Erstellt am: 7. 2. 2017 - 18:24 Uhr
Nachruf auf American Apparel
Wahrscheinlich schreiben die Pet Shop Boys in 10 Jahren einen melancholischen Disco-Knaller über das Ende von American Apparel. Aufstieg und Fall des Fashion-Imperiums und ihres umstrittenen Gründers Dov Charney wären auch ein fantastischer Filmstoff für eine Art "Boogie Nights" im Mode-Milieu.
CC-BY-SA-2.0 / Dov Charney
In diesen Tagen werden die letzten Reste von American Apparel abgewickelt. Es gibt nur noch Rausverkäufe, Shopschließungen, Kündigungen. Die österreichische Filiale verscherbelt ihre letzten Teile in XXXS und XXL. Es ist das Ende einer ganzen Retail- und Mode-Ära, die 1998 mit der simplen Idee begonnen hat, in Los Angeles T-Shirts zu halbwegs fairen Bedingungen zu produzieren.
Mit Jänner 2017 haben die aktuellen Eigentümer der mittlerweile hochverschuldeten Marke American Apparel die amerikanischen Bekleidungs-Fabriken aufgelassen, 2.400 MitarbeiterInnen gekündigt und über hundert Shops in den USA geschlossen. Auch online gibt es nichts mehr zu bestellen. Das Ende von American Apparel hat sich schon seit Jahren angekündigt. Sinkende Verkaufszahlen, der – nun ja – ungewöhnliche Managementstil von Gründer Dov Charney, wechselnde Besitzverhältnisse und CEOs mit allerlei halbgaren Rettungsvorschlägen haben das ehemals blühende Unternehmen in den Untergang geführt.
Leggings, die die Welt bedeuten
Das endgültige Aus von American Apparel ist nicht nur das Ende irgendeines Bekleidungs-Verschleißers, es bedeutet auch das Ende einer bestimmten Ästhetik der Nullerjahre, die von American Apparel zumindest miterfunden wurde. Schlicht geschnittene, aber bunte T-Shirts, Hoodies, Leggings oder Unterhosen wurden mit Sex und Ironie gleichermaßen so imprägniert, dass jeder „Hipster“ von Welt – und an dieser Stelle sei dieser entleerte Ausdruck ausnahmsweise gestattet – mindestens ein paar Tube-Socks ("Tennissocken" hat man früher zu den Teilen gesagt) sein/ihr eigen nannte.
CC-BY-SA-2.0 / flickr.com/whatshername
Verkäufer und Verkäuferinnen in den örtlichen Boutiquen waren fast schon angsteinflößend retromodern gekleidet und wurden insgeheim beneidet für ihren direkten Zugriff auf das neueste lavendelfarbene V-Neck T-Shirt und die Molly-Ringwald-Vintage-Ohrringe. Der gehobene, aber nicht astronomische Preis der Ware sorgte bei zahlenden Eltern und Nicht-Mode-Interessierten für Kopfschütteln, die Eingeweihten wussten den Wert einer logofreien Slimfit-Cordhose aber zu schätzen.
Sex sells
Die Werbeästhetik von American Apparel hat mit gewagter Softporno-Ästhetik und perfekter Unperfektheit Türen aufgemacht. Wenn sich die modelnden AA-Girls und -Boys in den Anzeigen räkeln - Jürgen-Teller-Style überblitzt - geben sie dabei schon einmal den Blick frei auf den Schritt, Körperhaare dürfen sprießen, es kann auch mal ein Schweißfleck unter der Achsel sein. Es sind angeblich Menschen fast wie du und ich, oder zumindest so wie wir gerne wären: bekifft unterspannt, aber immer mit Sexappeal. Dass die Fotoshootings nicht immer so harmonisch und partnerschaftlich abgelaufen sind wie das Endprodukt suggeriert, hat den Erfolg der Kampagnen nicht geschmälert.
Die Grenzüberschreitungen des Marketing-Genies Dov Charney wurden allerdings im Laufe der Jahre nicht immer nur beklatscht. Diverse Gerichtsprozesse gegen ihn wegen sexueller Belästigung sowie die fragwürdige innerbetriebliche Kommunikation sorgten dafür, das er aus seiner eigenen Firma gefeuert wurde.
Legalize Gay
CC BY 2.0, flickr.com, User: Graham Hellewell
Mit den T-Shirts mit dem Aufdruck “Legalize L.A.“ setzte sich American Apparel für die Legalisierung illegaler EinwandererInnen ein. Das Nachfolge-T-Shirt „Legalize Gay“ ist fixer Bestandteil der informellen Dresscodes diverser Regenbogenparaden und Christopher Street Days geworden. American Apparel hat die LGBTQI-Community immer besonders liebgehabt, sie ist ja auch eine große und treue Zielgruppe.
Wenn man in Zukunft über den Look junger urbaner schwuler Männer der Nullerjahre redet, wird man auch über die bunten Unterhosen von American Apparel reden, über diese silbernen „Peaches-Leggings“ und über sehr sehr tiefe V-Ausschnitte. In der Wiener Filiale auf der Mariahilferstraße gibt es zur Zeit noch die Reste davon im Abverkauf. Minus 70%. Dov Charney hat mittlerweile angekündigt, unter dem Namen "That's Los Angeles" wieder unter die T-Shirt-Produzenten zu gehen.