Erstellt am: 5. 2. 2017 - 14:33 Uhr
Die nie verlorene Zeit
Der Biss in ein spezielles Kaffeegebäck kann in unserem Mund die Erinnerung an einen gesamten, wundersam duftenden Kosmos zum Leben erwecken. Damals, als wir noch Kind waren und bei Großmutter die Küche seltsam dampfte, bei Mutter der Teekessel kochte.
Die Erinnerung, die Nostalgie ist ein gutes Thema. In der Musik, in der Literatur, in jeder Kunst, weil im Leben. Die Erinnerung ist trügerisch, wir wissen es, und das ist auch ihr großer Reiz. Wir denken uns die Welt von früher etwas wärmer und mehr himmelblau und sind uns dessen bewusst. Wärmt den Bauch.
Sampha
Der englische Sänger, Songwriter, Produzent, Musiker Sampha setzt der Erinnerung in seinem Song "(No One Knows Me) Like The Piano" ein kleines, großes Denkmal. Indirekt. In wenigen Textzeilen und in wenig Musik geht es in diesem Lied auch um andere Dinge und Menschen.
Bislang ist Sampha vor allem als Mann im Hintergrund aufgefallen, als Partner und Kollaborateur, bei SBTRKT, bei Solange, Frank Ocean, Drake oder Kanye. Als sicheres Händchen und fragile Stimme, als feingliedriger, unaufdringlicher Experte für digitalen Soul, zärtelnden Poststep und unpompösen Flüster-R'n'B.
Gerade ist mit "Process" Samphas feines Debüt-Album erschienen – ein zerbrechliches Manifest des Unbombasts und der schmerzlichen, uneitlen Introspektive. Das Stück "(No One Knows Me) Like The Piano" ist da ein konzentriertes Kernstück.
Mühelos verknüpft Sampha darin private Leidenschaft, lebenslange Passion, Beruf mit Melancholie, Trauerarbeit und Schmerz anhand eines Gegenstands. Einem Instrument, einem Werkzeug, seinem ewigen Begleiter.
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Als Sampha drei Jahre alt war, hat ihm sein Vater ein Klavier gekauft. "You would show me I have something, some people call a soul", singt er über sein Klavier, in dem er seine Bestimmung finden sollte. Deshalb ist das Stück auch klarerweise betont schlank instrumentiert, verlässt sich fast ausschließlich auf die klare Macht des Klaviers und Samphas Stimme.
Der Song ist aber auch Samphas verstorbener Mutter gewidmet: "No one knows me like the piano in my mother's home", lautet die zentrale, titelspendende Zeile. Sampha muss die Gefühle nicht beim Namen nennen, mittels eines knappen Bildes erwacht eine ganze Welt. Gestern, heute, immer.