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Pia Reiser

Filmflimmern

3. 2. 2017 - 11:26

Badfellas

Wenn man den Film des Jahres schon im Februar gesehen hat: "Suburra" ist ein mitreißender Strudel aus Gewalt und Rache in hypnotisch schönen Bildern. Ein Neo Noir im Neonlicht, während die Mafia Knochen bricht.

Wenn ein Film mit einer Szene im Vatikan beginnt, man den Papst von hinten sieht und wenig später via Einblendung verkündet wird, dass man noch sieben Tage bis zur Apokalypse hat, hat man ja ein bisschen Angst, dass gleich Tom Hanks mit einer jungen Frau an der Hand um die Ecke biegt, um in Dan-Brown-Manier ein Jesus-Rebus-Rätsel zu lösen.

Doch fürchtet Euch nicht, das einzige, was "Suburra" mit "Da Vinci Code" gemein hat, ist der Schauplatz: Rom. Die Stadt, die schon oft und eindrucksvoll von Filmemachern eingefangen wurde. Rom ist hier weniger offene Stadt als ein geschlossenes System aus Kriminalität und Korruption. Ein Politik-Unterwelt-Synergiesumpf, in dem eine Hand die andere wäscht, während eine dritte Hand wahrscheinlich grad einer vierten und fünften Hand ein paar Finger abhackt und sich danach bekreuzigt.

Elio Germano in "Suburra"

Thimfilm

Der italienische Michael Fassbender: Elio Germano als Oberschichts-Pimp mit weltklasse Schnurrbart und weniger weltklasse Rückgrat

Es regnet fast durchgehend in Strömen in Stefano Sollimas fantastischem Neo Noir und bis zur angekündigten Apokalypse wird sich noch einiges an Blut zum Regen auf den Straßen Roms dazugesellen. Aber das schlechte Wetter ist das kleinste Problem des Abgeordneten Malgradi, sein größtes Problem ist noch nicht mal, dass eine minderjährige Prostituierte, mit der er die Nacht verbracht hat, an einer Überdosis stirbt.

Pierfrancesco Favino

Thimfilm

Die Camorra, der Herr Pfarrer, die Minister, wir waren alle wie Geschwister.

Nervös macht Malgradi erst, dass der ambitionierte Jungspross eines durch brutale Machenschaften zu Geld gekommenen Gypsy-Clans, der die Leiche verschwinden hat lassen, nun Gegenleistungen einfordert. Malgradi bittet einen Politikerkollegen um Hilfe, da müsste es doch jemanden geben, der so einen unverschämten jungen Mann ein bisschen in die Schranken weisen kann. Und so beginnt sie, eine unaufhaltsame Spirale aus Gewalt, Erpressung, Entführung, Verrat, Gier und Kampfhunden.

Thimfilm

Thimfilm

Das deutsche Plakat für "Suburra" schaut leider so aus, als hätte Matthias Schweighöfer einen auf Guy Ritchie gemacht. Lasst euch davon nicht abhalten ins Kino zu gehen.

Der Film spielt an fünf Tagen im November 2011, der Papst heißt noch Ratzinger und der Premierminister Berlusconi. Beruhend auf dem gleichnamigen Roman eines Richters und eines Journalisten, entwirft Sollima ein unbarmherziges (Un)Sittenbild der italienischen Hauptstadt und verpackt es in einen atemlos machenden Thriller. Richtig sympathisch ist hier keine der Figuren, faszinierend sind sie aber allemal, vor allem, weil sie außerhalb des klassischen Mafia-Narratives stehen. Auch, wenn die Korruptions-Knäuel-Geschichte, die Verstrickungen zwischen Staat, Kirche und Unterwelt bekannt klingen, so ist "Suburra" alles andere als eine weitere Mobster-Saga. Nicht nur, aber auch weil hier ein Mitspieler fehlt: Die Polizei. Carabinieri- und commissariolos lässt der Film die Kriminellen einander ohne Staatsgewalt zerfleischen - und mit dem Kommissar fehlt auch eine Figur, die in anderen Filmen als klassische Identifikationsfigur dienen würde. Doch in der regennassen Welt von "Suburra" kann man sich als Zuseher an keine der Figuren klammern, man fliegt mit im freien Fall, vergisst aufs Blinzeln.

thimfilm

Und dann verpackt Sollima seinen brutalen und erbarmungslosen Film auch noch in die Songs von M83, eine schier endlose Verkettung von Gewalt, getragen von losgelösten Synthie-Soundflächen. Immer wieder ertönt "Midnight City" und tatsächlich spielt der Film zum Großteil in der Nacht und nicht nur metaphorisch in den dunklen Ecken Roms. Suburra war im alten Rom eine Bezeichnung für einen Stadtteil, den man heutzutage wohl als Rotlichtviertel bezeichnen würde, in Sollimas Film ist es das Neonlicht, das in "Drive"-Manier die Straßen erleuchtet.

Villa in Rom, opulent beleuchtet

Thimfilm

Und das Neonlicht ist auch immer wieder eine Erinnerung daran, was denn ursprünglich mal der mafiöse Masterplan mit politischer Unterstützung - und Finanzhilfe vom Vatikan - war: eine Art little Las Vegas am Strand von Ostia zu errichten. Da thront mit Glatze und Vollbart ein Mann namens Nummer 8, die vielleicht faszinierendste Figur, weil sie völlig außerhalb des üblichen Mafia-Figuren-Kanons steht. Immer noch für kriminelle Kleinarbeit zuständig, aber von Großem träumend. Manchmal, wenn die Kamera ihn und seine Freundin Viola in der von Neonröhren belichteten Dunkelheit einfängt, dann sind Assoziationen zu Science-Fiction-Dystopien nicht weit.

Thimfilm

Die Schlichtheit von Nummer 8s Haus mit den großen Glasfronten konterkarierend, ist die groteske Opulenz, die das Haus den Anacleti-Clans beherrscht. Die gypsies, die mehr Macht haben, als den anderen Unterweltlern lieb ist, sind eine kinderreiche Familie. Im Haus wuselt's, hinter jedem geschmacklosen Möbelstück spielen Kinder, ein Papagei sitzt auf einer Goldstange, riesige Palmen entpuppen sich als Lampen und mittendrin sitzt Manfredi Anacleti und setzt schon mal inmitten des Kindertrubels einer entführten Frau ein Messer an den Hals.

Und gerade als man es bedauert, dass es in diesem überaus fantastischen Film, der einen rauschhaft für zwei Stunden der echten Welt enthebelt, keine Frauenfiguren außer Huren und Heilige gibt, da hebt sich eine Anti-Heldin empor aus dem Sumpf. Und immer noch schüttet es in Strömen.