Erstellt am: 2. 2. 2017 - 18:35 Uhr
Schluss mit Lustig
Es gibt schon länger eine kleine Bewegung im Filmkritikbereich, die gegen den gegenwärtigen Kanon an Regisseuren aufbegehrt. Nicht nur intellektuelle Big-Budget-Innovatoren wie Christopher Nolan oder Denis Villeneuve werden dabei als bürgerliche Totengräber des "wahren Genrekinos" abgetan. Auf recht heftige Weise greifen die Vertreter des Anti-Kanons auch heilige Kühe der Filmfestivals wie Lars von Trier, Wes Anderson oder Paul Thomas Anderson an.
Den beiden letzteren Regisseuren stellt man ausgerechnet einen Namenskollegen gegenüber, dem sich die klassische Filmkritik lange Zeit nur mit einer Wäscheklammer auf der Nase näherte. Von Paul W.S. Anderson ist die Rede, dem Spezialisten für brachiales, bewusst sinnentleertes Actionkino, von "Mortal Kombat" über "Alien vs. Predator" bis zu "Pompeii". Für die Anti-Kanon-Kolumnisten ist der mittlerweile 51-jährige Brite tatsächlich "one of contemporary cinema's most thrilling talents".
Nun muss man weder die Attacken auf die erwähnten Filmemacher ernst nehmen, die meine Wenigkeit übrigens allesamt höchst schätzt, noch den Versuch, aus Paul W.S. Anderson einen Visionär zu machen. Abgesehen vom krampfhaften Drang nach Distinktion, bei dem es wohl auch immer um Eitelkeiten geht, gebe ich den Anti-Kanon-Rebellen aber in einem Punkt recht: Es hat schon was, aus berechenbaren Bahnen auszubrechen und filmische Qualitäten dort zu suchen, wo sie das Feuilleton und die Viennale auf gar keinen Fall vermuten.
Constantin
Handwerkliches Versagen auf voller Linie
Ob man bei "Resident Evil: The Final Chapter" cineastisch fündig wird, ist allerdings eine andere Frage. Tatsächlich bewies Paul W.S. Anderson bei bestimmten Vorgängerteilen der Untoten-Saga ein echtes Gespür für Bewegung, Raum und besonders die oft schlecht eingesetzte 3D-Technik. Ausgerechnet das Schlusskapitel der erfolgreichsten Reihe von Videospieladaptionen überhaupt setzt der Regisseur aber gewaltig in den (postapokalyptischen) Sand.
Wer keine Ahnung hat, was in den fünf Vorgängerfilmen passiert ist, bekommt am Anfang des "Final Chapter" eine kurze Erklärung in Form von Rückblenden. Eigentlich ist das aber alles wurscht, denn es reicht zu wissen, dass die übertrieben böse Umbrella Corporation einst den sogenannten T-Virus freisetzte, der medizinische Wunder versprochen hat. Leider gehört zu den Nebenwirkungen aber auch der Tod, die sofortige Zombifizierung sowie die eventuelle Mutation zu monströsen Kreaturen.
Constantin
Frei nach "Mad Max" bleibt nach dem Zombie-Overkill von der Erde nur eine öde Wüste übrig, durch die wenige Überlebende schleichen, natürlich im stilgerechten Outfit geschmackloser Metal-Gothic-Bands. Alice alias Milla Jovovich, die ledergekleidete Antiheldin der Serie, muss zur Weltrettung im Schlussakt nun dorthin zurückkehren, wo 2002, mit dem ersten "Resident Evil"-Film, alles begann: in den Hive, einen riesigen Untergrundbunker in Raccoon City.
Mehr vom minimalen Plot zu erzählen wäre müßig, aber um Kinkerlitzchen wie Story oder Dramaturgie ging es in dieser Franchise ja ohnehin nie. Fädenzieher Anderson, der bekanntlich mit Milla "Alice" Jovovich verheiratet ist, versagt diesmal aber leider handwerklich auf voller Linie. Die lieblose Best-Of-Compilation aus bisherigen "Resident-Evil"-Action-Momenten ist so irrwitzig schnell geschnitten, dass nicht nur das 3D kaum zur Geltung kommt. In Verbindung mit vielen stark abgedunkelten Szenen kann man sich in den 106 Minuten durchaus Augenkrebs holen. Wenn nicht schon die plärrende Tonspur, im Multiplex in Stadionrocklautstärke dröhnend, für Kopfweh sorgt. Popcorn-Unterhaltung kann manchmal eine ziemlich anstrengende Herausforderung sein.
Constantin
Dekadente Adelige, kannibalistische Bauern
Wer vor dem visuell ermüdenden Dauerbombardement ins Programmkino der persönlichen Wahl flüchten möchte, sei gewarnt: Auch dort lauert bisweilen eine Art von übertriebener Hysterie. Selbst, wenn man sie in einem Film von Bruno Dumont wirklich nicht vermuten würde.
Der Belgier gilt nämlich neben Michael Haneke grundsätzlich als einer der radikalsten Vertreter eines europäischen Verstörungskinos. Endlose Tristesse zieht sich durch seine Filme wie "L'humanité" oder "29 Palms". Paradoxerweise meint man bei Dumont, im Gegensatz zu seinem österreichischen Regiekollegen, aber hinter der emotionalen Vergletscherung auch eine tiefe Menschenliebe zu spüren. Und einen Sinn für alles Niedrige, Fleischige, Bodenständige, vor dem sich Akademiker manchmal fürchten.
Thimfilm
Aber die frostige Ernsthaftigkeit ist bei Bruno Dumont erstmal Geschichte. Nachdem sich der Regisseur bei einem TV-Serien-Auftrag erstmals an humoristische Ansätze heranwagte, überrascht er nun mit einer echten Komödie. "Die feine Gesellschaft", im Original "Ma Loute", erzählt vom Sommer anno 1910 in einem französischen Küstenort und den dort vorhandenen sozialen Gegensätzen.
Dabei scheinen sämtliche Figuren in diesem Film degeneriert und durchgeknallt: Die schnöseligen Städter, die ihren alljährlichen Badeausflug machen ebenso wie die verarmte lokale Bevölkerung, die vom Fischfang und Hilfsarbeiten lebt. Während sich die dekadenten Adeligen aber nur als überspannte Schwachköpfe entpuppen, hat die Fischerfamilie Brufort ein weitaus dunkleres Hobby. Einige spurlos verschwundene Touristen landen in ihrem Kochtopf, die blutigen Reste werden an die kleinen Kinder verfüttert.
Thimfilm
Bizarr, grotesk und pittoresk
Ganz ohne verstörendes Element kommt ein Film von Bruno Dumont dann also doch nicht aus. Dass der Großmeister der wortkargen Studien der Hoffnungslosigkeit neuerdings gerne auf derbe Weise witzelt, ist aber nicht unbedingt eine gute Nachricht. Während die besten seiner bisherigen Filme als kompromisslos kalte Kunstwerke bestechen, sägt diese "Feine Gesellschaft" gewaltig an den Nerven.
Markante Laienschauspieler und Arthouse-Stars wie Valeria Bruni Tedeschi und Juliette Binoche treffen im Zeichen des absurden Klamauks aufeinander. Wirklich jede Szene versucht bizarr, grotesk und pittoresk zu sein. Ein extrem fettleibiger Polizist, der ständig die Dünen runterkugelt, zieht sich als Running Gag durch den Film.
Fazit: Wenn man sich die Filme des eingangs erwähnten Wes Anderson ohne Herz vorstellt, sie mit den bemüht skurrilen Werke von Jean-Pierre Jeunet, Stummfilm-Slapstick und einer Prise Kannibalenhorror kreuzt, dann kommt ein Film wieder dieser heraus.