Junior", zischte er. "Ich bereite hier eine Geschichte vor, die dir die nächsten dreißig Jahre Albträume bescheren wird. Da musst du mir schon den Aufbau überlassen.""

Es nimmt kein gutes Ende

Es nimmt kein gutes Ende, aber es ist eine gute Geschichte.
Fatal allerdings, dass Mayer Konstantins Grabungsarbeiten in der Vergangenheit wie einen faden Krimi abhandelt - der zweiten Hälfte des Romans mangelt es an Charme. Instanzen werden abgeklappert, und die titelgebende Rosalie verschwindet fast ganz aus der Handlung. Schade, dass die einzige nennenswerte Frauenfigur des Romans auch nur ein plot device war und nicht mehr.

Empfehlungen

"Rosalie" hat mich an diese anderen Bücher und Filme erinnert:

  • Wer früher stirbt ist länger tot von Marcus H. Rosenmüller

Wahn und Albträume im katholischen Oberbayern. Der elfjährige Sebastian glaubt am Tod seiner Mutter Schuld zu tragen. Trotzdem eine Komödie.

  • Das bayerische Dekameron von Oskar Maria Graf

Der große Autor spazierte stets in Lederhosen durch sein New Yorker Exil (vor den Nazis).

  • Neues vom Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler

Wenn Räuber Hotzenplatz als Wachtmeister Alois Dimpflmoser verkleidet bei der Großmutter Bratwurst mit Sauerkraut erschleicht ist das Fabulierparadies perfekt.