Erstellt am: 3. 2. 2017 - 15:04 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 03-02-17.
#demokratiepolitik #medienpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Heute mit einer noch ein wenig groben, aber realistischen These.
Lese-Empfehlung dazu für einen NZZ-Text zur Nicht-Begegnung von Orwell und Trump.
Wer glaubt der kürzlich erfolgten, offiziellen Einführung von alternative facts als neue Medien-Währung dadurch entgegentreten zu können, indem man sie wie das Kind in Des Kaisers neue Kleider dekonstruiert und "Lüge!" dazu sagt, wird sich noch wundern.
Die sogenannten alternativen Fakten, die mit Hinzufügungen, Auslassungen, unsinnigen Vergleichen, schiefen Parametern oder anderen passenden distractions angereicherte andere Variante der Realität wird das Geschäftsmodell der Medien prägen.
Nachhaltig und flächendeckend.
Im kommerziellen Bereich wird diese Erweiterung der Realitätswahrnehmung, also die bereits existierende und aktuell in der Spieleindustrie angewandte und für den Service-Bereich in Entwicklung befindliche augmented reality (augmented: erweitert, vergrößert, vermehrt, erhöht, angereichert) das derzeit ungelöste Monetarisierungs-Problem lösen und die Sinnkrise der Medien partiell beenden.
Es wird zu einer augmented media reality kommen, es wird ein großer Zukunftsmarkt entstehen, der die Beschönigung der eigenen Weltsicht durch darauf spezialisierte, eben "alternative Fakten" anbietet. Diese Anbieter werden sich "alternative" Medien nennen und den digitalen Markt massiv erweitern und gleichzeitig fragmentieren sowie den analogen Markt vorläufig retten. Diese Medien werden sich auf der passende Bündelung der gewünschten Originalquellen beschränken bzw. den entsprechenden Hallraum anbieten; ersparen sich so also Analyse oder Kommentierung und erwecken so den Anschein von Objektivität bzw Unabhängigkeit während sie das Gegenteil tun. Die big player unter diesen Medien werden sich meistbietenden Interessenvertretern (die so wie Trump immer weniger aus einem ideologischen Raum kommen) verkaufen, die bisher schon nur mehr theoretisch existierende Trennung von Redaktion und Verkauf wird sich auflösen.
Genau deshalb nützt der Hinweis, dass die alternativen Fakten nur ein Euphemismus für Lüge sind, nichts. Dieser Weiterdreh, der mediale spin des Trump-Camps, ist ja keine im luftleeren Raum entwickelte Erfindung, sondern basiert auf der aktuellen Verfasstheit vieler Medien, die sich bereits vergleichbarer Geschäftsmodelle bedienen - meist ist es der Boulevard, oft auch in Verbindung mit einem politisch gesteuerten, rabiaten Rechtsaußen-Zugang, der meist gezielte ökonomische Interessen vertritt, im Fall Trump aber auch eine tribalistische Komponente hat, der viel mehr mit der Brave New World als mit 1984 zu tun hat.
Weil klassisch-kritische Formate wie der Reality Check oder der Erklärbär bereits Teil der neuen Alternativen-Fakten-Kultur geworden sind, wird sich kaum ein kommerzieller Anbieter den neuen Marktanforderungen verwehren können. Zudem sich ja auch kritische oder widerständige Geister in Zielgruppen fassen und mit blasenbildenden alternativ-alternativen Fakten als Geschäftskunden gewinnen lassen.
In allerbesten Fall wird pro Nation/Gesellschaft ein einzelner, am öffentlich-rechtlichen Medien-System orientierter, ein Bild der Ausgewogenheit suchender Medienanbieter bestehen bleiben - falls die jeweiligen Staaten (in anderen, dystopischeren Zukunftsszenarien, etwa dem Evgeny Morozovs, sind es eher nur noch Kommunen) das unterstützen.
Widerständige Medien von unten werden zudem mit einem sprachlich/historischen Problem konfrontiert sein: der einst dem subversiven Underground zugewiesene Begriff "alternative", der spätestens seit Jänner 2017 von der extremen Rechten (alt-right) und in weiterer Folge von jedem populistischen Bauernfänger und Geschäftemacher gekapert und mit einem neuen Sinn versehen instrumentalisiert/versilbert werden wird, macht den im auslaufenden 20. Jahrhundert verwendeten, also historischen, vor allem im gegenkulturellen Kontext (z.b. im Musik- oder Radio-Bereich...) verwendeten Begriff zu einem Minenfeld der Verwirrung, das neuen Generationen gar nicht mehr entwirrt dargestellt werden kann.